Auf der Marteller Etappe des Ortler-Rundweges kommt man heute am heute so genannten „Payer-Stadel“ vorbei, der vormaligen Hütte der Zufall-Alm. Was es mit dem Payer-Stadel auf sich hat, möchte ich in meinem heutigen Beitrag beschreiben. Quelle ist dabei die Schrift von Julius Payer selbst „Die Centralen Ortler-Alpen (Gebiete: Martell, Laas und Saent) nebst einem Anhange zu den Adamello-Presanella-Alpen“. Payer hat darin 1872 seine Vermessungen im Verlag Gotha: Justus Perthes veröffentlicht. Der Marteller Altbürgermeister, Chronist und Begründer der Sektion Martell im Südtiroler Alpenverein Erwin Altstätter hat mir diese Publikation dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt. Der Aufsatz Payers enthält auch eine informationsreiche Kartendarstellung des „Marteller Alpencomplexes“ im Maßstab 1:56.000.
Der Auftrag an Julius Payer
Vom österreichisch ungarischen Kriegsminister Kuhn war Julius Payer an das Militärgeographische Institut berufen worden. Als Berufsmilitärist erhielt Payer den Auftrag, unter anderen auch die Berge der Ortlergruppe zu vermessen und in einer neuen Landkarte darzustellen. Dabei sollten die bis dahin vorhandenen Landkarten in ihrem Informationsgehalt verbessert und im Maßstab vereinheitlicht werden. Payer reiste dazu von seinem Stationsort aus Schlesien nach „Botzen“ an, „woselbst ich am 27. Juni (1868) die als tüchtige Bergsteiger aus dem Kaiserjägerregiment für mich ausgewählten Jäger Haller (Passeyrer), Coronna (Primiero) und Spät (Vorarlberg) übernahm“. Nach Etappen in Terlan (zum Weineinkauf) und in Meran kam Payer am 30. Juni in Martell an. Am selben Tag hatte der Gemeinderat von Martell beschlossen, dem „Vermesser“ im Haus des Messners neben der Kirche von Thal eine Wohnung abzutreten. Bei Pfarrer Schröpp fand Payer „statt des Hindustanischen Asceten im Vidum eine gemüthliche Gesellschaft, deren nach innen gekehrtes Leben voll sehnsüchtiger Gedanken im Hinblick auf die servirten großen Tiroler Knödel völlig gerechtfertigt war.“ Payer notiert zu seinem ersten Marteller Tag in seinem Exkursionsbericht weiter: „Abends sah ich die zum Frondienst commandierten Marteller den Berg zu meiner Wohnung heraufsteigen, darunter bildsaubere teutonenhafte Jungfern mit meinen schweren Kisten auf dem soliden Rücken.“ Zu den drei oben genannten Kaiserjägern kamen am 1. Juli noch der Marteller Schuster Kobald und der langjährige Begleiter und Suldner Bergführer Pinggera dazu. Am 2. Juli beginnt Payer mit seinen Berggefährten und Gehilfen seine Bergtouren, die ihn im engen Zeitraum bis Ende August 1868 auf insgesamt 60 Gipfel bringen sollten. Dabei wurden in täglich stundenlangen Vermessungsarbeiten bei gutem und widrigem Wetter exakte Angaben über die Berge erhoben. Die Höhe der Berge gibt Payer in „Wiener Fuss“ an. Ein Meter entspricht 3,16 Wiener Fuss. Noch am 2. Juli steigt Payer mit seinen Begleitern zu der von ihm so bezeichneten „unteren Marteller Alpe“ auf. Es war dies die Alm für das Galtvieh auf Zufall. Das Nebengebäude dieser Alm sollte Payer während seiner Vermessungsarbeiten wiederholt als Übernachtungsquartier und Basislager dienen. Heute wird diese Almhütte als Payer-Stadel bezeichnet. Im Hinteren Martelltal benutzte Payer außerdem die Peder-Stierberg-Hütte als Nachtquartier. Von Martell stieg Payer über das Sälentjoch in das trentiner Rabbital und über den Langenferner und Zufallferner in die lombardische Val Cedec und Valfurva. Von Bormio kam er, immer zu Fuß, über das Stilfserjoch nach Trafoi und Sulden, um auch in diesen Tälern die Berge zu vermessen und kartographieren. Neben der wissenschaftlichen Präzision mit Angaben zu Geländemorphologie, Höhen, Routen und Schwierigkeitsgraden enthält der Exkursionsbericht von Payer eine Reihe von humorigen und amüsanten Passagen. Soweit es der Platz zulässt, zitiere ich ein paar erheiternde Episoden aus dem sonst entbehrungsreichen und strapaziösen Bergsteiger- und Vermesser-Leben.
8. Juli (1868): Besteigung der Inneren Pederspitze (10.382 Wiener Fuss gleich 3.285 m): Die (Vermessungs-)Arbeit begann. Sie währte zehn Stunden lang und wurde durch die große Hitze abermals erschwert. Meine Begleiter hatten viel Holz mitgebracht und kochten den Kaffee und dann den Satz so oftmals, bis er keinen Farbstoff mehr enthielt, und nannten diesen Kaffee der ersten, zweiten, dritten, vierten Klasse.“
10. Juli: Übergang über das Langferner-Joch (10.306 W.F. oder 3.261 m Höhe) zur Alpe Forni in der Val Forni (Valfurva): „Abends kam Comforti, der Alte vom Berg, mit den Hirten und Tieren heim… Ein Bergamasker Schäfer in Abruzzen-Kostüm wollte mir einen jungen zottigen Schäferhund, dessen gebrochener Fuss mit einem Stricke umwickelt war, als Neufundländer ,soltanto per un Napoleone (nur für einen Napoleon) verkaufen. Da seine heftigen Vorstellungen, der Hund sei gegen Briganten und Wölfe unersetzlich, nicht verfangen wollten, so riefen die Anderen: ;Ma Signor, quel can lì l´e avezza contro briganti e lupi! hö! Non zé da scherzar!´
11. Juli: Übergang über das Stilfserjoch (von S. Caterina nach Trafoi): „Um 9dreiviertel Uhr Abends kamen wir nach Trafoi. Die das Thor des Wirthshauses der Frau Barbara Ortler öffnende Magd protestirte gegen die schweren Fusstritte und das G´lärm, - es seien Herrschaften droben. Nach eineinhalb Wochen wieder einmal die Wonne eines Ausziehens und eines Bettes.“
12. Juli: Von Trafoi nach St. Gertrud (Sulden, 5.840 W.F. gleich 1.848 m): „Früh (12. Juli) überhäufte uns die kluge Wirthin in dankbarer Anerkennung der Bearbeitung des Trafoier Gebiets mit Aufmerksamkeiten und bat mich, beim Herrn Statthalter in Innsbruck für die Wiederherstellung der Stilfser Joch-Strasse im Namen der Vintschgauer Gemeinden zu petitionieren. …. Abends um 9einhalb kamen wir im einsamen, vom Kuraten Eller und seinen beiden Schwestern bewohnten Vidum von St. Gertrud an und wurden freundlich aufgenommen, - wie dies in Wirthshäusern vorzukommen pflegt.“
15. Juli: Übergang über den Eisseepass (10.140 W.F. gleich 3.208 m): „Am 14. Juli strömte der Regen in gleicher Beharrlichkeit… Der 15. Juli begann wolkenlos, daher ich mit …. Pinggera um 5 einhalb Uhr vom Vidum aufbrach… Um 10 dreiviertel Uhr erreichten wir den Eisseepass. …Das Wetter verschlechterte sich. ..Man sah keine 10 Schritt weit… Doch schweren Herzens wandten wir uns bei 11.000 Fuss Höhe zur Rückkehr (vom Aufstieg zur Zufallspitze): 3 Uhr. Am Fusse der Suldenspitze vorbei, durchnässt vom tiefen Schnee, daher Pinggera bemerkte ,Ich geh´wie in einem Schaffl oder wie in einem See´…. Wir überquerten die geschlossene Ebene des Langen-Ferners…. Um 7 einhalb Uhr kamen wir zur Zufall-Alpe“. Die Marteller hatten Payer und seine Leute in den letzten Tagen schon vermisst und nach ihnen gesucht, weil Payer keine Nachricht über seine Tagesrouten hinterlassen hatte! „Jetzt geht´s gleich rein und sagt´s, was das heisst, den Leuten so viel Angst machen, dass man bereits den ganzen Ferner durchg´schaut hat“, riefen die Schäfer. Ohne dass wir es ahnten hatten die wackeren Männer, besorgt um unser Ausbleiben, täglich den Ferner begangen, den Ortsvorsteher kommen lassen und die Marteller zu gleichem Zwecke aufgeboten, bis sie das Eintreffen meiner Jäger beruhigte.“
29. Juli: Besteigung der Gramsen-Spitze (9.973 W.F. gleich 3.156 m): „Es war meine Absicht, wegen der Aufnahmen des Valle Saent im Rabbital …. zu übernachten und über die höchste Eggen-Spitze nach dem Martell zurückzukehren… Die Gewohnheit, jede Gletscherneigung zum Herabfahren zu benutzen, kam mir diessmal theuer zu stehen… Ich versuchte zu spät zu bremsen und prallte … an die Steine an, überschlug mich und fiel sehr hart auf dieselben. Schienbein, Knie und Hände wurden empfindlich verletzt… Nach harter Mühe kamen wir um 12 Uhr Nachts zu der schäbigen Osteria von Piazzola (di Rabbi)… Wirth und Wirthin … kochten Thierhäute, von ihnen Rndfleisch genannt, brachten mit Brandwein gemengten Wein und verliessen zu meinen Gunsten das campoartige Ehebett… Am anderen Morgen (30.Juli) riefen die Wirthsleute eine kräuterkundige Hexe, welche meinen Fuss mit der Pedanterie eines Anatomen untersuchte und statt der vom Doktor von Rabbi angeordneten Arnica-Umschläge Petroleum-Einreibungen verordnete.“
10. August (1868): Besteigung der Zufritt-Spitze (10.582 W.F. gleich 3.348 m): „Diese letzte der 60 Bergbesteigungen in den Ortler-Alpen, die Bearbeitung des Martell-Thales beschliessend, geschah mit dem erhebenden Gefühle, welches die endliche Erreichung eines Jahr lang mit Gefahr, Entbehrung und Mühe erschwerten Zieles zu begleiten pflegt, aber auch mit der Überzeugung, dieses vollständig gewonnen zu haben. Meinen Begleiter theilten diese Befriedigung. ,Dös nimmt si schön aus. Zufritt, und wir sind zufrieden, dass mir´n letzt´n hab´n´riefen die Jäger.
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