Die Gemeinde Laas hat diese Anregung aufgegriffen und in Zusammenarbeit mit dem Künstlerbund, dem Bildungsausschuss und der Bibliothek Laas am 22. März zu einer Diskussionsveranstaltung über Franz Tumler eingeladen. Ferruccio Delle Cave, Kurator des Franz-Tumler-Preises und Leiter des Kreises Südtiroler Autoren im Südtiroler Künstlerbund konnte namhaften Referenten und viele Tumlerfreunde begrüßen, welche sich einen ganzen Nachmittag lang mit Franz Tumler, seinem Werk und seiner NS-Vergangenheit beschäftigt haben. Bürgermeister Andreas Tappeiner erinnerte daran, dass Tumler nicht nur regelmäßig nach Laas kam, um seine Verwandten zu besuchen, sondern auch viel über Laas geschrieben hat und deshalb die Bibliothek, eine Straße und der über Südtirol hinaus bekannte Literaturpreis seinen Namen trägt. 1982 - zu seinem 70. Geburtstag - erhielt Franz Tumler die Ehrenbürgerschaft der Gemeinde Laas. Herbert Raffeiner, in dieser Zeit Kulturreferent, erzählte, dass es damals keine Diskussion über die Rolle Tumlers während der Zeit des Nationalsozialismus gegeben habe. Der Gemeinde sei damals auch nicht bekannt gewesen, dass Tumler besonders mit seinem Werk „Der Soldateneid“ zu den 10 bedeutendsten Autoren des NS-Regimes gezählt hatte und mehrfach ausgezeichnet worden war.
Die Ambivalenz zwischen politischer Unterwürfigkeit und der Suche nach dem eigenen Weg
Hans Heiss beleuchtete als Historiker und als Experte für die regionale Zeitgeschichte den gesellschaftspolitischen Hintergrund, in dem Franz Tumler aufwuchs und der sein Denken prägte. Es war die Kriegserfahrung, der Mangel, die Entbehrungen und die Härten dieser Zeit. Seine Generation lebte in der Zerrissenheit zwischen Faschismus und Nationalsozialismus. Durch den Faschismus ihrer Kultur beraubt, lag die Hoffnung auf Deutschland und nach dem Anschluss Österreichs ersehnten viele die „Heimholung“ Südtirols ins Reich. Der frühe Tod des Vaters und die Umsiedlung nach Linz verstärkten bei Tumler die Unsicherheit und das Gefühl der Nichtzugehörigkeit. Bemerkenswert ist nach Heiss, dass Tumler nach dem Krieg mit dem jüdischen Essayisten Jean Amery befreundet war. Wilfried Stimpfl erzählte in der Diskussion, dass seine 103 Jahre alte Mutter ihm die Frage stellte: Was wisst ihr Jungen, wie es damals war? Thomas Strobl, der seine Diplomarbeit über Tumler geschrieben hat, stellte die Frage nach der Wahrheit. Es sei nicht einfach diese bei Tumler zu finden. Er war nicht ehrlich und habe getrickst, habe aber viele Spuren gelegt und ein phantastisches Werk hinterlassen. Deshalb sei die Gemeinde Laas zu beglückwünschen, ihn zum Ehrenbürger gemacht zu haben, aber auch der Preisträger, der es gewagt habe, auf die Vergangenheit von Tumler hinzuweisen. Tumler sei nicht vollendet und werfe viele Fragen auf, diesen müsse man sich stellen, so Strobl. Stimpfl meinte, dass die Wahrheit viele Gesichter habe.
Tumler hat sich nicht explizit vom Nationalsozialismus distanziert, aber einen Bruch in der Schreibweise vollzogen und eine neue Erzählweise entwickelt
Universitätsprofessor Johann Holzner aus Innsbruck betonte in seinem Referat, dass im Werk Tumlers vor der Zeit und nach der Zeit des Nationalsozialismus keine Nähe zu dieser Ideologie zu finden sei. Im Werk „Der Soldateneid“ ist die Begeisterung für die Nazi-Ideologie erkennbar, aber besonders nach dem Zweiten Weltkrieg hat Tumler eine neue Schreibweise entwickelt. Im Werk „Wie entsteht Prosa“ reflektiert er über die Sprache. Wissen und Erkenntnis werden in Frage gestellt. Nach seiner Übersiedlung nach Berlin war Tumler mit Autoren wie Böll und Benn und der Gruppe 47 in Kontakt und entwickelte mit seinen literarischen Werken eine neue Erzählweise. Allerdings hat er sich nie explizit von der NS-Ideologie und seinem politischen Engagement in dieser Zeit distanziert.
Literarischer Außenseiter und Vorreiter der Moderne
Nach Dorothea Zanon vom Haymon Verlag hat sich Tumler durch seine geänderte Schreibweise leise aber glaubwürdig von seinen Schriften aus der Zeit des Nationalsozialismus distanziert. Sie zeigte sich erfreut, dass der Haymon Verlag einige Werke von Franz Tumler neu herausgibt und so ein etwas in Vergessenheit geratener Schriftsteller wieder gelesen werden kann. Tumler hat viele junge Autoren beeinflusst und sein Werk ist nach wie vor aktuell. Zanon betonte besonders die Lebendigkeit der Sprache und das genaue Darstellen menschlicher Beziehungen. Damit ist Tumler ein Vorreiter der Moderne. Wilhelm Burger, der seine Dissertation über Tumler geschrieben und ihn in den letzten fünf Lebensjahren regelmäßig besucht hat, erzählte, dass Tumler viele junge Schriftsteller gefördert hat. Über seine NS-Vergangenheit wollte er aber nicht sprechen. Auch Herbert Raffeiner, der Tumler zweimal in Berlin besuchte, hat ihn auf seine NS-Vergangenheit angesprochen. „Man unterliegt im Leben Irrtümern!“ Mehr wollte Tumler dazu nicht sagen.
Niemand forderte die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft
Bei der Diskussionsveranstaltung stellte niemand die Forderung, Tumler die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen bzw. die Straße und die Bibliothek sowie den Tumler-Preis umzubenennen. Franz Tumler ist unbestritten eine literarische Größe, ein Vorreiter der Moderne, der Vater der Südtiroler Gegenwartsliteratur. Verena Tröger, die Kulturreferentin, teilte am Ende der Veranstaltung mit, dass im Herbst ein Film über Tumler gezeigt und die Diskussion über seine Person und sein Werk weitergeführt wird.
Franz Tumler
Kurze Biographie:
1912 in Bozen geboren
sein Vater, Gymnasiallehrer, starb 1913
seine Mutter war aus Oberösterreich
er lebte nach dem Tod seines Vaters in Linz
1930 – 1938 Grundschullehrer
seit 1938 freier Schriftsteller
1941 freiwilliger Kriegsdienst, Marineartillerie
seit 1952 Aufenthalte in Berlin
Direktor der Literaturabteilung der Akademie der Künste
1998 in Berlin gestorben und begraben
Bekannte Werke
Das Tal von Lausa und Duron, 1935
Der Soldateneid, 1939
Ein Schloss in Österreich, 1953
Der Mantel, 1959
Nachprüfung eines Abschieds, 1961
Volterra. Wie entsteht Prosa, 1962
Aufschreibung aus Trient, 1965
Schüsse auf Dutschke, 1968
Welche Sprache ich lernte, 1970
Das Land Südtirol, 1971
Neue Werkausgaben im Haymon Verlag
Aufschreibung aus Trient. Roman
Nachprüfung eines Abschieds. Erzählung
Der Schritt hinüber. Roman
Volterra. Wie entsteht Prosa
Das Zerteilen der Zeit, Gedichte
Einige Ehrungen
1967 Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
1971 Adalbert-Stifter-Preis
1981 Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse
1982 Ehrenbürgerschaft der Gemeinde Laas
1985 Walther-von-der-Vogelweide-Preis
1985 Verdienstkreuz des Landes Tirol