Normalerweise treffen wir uns im Winter auf der Langlaufloipe um Fuldera im Münstertal. Dort aber meist flüchtig, um ja jede Minute unseres geliebten Ausgleichssports zu genießen. Diesmal ist alles anders, wir treffen uns in Taufers im Münstertal und wir nehmen uns richtig Zeit. Michael Fliri ist Künstler und er hat viel zu erzählen. Seinen elterlichen „Erbstadl“ hat er in den letzten zwei Jahren gemeinsam mit der Designerin Antoinette Bader zu einem Wohnatelier umgebaut. Dabei ist ein Haus im Haus bzw. Stadel entstanden, in dem er vielfältige Kunstprozesse entwickeln und erarbeiten kann.
von Ludwig Fabi
Das Stadeltor wurde zu einem Empfangsportal umgestaltet, welches aus Vollholz nach außen schützt und nach innen öffnet. Die Küchenzeile ist bereits halb installiert, im Obergeschoss eine überdimensionale Sitzgruppe im Aufbau, die restlichen Wohnräume bereit für die letzten Möbel. Der Atelierraum, mit eingerichteter Bücher- und Werkwand, ist Stadel hoch und mit natürlichem und künstlichem Licht so ausgerichtet, dass er als Arbeits- und Ausstellungsraum gleichermaßen dient. Wände und Räume wirken wie funktionale Kunstprojekte. Gestützt auf Eisenträgern und Säulen haben Michael Fliri und Antoniette Bader die Entwürfe der Architektengruppe columbosnext aus Innsbruck mit viel Eigenarbeit umgesetzt. Die Räume scheinen zu schweben und sind doch geschützt von den alten Mauern des Stadels. Ein Rahmen im Rahmen, ein Rahmen eigens geschaffen für die Umsetzung von Inspirationen, Ausdrucksweisen und Lebenseinstellungen mittels der Kunst. Michael Fliri bedient sich dabei verschiedenster Techniken und Richtungen, welche von Performance, Video, Fotografie und skulpturalen Gestalten reichen. Die Corona-Pandemie hat die Fertigstellung des Ausbaues wohl vorangetrieben, weil Ausstellungsprojekte in Madrid und Belgien kurzfristig abgesagt wurden. Michael Fliri fühlt sich in den neuen Räumlichkeiten seiner Wurzeln und seinem materiellen Erbe verpflichtet. Diese Wurzeln spielen in seinem künstlerischen Schaffen eine bedeutende Rolle, aus denen er verschiedenen Formen von Verwandlung, Dualität und Neubeginn hervorgebracht hat. Dabei bleibt er nicht oberflächlich, sondern geht in die Tiefe. Das Tragen von Masken bei lokalen Bräuchen wie Nikolaus- und Krampus Umzügen haben ihn wohl nachhaltig geprägt. Dabei interessiert ihn nicht so sehr die Außenwirkung, sondern die Innenansicht und die Rückseite der Masken. Diese Zwischenräume der Fantasie und des Empfindens scheinen sich auch in seine Atelierwohnung übertragen zu haben. Es sind nur sieben Zentimeter Luft zwischen den Außenwänden aus Stein und den Innen Bau. In seinen Kunstprojekten my private fog I und II hat er noch weniger Platz und noch weniger Luft. Er holt sich dabei Steine aus der Umgebung, macht Abdrücke und stülpt diese Abdrücke vor sein Gesicht, lässt den Gegensatz von Körperwärme und Außenwelt so lange auf sich wirken, bis ihn im wahrsten Sinne des Wortes die Luft ausgeht. In diesem Zustand entstehen neue Gedanken und Fragen wie: Was stellt dieser Zwischenraum mit uns an? Welche Möglichkeiten bietet er? Wie gehen wir mit unserem Leben und unserer Umwelt um? Die Welt auf den Kopf stellen, neue Gedanken zulassen und sich immer wieder neu zu erfinden, das sind die Themen, welche Michael Fliri mit seiner Kunst ausdrückt. Kopfüber lässt er sich in einem weiteren Kunstprozess im Sog des Wassers im Vernagter Stausees im Schnalstal treiben. Solche Prozesse, solche Potentiale interessieren Michael Fliri. Er stülpt Festgefahrenes gerne von innen nach außen und versucht deren Wirkung und Mutation zu ergründen. Dafür hat sich Fliri jetzt ein neues Umfeld geschaffen, aus Respekt vor dem Leben seiner Vorfahren, aus Liebe zur Natur- und Bergwelt im Münstertal. Sich trotzdem immer wieder neu zu erfinden, sich ständig prozesshaft zu verwandeln, uns durch die Masken und Seelen des Lebens zu blicken.