Kultur: Morgenerwachen

geschrieben von

Seit 14 Jahren gibt es im Rahmen der „Vinschger Palabira Tage“ in Glurns auch das „Morgenerwachen“, eine musikalisch-literarische Wanderung bei Sonnenaufgang, konzipiert und durchgeführt vom Oberschullehrer und Historiker Christof Anstein aus Glurns. Um 7 Uhr in der Früh treffen sich die Teilnehmer:innen in der Frauenkirche im Stadtzentrum zu einer besinnlichen Einstimmung. Anschließend gibt es eine rund 2-stündige Wanderung mit mehreren Haltepunkten. An den verschiedenen Stationen werden Texte vorgelesen und es erklingt Musik. Bei der Morgenwanderung erleben die Teilnehmer auch den Sonnenaufgang, Vogelgezwitscher und die verschiedenen Stimmungen auf den ganz unterschiedlichen Wegen entlang der Etsch, durch Wiesen und Felder, vorbei an Wäldern, Kapellen und Kirchen. Die Morgenwanderung wird mit einem Frühstück in einem Palabirnanger abgeschlossen. Christof Anstein und dem OK Palabir ist es bei den bisherigen Morgenwanderungen gelungen, jedes Mal einen anderen Weg zu gehen, andere Texte und eine andere Musik auszuwählen und immer in einem anderen Palabirnanger zu frühstücken. Beim 14. Morgenerwachen am Sonntag, den 10. September sorgte David Frank mit seiner steirischen Harmonika für den musikalischen Teil. An den 9 Stationen der Morgenwanderung las Christof Anstein einen fiktiven Reisebericht von Thomas Brandstätter aus Wien. Das Frühstück gab es im Groznanger unter dem blühenden Palabirnbaum von Karl und Monika Riedl an der Glurnser Stadtmauer.

Heinrich Zoderer

 

„Die Birnen der Helene“
Ein fiktiver Reisebericht von Thomas Brandstätter, Wien (Auszüge)

Die passende Kleidung
Ich war immer voll der Bewunderung für das strebsame, ländliche Leben, so auch an diesem Morgen, als ich feststellen musste, um halb sechs Uhr morgens bereits zu den Spätaufstehern zu gehören. Die gestern noch verwaist wirkende Gaststube war nun Zentrum des örtlichen Patriachats. Lediglich dem Umstand, auf meiner bisherigen Reise so manchem Dinner beigewohnt zu haben, hatte ich es zu verdanken, zu diesem von mir unterschätzen Festakt nicht völlig unpassend gekleidet erschienen zu sein, wenngleich natürlich meine Aufmachung nicht mit der prächtig-trachtenreichen Garderobe der ansässigen Bevölkerung zu vergleichen war. Auf meine Frage, ob es denn schon Kaffee gäbe, wurde ich sogleich belehrt, dass an einem solch hohen Feiertage die Ehrung der heiligen Helene sowie der himmlische Segen weitaus wichtiger wären als ein banales Frühstück. Weiters wurde, wie mir später durch den Wirt übersetzt wurde, das Fehlen eines geeigneten Ansteckstraußes an meinem Hut bemängelt. Mir wurde versichert, es wäre unmöglich, der Messe beizuwohnen, ohne sein ‚Piirnstraißl‘ zu tragen.

Der richtige Platz
Mit der ureigenen Präzision jahrzehnte-, wenn nicht jahrhundertelanger Tradition fand jeder Mensch seinen Platz und fügte sich in den festlichen Umzug ein, der dem Aufmarsche einer Armee, um nichts nachzustehen schien. Da mein geneigter Führer und Gastgeber nicht ausfindig zu machen war, blieb es mir überlassen, einen geeigneten Platz in diesem Umzug zu finden. Die einherschreitenden Männer waren eher meines Alters, so dass ich mich aufs gerade Wohl neben einen dicklichen Mann mit Glatze und Schnurrbart gesellte, der knapp hinter dem Mann marschierte, der sich im späteren Verlauf als der Bürgermeister herausstellen sollte. Die vor uns gehenden Fahnenträger straften mich zwar mit missbilligenden Blicken, doch war ich das nun an diesem Morgen schon beinahe gewohnt. Auch schien sich meine Sorge zu bewahrheiten, dass meine so trachtenferne Garderobe Unwillen auf mich zog.

Militärisch akkurat aufgereiht
Die ersten Sonnenstrahlen tauchten alles in ein sanftes Licht und machten den Ort wohl schöner als er eigentlich war. So wand sich der prächtige Zug durch die engen und durchaus malerischen Gassen, bis er an den Stufen der örtlichen Pfarrkirche Halt machte. Auf ebendiesen Stufen hatte eine ältliche und eher säuerlich dreinblickende Klosterschwester mit beeindruckender Haube die örtliche Kinderschar bereits militärisch akkurat und natürlich nach Geschlecht getrennt aufgereiht. Da standen nun die Knaben mit exakt gescheiteltem Haar, leuchtend weißen Hemden und ebensolchen Strümpfen und kurzen Lederhosen, zwei Schritt davon getrennt die Mädchen in ihren hellblauen Dirndln mit den weißen Schürzen, die langen Haarsträhnen zu sauberen Zöpfen geflochten, geschmückt mit leuchtend blauen Seidenmaschen. Einige von ihnen trugen bunte Blumensträuße in ihren Händen, Wiesenblumen, wie ich erkennen konnte, welche sie mit wacklig unsicherem Hofknicks den örtlichen Honoratioren übergaben, welche diese mit dem ureigenen überlegenen Lächeln des alternden Würdenträgers entgegennahmen. Zwei der Kleinsten, je ein Knabe und ein Mädchen traten vor und begannen mit leicht leiernder singender Stimme eine wohl barocke Ballade vorzutragen, in welcher das Leben, Wirken und das glorreiche Sterben der heiligen Helene besungen wurden.

Die Bäume segnen
Irrtümlicherweise dachte ich an dieser Stelle zuerst, die Messe hätte ein Ende gefunden, wurde allerdings am Verlassen der Kirche durch eine der Klosterschwestern gehindert und so vor einem größeren Fauxpas bewahrt. Wieder nahm der Festzug Form an, und unter Lobgesängen der Kinder zog ein gar festlicher Flurumgang rund um das Städtchen. Vor jedem größeren Birnbaum hielt der Festzug, und der Priester sprach ein paar Worte zu jedem Baum, bevor dieser durch Weihwasser gesegnet wurde. Als nun die Mauern des Städtchens einmal umrundet waren, schritt man nun einen Hügel hinan. Auf der weitläufigen Wiese, welche sich nun ziemlich am höchsten Punkt befunden haben dürfte, wurden nun die letzten Bäume gesegnet. Ein uralter Birnbaum, vermutlich wirklich von der heiligen Helene höchst selbst gepflanzt, bildete den erhabenen Abschluss. Der hiesige Schützenverein ließ es sich nicht nehmen, mit archaisch anmutenden Vorderladern einen dreifachen Salut auf die heilige Helene zu schießen.

Kartenspiel und Birnenschnaps
Zunehmend verschwanden mit der späten Stunde die Frauen und Kindern. Die Männer blieben übrig und so fand ich mich zu späterer Stunde zwischen einer Gruppe Bauern wieder, welche sich bemühten mir abwechselnd beim Kartenspiele oder einem recht seltsamen Wettkampf, bei dem versucht wird, den Gegner mittels eines eingehakten Fingers sprichwörtlich über den Tisch zu ziehen, Teile meiner Habe abspenstig zu machen- mit mäßigem Erfolg. Mit einem gewissen Stolz kann ich nun zwei Kisten Birnenschnapses sowie einen Gehstock mein Eigen nennen.

Gelesen 699 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.