Vinschgerwind: Die E-Werk-Genossenschaft Prad ist ihren Mitgliedern verpflichtet. Sie liefert unter anderem Strom und Wärme. Wie hat die E-Werk-Genossenschaft Prad diese spürbaren und schmerzhaften Preissteigerungen vor allem im Stromsektor im Griff?
Klaus Wallnöfer: In unserem Statut ist vorgesehen, dass wir unseren Mitgliedern unsere Dienstleistungen zu möglichst günstigen Konditionen bereitstellen. Auch wir hatten letzthin aufgrund der gestiegenen Marktpreise Schwierigkeiten, da wir während der Bauphase des neuen Kraftwerks bei gleichzeitigem Rückbau von drei Anlagen über eine unzureichende Produktion verfügt haben. Wir mussten, so wie andere Anbieter auch, die gestiegenen Preise beim Stromeinkauf an der Börse an unsere Mitglieder weitergeben. Mit Fertigstellung des neuen Kraftwerkes können wir unseren Mitgliedern den Strom nun wiederum zu deutlich günstigeren Konditionen liefern.
Michael Wunderer: Das können wir, da wir als historische Genossenschaft von der Abgabe der „Extra Gewinne“ (Exra-Profitti) im Ausmaß unserer Eigenproduktion nicht oder nur teilweise betroffen sind. Diese Entscheidung ist von Seiten der Regulierungsbehörde Ende Juni gefallen, nach entsprechenden Einwänden von Seiten der Verbände (u.a. SEV). Andernfalls hätten auch wir als historische Genossenschaft die aktuellen hohen Strompreise im Einkauf Großteils an unsere Mitglieder weiterverrechnen müssen.
Vinschgerwind: Die Philosophie der E-Werk Genossenschaft Prad heißt seit Jahrzehnten „Energie lokal organisieren“, von der Produktion über die Verteilung bis zur Abnahme der Mitglieder. Wenn man Südtirol als „lokal“ bezeichnet, gibt es einen Ausweg, um den internationalen Preisen entkommen zu können?
Michael Wunderer: Ja, Möglichkeiten gäbe es. Aktuell sind diese aber tatsächlich begrenzt, da viele Anlagenbetreiber mit Einführung der Abgabe der „Extra Gewinne“ die Mehreinnahmen an den Staat wieder abführen müssen. Der Anlagenbetreiber darf lediglich den Referenzpreis behalten, der für unsere Zone vorerst auf 58€/MWh festgelegt wurde. Zum Vergleich: Im Monat September lag der durchschnittliche Börsenpreis für den Stromverkauf bei 543€/MWh. Der Referenzpreis deckt zwar sämtliche operative Kosten einer Wasserkraftanlage, darüber hinaus gibt es allerdings wenig Spielraum. Anders ausgedrückt: In Südtirol steht uns mit der Wasserkraft zwar eine günstige Energieform zur Verfügung, wir können diese allerdings derzeit nicht günstig für uns verwerten. Der Strom muss zu aktuellen Höchstpreisen an der Börse wieder zurückgekauft werden, welcher an die Verbraucher großteils weitergegeben wird. Das Versprechen nach günstigem Strom durch die sogenannten „Rückholung der Energie“ ist somit in noch weiterer Ferne gerückt.
Vinschgerwind: Das hat sich im Nachhinein als leeres Versprechen herausgestellt?
Michael Wunderer: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass durch die Rückholung der Energie in den letzten Jahren eine erhebliche Wertschöpfung für unser Land generiert wurde, nur muss sich das als primäres Ziel langfristig in den Strompreisen bei den einzelnen Bürgern und in den Betrieben niederschlagen. Um das zu erreichen, müsste sehr wahrscheinlich die Strombeschaffungsstrategie in Südtirol anders organisiert werden.
Vinschgerwind: Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Michael Wunderer: Südtirol produziert über das Jahr bekanntlich nahezu doppelt so viel Strom wie es in Summe verbraucht. Abgesehen von den saisonalen Unterschieden könnte also ein Großteil der verbrauchten Stromenergie längerfristig zu einem beiderseitig (Produktion, Verbrauch) angemessenen Preis definiert werden. Die von der Planung abweichenden Mengen können dann wiederum über die Strombörse bzw. den Strommarkt ausgeglichen werden. Als Resultat ergibt sich ein variabler Mischpreis, welcher aber vergleichsweise stabil und günstig ist. Für dir Organisation und technische Abwicklung könnte ein genossenschaftlich organisierter „Landestrader“ eingesetzt werden. Diese Idee ist im Übrigen nicht neu. Zu seinen Aufgaben könnten beispielsweise die außerbörslichen Vereinbarungen zwischen Produzenten und Stromverkäufer zählen, sowie die strukturierte Beschaffung und Verteilung an sämtliche Stromverkäufer in Südtirol im Sinne der Gleichberechtigung.
Vinschgerwind: Wäre ein solcher Trader gesetzlich machbar?
Michael Wunderer: Ja durchaus. Es gibt bereits verschiedene Trader im Land. Für den Landestrader sollte nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund stehen, sondern der Nutzen für die Südtiroler Bevölkerung in Form eines stabilen und günstigen Strompreises. Dadurch ergäbe sich eine Win-Win-Win Situation für alle Beteiligen. Für die Produzenten die einen über die Gestehungskosten gesicherten Preis erhalten (in der Vergangenheit gab es auch Situationen mit Preisen unterhalb Gestehungskosten), für die Stromverkäufer in Südtirol die langfristig mit attraktiven Preisen und grüner Energie werben können und letztlich für die Endverbraucher die endlich einen stabilen und günstigen Preis, basierend auf die tatsächlichen Produktionskosten aus Südtiroler Wasserkraft, erhalten. Für einen solchen Landestrader ist allerdings auch der politische Wille gefragt.
Vinschgerwind: LH Arno Kompatscher hat gesagt, dass mit einem solchen Modell „in Südtirol die Lichter ausgehen“. Was entgegnet ihr dem?
Klaus Wallnöfer: Die Lichter brennen weiter.
Michael Wunderer: Man muss unterscheiden. Es gibt die virtuelle Welt des Strom Ein- und Verkaufes und die physikalische Welt der Stromnetze die gesamtstaatlich und gar europäisch miteinander verbunden ist. Von letzterem kann man sich nicht abkoppeln.
Vinschgerwind: Es hat vor Jahren eine starke Energie-Vertretung im Vinschgau gegeben. Man erinnere sich an den berühmten Vinschger Stromstreit. Die Fragen der lokalen Energieerzeugung, der Energieverteilung waren damals Thema. Kann man sich einen solchen Energietisch aktuell wieder vorstellen?
Klaus Wallnöfer: Klar. Man hat in der Vergangenheit, ausgehend von den Impulsen der historischen Genossenschaften Prad und Stilfs, ähnliche Modelle für den Vinschgau diskutiert. Die größere Vision ist zwar nicht geglückt, aber wir sind davon überzeugt, dass wir als historische Genossenschaft wieder Impulsgeber sein können mit der Überzeugung, dass wir im Vinschgau noch Möglichkeiten haben, die noch nicht ausgeschöpft sind.
Vinschgerwind: Wie stellt ihr euch die Bereitstellung und den Verbrauch von Energie in der Zukunft vor? Wo will man hin?
Michael Wunderer: Die Bereitstellung wird in Zukunft kleinteiliger sein. Man geht weg von den zentralen Anlagen. Energiegenossenschaften, so wie wir eine sind, haben sich in der Vergangenheit schon eine dezentrale Welt vorgestellt. Genau solche dezentralen Systeme werden Zukunft haben. Inzwischen werden Energiegemeinschaften sehr stark gefördert. Dezentrale Systeme sind nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Noch vor kurzer Zeit waren solche Gedanken auf politischer Ebene kein Thema. Auch die Verbraucher werden als „Prosumer“ künftig eine aktivere Rolle übernehmen.
Klaus Wallnöfer: Georg Wunderer hat gesagt: „Die Energie soll den Menschen dienen und nicht dem Kapital“. Aus unserer Sicht soll es so sein, dass möglichst kleinstrukturierte Systeme den Menschen vor Ort die Möglichkeiten aufzeigen, wie man Produktion, Verteilung und Bereitstellung von Energie bewerkstelligen kann. Wenn, in unserem Fall, die Genossenschaftsmitglieder den Mehrwert, nicht nur den ökonomischen, sondern auch was die Umwelt- und Sozialbilanz betrifft, erkennen, sind die Bürger auch bereit, bestimmte Kompromisse einzugehen. Wir müssen diesen Mehrwert in Zukunft in der Bevölkerung mehr verankern. Es wird wohl so sein, dass keiner in der eigenen Gemeinde eine Windkraftanlage haben möchte. Aber diese Form der Stromerzeugung ist auch notwendig und sinnvoll. Wenn man den Vorteil erkennt, ist die Bevölkerung auch ein Stück weit bereit, Kompromisse einzugehen.
Vinschgerwind: Wird man die Diskussion um die Windenergie noch einmal eröffnen müssen?
Klaus Wallnöfer: Auf jeden Fall. Man sollte die Windenergie nicht außer Acht lassen. In den deutschen Offshore-Windanlagen im Norden etwa wird viel Energie erzeugt und der Verbrauch findet hauptsächlich im industrialisierten Süden statt. Nur hakt es am Energietransport von Norden nach Süden. Kleinräumige, dezentrale Lösungen haben diese Stromnetzproblematik nicht.
Michael Wunderer: Derzeit sind positive Signale aus Bozen zu vernehmen, die die Diskussion rund um die Windkraft wiederbelebt. Im Vinschgau machen wir uns bereits konkrete Gedanken dazu. Auch der Gesetzgeber verlangt nach günstigen Zonenausweisungen.
Vinschgerwind: Wenn man sich die Diskussionen auf EU-Ebene anhört, die von Dezentralisierung, von kleinräumigen Lösungen spricht, dann ist das Tun der E-Werk-Genossenschaft Prad hochmodern. Eure Genossenschaft hat jahrzehntelange Erfahrungen. Was könnt ihr anderen Gegenden, auch im Vinschgau, wünschen, einen solchen Erfahrungsschatz, eine solche Power aufzubauen?
Michael Wunderer: Es braucht Mut und Visionen.
Klaus Wallnöfer: Richtig, Mut und Visionen.
Michael Wunderer: Der Weg war auch für uns als Genossenschaft oft sehr steinig, schlussendlich hat sich das aber definitiv ausgezahlt. Bedenkt man die jährliche Wertschöpfung die vor Ort mit sauberer Energie generiert wird, das Wissen und die Kompetenzen der Mitarbeiter und die jährlichen Energieersparnisse für die Betriebe und Haushalte, dann kann man das nur als großes Erfolgsmodell werten. Jede Initiative in diese Richtung kann nur begrüßt werden.
Vinschgerwind: Wenn man sagt, dass Südtirol nur die Hälfte des Stromes verbraucht, der mit Wasserkraft erzeugt wird, sollte man sich nicht zuerst aus dem nationalen Markt ausklinken oder muss der Ausbau solch neuer Anlagen gleichzeitig passieren?
Michael Wunderer: Man kann sich nicht einfach aus dem nationalen Markt ausklinken, das ist auch nicht notwendig. Aber man kann sich anders verhalten - eben am Beispiel einer strukturierten Beschaffung und Verteilung auf Basis der lokal zur Verfügung stehenden Erzeugungskapazitäten.
Auch sollten vorhandene Potenziale beim Ausbau neuer Anlagen genutzt werden. Derzeit ist vieles per Landesgesetz nicht möglich. Hier sind Anpassungen dringend notwendig.
Klaus Wallnöfer: Als Genossenschaft sind wir natürlich primär den Mitgliedern verpflichtet. Unsere Aufgabe ist es, mit den vorhandenen und künftigen Systemen gute Dienstleistungen zu erbringen. Aber die Frage muss darüber hinausgehen. Genügt es, wenn wir uns ausschließlich den Mitgliedern verantwortlich fühlen? Lokal handeln ist ok, aber wir sollten über den Tellerrand hinausdenken. Wenn wir etwa in Südtirol sagen, wir haben genügend Produktion, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und wir lehnen uns zurück. Es gibt andere Regionen, die weniger oder überhaupt kein Potenzial haben, ihren Energiebedarf zu decken. Warum sollen wir da nicht solidarisch sein und sagen, dass wir das gesamte Potenzial ausschöpfen, nicht nur um das eigene System stabil halten zu können, sondern auch einen darüberhinausgehenden Beitrag für das Gesamtsystem zu leisten.
Interview: Erwin Bernhart