Gesundheitslandesrätin Martha Stocker will die Sanität gesundschrumpfen - reformieren, umschichten, zurückstufen, verschlanken, einiges auf das Territorium umlagern. Was auch immer. Jedenfalls soll eingespart werden - landesweit. Die Kostensteigerungen im Sanitätswesen betragen jährlich 20 Millionen Euro. Rund 1200 Millionen Euro kosten Krankenhäuser, Medikamente, Sanitätssprengel und Verwaltung pro Jahr. Sie sei angetreten, um eine langfristige Finanzierbarkeit des Systems Sanität zu sichern.
Plakativ hat Martha Stocker in der Mensa des Krankenhauses von Schlanders die Zahl von 3,3 Millionen Euro an die Wand projiziert. Soviel kostet die Sanität Südtirol pro Tag. Vor der internen Veranstaltung für das Krankenhauspersonal am 2. Oktober schritt Stocker eine mit Kerzen schweigend protestierende Menschenmenge ab. Viele haben den Handschlag der leutseligen Landesrätin abgewiesen. Eine frostige Begegnung, die sich dann in der Krankenhausmensa fortzusetzen drohte. Die ansonsten farbenfroh gekleidete Stocker hat für den Abend in Schlanders schwarz gewählt, mit weißpunktierter Bluse.
Stocker brachte Vorschläge, welche sanitäts-interne Arbeitsgruppen ausgearbeitet hatten. Demnach soll das Krankenhaus Schlanders in eine Tagesklinik umgewandelt werden: Tagesklinik für die Abteilungen Chirurgie, Orthopädie, Gynäkologie, Pädiatrie und Notaufnahme. Stationär soll eine interdisziplinäre Bettenstation mit Schwerpunkt innere Medizin bleiben. Die Erstversorgung, den Notdienst, sollen die Basismediziner in einem 24-Stundendienst übernehmen. Will heißen: Ein Blinddarm würde künftig in Meran operiert. Die Schlanderser Chirurgie wäre demnach zum Koma verdammt. Ein Aufwachen ungewiss.
Die Diskussion danach war heftig: Es ist der ärztliche Leiter Anton Theiner, der als Erster das Wort ergreift. „Wenn wir als Chirurgie in eine Tagesklinik zurückgestuft werden, würde unser Grundversorgungsauftrag nicht mehr gegeben sein. Ich glaube, dass wir als Krankenhaus über kurz oder lang dann aufhören zu existieren“, sagt Theiner. „Wir haben in letzter Zeit viele Anstrengungen gemacht, in der Orthopädie, in der Chirurgie, in der HNO usw. und mit einem Federstrich wären alle diese Dinge vorbei.“ Theiner erntet mit seinen Aussagen großen Applaus. Ganz weg sei die Chirurgie oder die Orthopädie in Schlanders in diesem Reformvorschlag nicht , entgegnet Stocker und erntet Murren im Saal. In ganz Europa gehe es hin in Richtung Tageschirurgie.
Deutlich wird der Orthopäde Michael Raffl: „Tageschirurgie ist für mich keine Orthopädie.“ Er sei 2006 als Oberarzt in Salzburg mit der Bitte kontaktiert worden, mitzuhelfen eine Orthopädie in Schlanders aufzubauen. 2006 sei die erste Hüfte in Schlanders operiert worden. Das Hüftprothesenproblem habe man in Südtirol durch die Leistung der peripheren Krankenhäuser gelöst. Innerhalb 2-3 Monaten könne implantiert werden. 2010 wurde im Zuge der klinischen Reform von der Landesregierung beschlossen, dass unter anderem das Zentrum für Gelenksprothesen und Alterstraumatologie in Schlanders errichtet werden solle. Allerdings, so Raffl, sei dieses Zentrum dann in Brixen geplant worden, was „wie zufällig mit dem Wechsel des Landesrates zeitlich zusammengefallen ist.“ Es habe keine Beschlüsse gegeben, die jenen Landesregierungsbeschluss aufgehoben hätten. „Und wir arbeiten jetzt daran, die Orthopädie in Schlanders ganz zu schließen“, sagt ein verbitterter Raffl. Dass 2012 ihm, Raffl, mündlich zumindest, zwei weitere Orthopäden versprochen wurden, erwähnt er nebenbei. Und bringt mit dieser Wortmeldung eigenwillige Betriebsinternas aufs Tapet. Als Orthopäde am KH Schlanders ist Raffl jenes Symbol, welches für die Stärkung eines peripheren Krankenhauses als Kompetenzzentrum steht. Sein Vorschlag: Man solle Einnahmen über Privatpatienten - über Versicherungen - generieren.
Das von Landesrätin Stocker vorgeschlagene Konzept sehe vor, dass ein Blinddarm künftig in Meran operiert werde. Der Sanitätsdirektor Oswald Mayr beantwortete damit die präzise Frage von Chirurgie-Primar Peter Stecher. Buh-Rufe im Saal. Eine chirurgische Tagesklinik sehe das vor. Ansonsten müsse man das vorgeschlagene Konzept ändern, sagte Mayr. Und anstelle einer Tagesklinik die Chirurgie und die Orthopädie belassen. Für diese Überlegung erntete Mayr Applaus. Die Landesrätin sei nicht mit fertigen Vorstellungen gekommen.
„Mir ist wichtig, zu hören, was Sie an Argumenten einzubringen haben“, sagt Stocker. Vehement wehrte sich Stocker gegen Unterstellungen, dass man Entscheidungen ohne sachlichen Hintergrund getroffen habe. Das sei ihr noch nie passiert. Raffl wird sich später für seine Aussagen entschuldigen.
Zu Wort meldeten sich die Primare Robert Rainer und Oreste Pieramico. Der Prader Gemeindearzt Wunibald Wallnöfer sprach die Problematik des Territoriums an. Man solle sich doch überlegen, die Primariate für die Allgemeinmedizin abzuschaffen.
Der OP-Koordinator Karl Rinner wies auf Widersprüchlichkeiten im vorgeschlagenen Konzept hin. Wenn die Geburtshilfe aufrecht erhalten bleibt und mit dem 24 Stundendienst, dann würde dies auch die Chirurgie aufrechterhalten. Die Chirurgie soll ja auf Tagesklinikniveau zurückgestuft werden. Was denn nun?
Gleichzeitig zur Informationsveranstaltung im KH Schlanders gab es im Vinschgau eine Art lokale Elefantenrunde: Politische Vertreter, BM und Mandatare trafen sich mit BM Dieter Pinggera zu einer Strategiebesprechung der anderen Art. Das was dort besprochen wurde, verrät in Grundzügen Pinggera im Interview.
„Tagesklinik ist für uns ein absolutes Tabu“
Vinschgerwind: Martha Stocker schlägt vor, das KH Schlanders in eine Tagesklinik umzuwandeln. Die Ärzteschaft befürchtet dann das Ende des KH. Was halten Sie davon?
Dieter Pinggera: Es ist sonnenklar, dass für den Vinschgau eine Umwandlung der Chirurgie oder einer anderen Abteilung in eine Tagesklinik absolut nicht in Frage kommt. Dies ist für uns ein absolutes Tabu!
Stocker hat in Schlanders gesagt, dass sich das Krankenhauspersonal keine Sorgen um die Arbeitsplätze machen muss. Ist so eine Aussage glaubhaft?
Die Arbeitsplätze waren bei den vielen Aussprachen immer ein Thema, ebenso wie die Wertschöpfung, die volkswirtschaftliche Bedeutung des Krankenhauses, die Strukturschwäche unseres Tales und die Gefahr der Abwanderung. Es wurde uns auch von der Landesrätin immer bestätigt, dass keiner um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Ich denke, ihre Aussage bezogen auf die bestehenden Arbeitsplätze ist glaubhaft.
Eines sind die Arbeitsplätze für das Stammrollenpersonal, etwas anders das Werksvertragspersonal.
Jene mit Werksvertrag befinden sich sicherlich in einer schwächeren Position. Aber, ich wiederhole, der Vinschgau verteidigt das Krankenhaus, so wie es heute da steht mit all seinen Abteilungen. Und wir setzen uns dafür ein, dass Spezialisierungen und neue Angebote, wie vereinbart, in Schlanders angesiedelt und ausgebaut werden.
Als BM des KH-Standortes Schlanders haben Sie Informationen aus erster Hand. Ist der Reformvorschlag bereits beschlossene Sache?
Nein, mit Sicherheit nicht! Es ist ein Vorschlag, den interne Arbeitsgruppen des Sanitätsbetriebes ausgearbeitet haben. Uns wurde mehrfach versichert, dass die Bezirke und Krankenhäuser nun alternative Vorschläge unterbreiten können und diese bewertet und gemeinsam diskutiert werden.
Ist das KH Schlanders tatsächlich zu teuer?
Nein, wir haben bereits heute Zahlenmaterial zur Verfügung, das belegt, dass das Krankenhaus Schlanders eine sehr gute Performance leistet und unter den Südtiroler Standardkosten liegt! Das Krankenhaus Schlanders hat ein Budget von rund 25 Millionen Euro; bei einem Haushalt im Sanitätsbereich von 1.200 Millionen Euro macht das Krankenhaus Schlanders somit nur rund 2 % des Gesamtbudgets aus! Die Standartkostenvergleiche, die Benchmarks und die Pasdera-Studie stellen dem Krankenhaus Schlanders ein sehr zufriedenstellendes Zeugnis aus und wir brauchen keine Vergleiche zu scheuen.
Wir gehen davon aus, dass Sie die Pasdera-Studie in der Hand haben.
Ich kenne erste Auszüge der Pasdera-Studie, und die Landesrätin hat uns kürzlich versichert, dass wir das gesamte Zahlenmaterial zur Verfügung gestellt bekommen, allerdings für den internen Gebrauch.
Die Menschen im Tal gehen auf die Barrikaden und protestieren. Was gedenken die Vinschger Politiker zu tun?
Die Vinschger Politiker sind seit Monaten sehr aktiv. Wir verteidigen die Anliegen und Interessen unseres Krankenhauses, der Mitarbeiter und vor allem der Patienten des Vinschgaus. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht Gespräche mit der Landesrätin, mit dem Ressort, auf Parteiebene oder mit den Spitzenfunktionären des Sanitätsbetriebes führen. Wir haben das gesamte Datenmaterial angefordert und erstellen einen Alternativvorschlag, der keine wesentlichen Einschnitte für das Krankenhaus Schlanders mit sich bringt.
Wird es bei Ihren Alternativvorschlägen zu Einsparungen kommen? Das ist ja die große Idee der Reform.
Unser Ziel ist es, Einsparungen auf Sanitätsbezirksebene zu erreichen. Eines noch: Schlanders kann unmöglich mit Innichen und Sterzing verglichen werden. Wir haben eine völlig andere Ausgangssituation, ein völlig anderes Einzugsgebiet abzudecken und völlig andere Distanzen zu bewältigen. Wir haben bei der Geburtenabteilung Gehör gefunden, und das freut uns, da die Geburtenabteilung im Vorschlag der Landesrätin nicht in Frage gestellt ist. Aber all diese Argumente müssen um so mehr noch für die Chirurgie, das Herzstück eines jeden Krankenhauses, gelten.
Interview: Milena Maas
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