Das Museion in Bozen zeigt zur Zeit die Ausstellung „Kingdom of the Ill“, übersetzt „Königreich der Kranken“. Es ist ein Zitat der Schriftstellerin Susan Sontag, die in ihrem Essay von einem Reich der Gesunden und einem Reich der Kranken spricht. Bei der Kunstausstellung im Museion in Bozen geht es ebenfalls um das Thema Gesundheit und Krankheit. Das Wort Königreich wurde im Titel jedoch bewußt durchgestrichen, um sich einer Abgrenzung zwischen Gesundheit und Krankheit zu wiedersetzen.
Kranke Menschen werden in unserer Gesellschaft heute noch vielfach ausgegrenzt, ja sogar stigmatisiert. Unter den ausstellenden Künstlerinnen und Künstlern sind auch solche, die selber chronisch krank, suchtkrank oder an einer genetischen Krankheit leiden. Aufgrund ihrer realen Erfahrungen zeigen sie Arbeiten, die den persönlich-intimen Aspekten von gemeinschaftlicher Fürsorge, von Sucht und Genesung, Trauer und Verlust nachspüren. Sie werfen unter anderem Fragen auf, wie oder von wem der kranke und gesunde Körper definiert wird.
Besondere Aufmerksamkeit verdient in dieser Hinsicht die Installation „Collective Effort“ (2022) der in Berlin lebenden Künstlerin Ingrid Hora. Es ist eine Hommage an die Teilnehmer der CHRIS-Studie im Vinschgau.
CHRIS (Cooperative Health Research in South Tyrol)
Epidemiologische Studie haben meist nur eine definierte Population von 1.000 bis 2.000 Teilnehmern, mit denen gearbeitet wird. Bei der CHRIS-Studie im Vinschgau haben an der ersten Phase über 13.000 Personen teilgenommen, sodass man einen guten epidemiologischen Überblick bekommt, was Gesundheit, Krankheit oder Genetik betrifft.
Bei der CHRIS-Studie gilt es zwischen zwei Aspekten zu unterscheiden. Einerseits ist da der wissenschaftliche Aspekt. Hier gibt es eine Unzahl von Daten, von denen man heute noch nichts Genaueres weiß. Sie sind alle noch nicht ausgewertet, zum Beispiel die DNA-Sequenzierung. Die biologischen Proben werden in der Biobank in Bozen 30 Jahre lang gelagert.
Der zweite Aspekt ist jener, der für den Einzelnen von Bedeutung ist und ihm zugute kommt. Jeder Teilnehmer erhält eine Vielzahl von Informationen über seinen Gesundheitszustand. Man findet zum Beispiel einen versteckten Zucker, ein Vorhofflimmern oder etwas anderes, was der Teilnehmer gar nicht wahrgenommen hat. Die Blut-und Urinanalysen (Standardparameter) werden vom Labor des Meraner Krankenhauses und dem Krankenhaus Bozen durchgeführt und den Teilnehmern der Studie mitgeteilt.
Aber da gibt es noch einen weiteren, interessanten Aspekt. Den Teilnehmern der Studie wird bewußt, dass sie an etwas Größerem teilnehmen. Ihre persönlichen Daten fließen in ein weltweites Netzwerk, Wissenschaftler aus aller Welt arbeiten daran, gezieltere und wirksamere Behandlungs- und Präventionsmöglichkeiten für verschiedene Krankheiten (Herzkreislauf-, neurologische und Stoffwechselerkrankungen) zu entwickeln.
„Collective Effort“
Dass die Teilnehmer jetzt durch eine Kunstinstallation im Museion in Bozen gewürdigt werden unterstreicht die Bedeutung der Studie. Die Installation „Collective Effort“ von Inrid Hora ist das Porträt einer gemeinsamen Anstrengung und besteht aus einer Sammlung von Tonabdrücken. Jeder einzelne Abdruck ist anonym und individuell und entstand durch die geballte Faust einer Person, die ihren Fingerabdruck im frischen Ton hinterließ. Die Abdrücke hängen auf einer Harpfe, einer klassischen Südtiroler Holzstruktur zum Trocknen von Heu und stammen von den freiwilligen Teilnehmern aus dem Vinschgau, von Ärtzt:innen, Pflegepersonal und Verwaltungsangestellten. Als Gesamtwerk hat die Installation symbolischen Charakter. Einerseits verweist es auf die Rolle des Individuums, andererseits stellt es das vielfältige Gefüge eines solchen Forschungsprojektes dar.
Julia Frank
Unter den Südtiroler Künstlerinnen stellt neben Ingrid Hora mit „Collective Effort“ (2022) und Barbara Gamper mit „The Big Blue“ (2014-2015)) auch Julia Frank aus Laatsch aus. Frank lebt zur Zeit in Wien und zeigt fünf Arbeiten, darunter zwei großformatige auf Papier. Das Diptychon „un(d)endlich“ (2021) entstand im Anschluss an eine kürzlich erfolgte Operation und die darauffolgende Genesungsphase. Es wurde nach Fotografien gemalt, die Frank während ihres Krankenhausaufenthaltes von sich selbst aufgenommen hat. Dem Diptychon gegenüber hängen zwei assimilierte Schilder. Das eine „Playstadium“ (2021) bezieht sich auf den digitalen Sog und die exponentiell steigende, täuschende Selbstdarstellung, welche Abhängigkeit und psychisch sozialen Druck zur Folge hat. Das andere Schild „Propaganda“ (2022) nimmt Bezug zur weißen Feder, welche junge Britinen im Ersten Weltkrieg fremden Männern überreichten und sie so öffentlich als vermeintliche Kriegsverweigerer brandmarkten. Das dritte, am Boden liegende Schild „to maintain“ (2015), ist Teil der Masterarbeit von Julia Frank und bezieht sich auf den Schönheitswahn, welchen Frauen, aufgrund des dominanten, männlichen Blickes, hinterherlaufen.
Die zwei Kuratoren der Ausstellung „Kingdom of the Ill“ stammen aus den USA und die Vermittlung wurde weiteren potentiellen Besucher:innengruppen zugänglich gemacht, zum Beispiel ein Katalog in reduzierter, einfacher Sprache. Die Ausstellung ist noch bis zum 5. März 2023 zugänglich.
Peter Tscholl