Der 94-jährige Stefan Folie, genannt Steffl, liebt die Geselligkeit und hat oft einen humorvollen
Spruch auf Lager. Am Vormittag besucht er den Friedhof und die Gasthäuser im Ortskern, am Nachmittag die Bar an der Tankstelle. „Wenn ma nimmr geat, konn ma nimmr gean“, meint er.
von Magdalena Dietl Sapelza
Die Begegnungen mit Menschen lassen ihn für kurze Zeit den Schmerz vergessen, der ihn seit dem Tod seiner Frau Anna im vergangenen Juni belastet. 52 Jahre lang hatte er mit ihr Freud und Leid geteilt. Oft betrachtet er ihr Bild. „Iatz gibsi miar koa Ontwort mea“, meint er. Steffl wuchs als Zweitgeborener mit neun Geschwistern in Mals auf. Sein Vater betrieb ein Sägewerk und führte eine kleine Landwirtschaft. Steffl besuchte den Kindergarten bei den Klosterfrauen. Nach der Machtübernahme der Faschisten waren diese aufgefordert, mit den Kindern italienisch zu sprechen, was sie allerdings nicht immer befolgten. Die italienischen Lehrerinnen in der Schule setzten diese Forderung dann um. Während sich viele Schüler auf Geheiß von daheim weigerten, Italienisch zu lernen, forderte Steffls Vater ihn auf, die Sprache zu lernen. Steffl war schon bald als Übersetzer für seinen Onkel gefragt, der italienischen Bauherren Material für den Bunkerbau anlieferte. Steffl war ein guter Fuhrmann mit dem Ochsengespann seines Onkels. So „fuarwerchte“ er die acht Meter langen Baumstämme von „Orgles“ aus dem Malser Wald um die 90 Grad-Kurve beim „Rösslwirt“- eine wahre Herausforderung, die andere nicht schafften. Die Baumstämme wurden am Bahnhof auf den Zug geladen und waren für den Brückenbau als Kriegsvorbereitung vorgesehen. In der Zeit der Option öffnete sich eine Kluft zwischen den Optanten und den Dableibern. Zu letzteren zählte auch Steffls Familie. Diese Kluft tat sich auch im Klassenzimmer auf. „Miar Dobleiberkinder sain di walsche Fockn gwesn“, erinnert er sich. Nach dem bejubelten Einmarsch der deutschen Soldaten 1943 wurde Steffl zur Kampfausbildung für Hitlers sogenanntes „Letztes Aufgebot“ auf Schloss Annaberg gezwungen. Vinschger SS-Invaliden brachten den Jugendlichen das Schießen bei. „Monche hobm inz wild schikaniert“, erinnert er sich. Die Verpflegung war dürftig. Ihr Hunger war einmal so groß, dass sie nachts die Tür zur Küche aufbrachen und sich Brot holten. Nach dem Einmarsch der Amerikaner im Frühjahr 1945 wurden sie heimgeschickt. In Mals hatte die US-Soldaten mit rund 30 Fahrzeugen den Marktplatz in Besitz genommen. Sie verteilten regelmäßig Süßigkeiten an die Kinder, was für Begeisterung sorgte. Steffl erinnert sich an das Nikolausaufwecken 1944, bei dem die Amerikaner vom Balkon des Gasthofes am Hauptplatz aus Bonbons auf die wartenden Kinder warfen. „Selm isch afn Bodn nor a Geraf gwesn“, lacht er. „Unt der Brauch lebt heint nou.“ Steffl half tatkräftig im Sägewerk mit, das er dann später übernahm. Seine Frau Anna Zoderer (Jg. 1937) aus Prad lernte Steffl im Gasthof Greif kennen, wo sie arbeitete. 1971 heiratete er sie in der Wallfahrtskirche in Riffian. Die Wohnung im Obergeschoss seines Elternhauses wurde gemeinsam mit ihren drei Kindern ihr Zuhause. Im Sägewerk stellte Steffl seinen Mann und meisterte selbst die riskantesten Arbeiten. Gelegentlich unterstützte ihn ein Gehilfe. Die Aufträge gingen nie aus. Von überallher kamen die Traktoren mit Baumstämmen, die es zu schneiden galt. Nebenbei führte er unterstützt von Frau und Kindern auch die Landwirtschaft. Mit Bitternis erzählt Steffl vom Verlust der Wasserkonzession für das Sägewerk Ende der 1940er Jahre und von der Enteignung eines 6.000 Quadratmeter großen Feldes bei Glurns durch den Montecatini Konzern. „Selm hobm si inz drounkriag“, betont er „Miar hobm grod amol seffl Geld für a Poor Schua kriag.“ Steffl war immer auch ein rühriger Vereinsmensch. Jahrzehntelang spielte er den Bass in der Musikkapelle Mals und bestritt mit den Musikkollegen unzählige Auftritte im In- und Ausland. „An liabschtn bin i mit dr Musi noch Italien gfohrn, weil ma selm an beschtn gessn hot“, verrät er. Er spielte Theater im Kinosaal, war Obmann der Sennerei und Feuerwehrmann. Steffl war geschätzt, weil er bei FF-Einsätzen sofort wusste, was zu tun ist. Er nahm auch viele Neulingen unter seine Fittiche und bildete sie aus. „Afn Boudn muaß ma löschn, nit in Fuir innispritzn“, erklärt er. Als in der Nacht des 24. Juli 2014 die Flammen sein Haus umzingelten, half er trotz des Schocks selbst beim Löschen mit. Die Nachbarhäuser konnten geschützt werden. Sein Haus war ein Raub der Flammen geworden. Unterkunft erhielt seine Familie bei Nachbarn, und sie erfuhr von der Bevölkerung große Solidarität. Heute lebt Steffl im neuen Haus, das sein Sohn nach dem Brand in unmittelbarer Nähe zum alten errichtet hatte. Liebevoll umsorgt wird er von seinen Kindern und deren Familienmitgliedern. Der Feuerwehr hält er bis heute die Treue. In seiner Uniform tritt er regelmäßig bei Versammlungen auf. Angesichts seines Alters sorgt er dann oft für Gesprächsstoff und mit seinen spitzbübischen Sprüchen für Erheiterung. „Solonga pa di Lait in Maul bisch, bisch nit in Dreck“, lacht er.