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Kultur: Lapislazuli und die Marienberger Kryptafresken

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Krypta von Marienberg; Foto: René Riller Krypta von Marienberg; Foto: René Riller

Ein Kleinod romanischer Wandmalerei befindet sich in der Krypta der Benediktinerabtei Marienberg oberhalb Burgeis. Die hervorragende Qualität und der überraschend gute Erhaltungszustand der Kryptafresken, stellen die Ausmalung in die erste Reihe romanischer Wandbilder in Europa.

von Peter Tscholl

1160 weihte Bischof Adalgott von Chur die Krypta Marienberg, welche zu Beginn des Baues errichtet wurde. Hier versammelten sich die Mönche zu Gottesdienst und Stundengebet bis das Kloster fertiggestellt war. In der Zeit zwischen 1175 und 1180 wurde die Krypta ausgemalt. Wahrscheinlich schon nach der Weihe der Michaelskapelle und sicherlich ab 1201, als die Stiftskirche geweiht wurde, verlagerte sich die Liturgie in die Oberkirche. Über die weitere Verwendung der Krypta ist wenig bekannt. Im 17. Jahrhundert diente die Krypta als Gruft für den Konvent. 1887 ließ Abt Leo Maria Treuinfels in der Krypta die barocke Tünche entfernen und stieß dabei auf die romanischen Fresken. Die Mitteilungen der k.k. Central-Commission als führende Zeitschrift für Denkmalpflege in der Donaumonarchie veröffentlichte die bedeutsame Entdeckung. In den folgenden Jahren wurde mit der Freilegung der Fresken fortgefahren. 1927 nahm man im Auftrag des Staatsdenkmalamtes in Trient eine Restaurierung der Fresken vor. In ihrer Gesamtheit wiederentdeckt wurden sie jedoch erst im Jahre 1980 durch den Abbruch der Grufteinbauten unter Abt Stephan Pamer. Der Eindruck war umso überwältigender, als die westliche Hälfte der Fresken, die nie übertüncht gewesen war, nach der Reinigung in nahezu originalem Zustand in wunderbaren Farben ans Licht kam.

Lapislazuli – Göttliches Blau

Unter den Freskofarben nimmt Blau die wichtigste Stellung ein. Hergestellt wurde das blaue Pigment durch ein aufwendiges Verfahren aus dem Halbedelstein Lapislazuli. Bis zur industriellen Herstellung des synthetischen Ultramarinblau im Jahre 1828 war der Farbstoff eines der wichtigsten Blaupigmente auf Künstlerpaletten. Lapislazuli wurde für seine intensive blaue Farbe sehr geschätzt und spielte in der abendländischen Kunst eine große Rolle. Da das Pigment aber außerordentlich teuer war, wurde es nur sparsam verwendet. Eines der bekanntesten Beispiele, die mit filtriertem Lapislazuli als Pigment gemalt wurden, sind Giottos Fresken in der Cappella degli Scrovegni in Padua. In der Krypta von Marienberg ist es ebenfalls echter, aufgeriebener Lapislazuli, mit 10 bis 30 Mikrometer (µ) großen Körnern, die auf einer Grauuntermalung, bestehend aus Kalk und Reb-schwarz, liegen.

Lapislazuli wurde erstmals bereits im 7. Jahrtausend v. Chr. im heutigen Afghanistan entdeckt. Besonders seine goldenen Pyrit-Einschlüsse, die wie kleine Sterne im tiefen Blau leuchten, geben ihm eine besondere Symbolik. Der Stein wird oft als das Tor zur spirituellen Welt betrachtet. Für die alten Ägypter war Lapislazuli das Kostbarste, was sie besaßen und gaben es ihren Pharaonen auf die Reise in das Jenseits mit (Mumienmaske des Tutanchamun). Nach Europa kam der blaue Stein erst im Mittelalter. Gefährliche und lange Reisen waren dafür nötig. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass das kostbare Blau in der europäischen Malerei nur für die Figur der Maria (in der frühchristlichen Tradition galt Lapislazuli als Stein der Jungfrau Maria), für Christusdarstellungen oder für den Himmel verwendet werden durfte. Nicht jeder Auftraggeber konnte es sich leisten, es zur Verfügung zu stellen.

Was könnte eine Antwort auf die Frage sein, wie das kostbare Blau nach Marienberg kommen konnte? Die Maltechnik entspricht der Empfehlung des Benediktinermönchs Theophilus, dem Verfasser des wichtigsten, im 12. Jahrhundert geschriebenen Traktats über römische Malerei. Theophilus Presbyter hatte in dem Traktat „De diversis artibus“ (deutsch: „Über die verschiedenen Künste“) die verschiedenen Kunsthandwerkstechniken des Mittelalters ausführlich dargestellt. Eine mögliche Antwort könnte auch in der überregionalen Bedeutung der Benediktinerabtei um 1200 zu finden sein. Die ersten fünf Äbte in Marienberg pflegten nämlich eine enge Beziehung zum Kloster in Ottobeuren. Ulrich III. von Tarasp hatte zu den Vögten von Ottobeuren, den Grafen von Ronsberg, eine gute Beziehung. Die überregionale Bedeutung der Abtei ergibt sich auch aus der Tatsache, dass der Abt zweimal als Richter in kirchlichen Verfahren, 1194 im Prozess gegen Bischof Heinrich II. von Chur und 1211 in einem Streit zwischen Bischof Friedrich von Trient und einem Bürger aus Verona, aufscheint.

Die Marienberger Kryptafresken

Der Name des Malers ist unbekannt. Der Malstil entspricht dem allgemeinen Benediktinerstil des 12. Jahrhunderts und geht unter anderem auf byzantinische Vorbilder zurück. Das gesamte Bildprogramm orientiert sich um den thronenden Christus – Pantokrator, dem bevorzugten Thema romanischer Malerei. Umgeben wird Christus von den Apostelfürsten Petrus und Paulus, den Evangelisten in Symbolgestalt und den Chören der Engel.
Hauptquelle für jedes schöpferische Gestalten im Mittelalter war die Bibel. Im Fall von Marienberg spielt noch eine andere Tatsache eine entscheidende Rolle. Blickt man nämlich auf die Gründungsgeschichte des Klosters, so ergibt sich ein überraschendes Zusammentreffen von Fakten. Ulrich III. von Tarasp pilgerte zwischen 1145 und 1149 zweimal nach Rom, um von Papst Eugen III. die Erlaubnis zur zweimaligen Standortverlegung des von ihm gegründeten Klosters zu erlangen. In diese Jahre fiel auch die Trierer Synode und die Beschäftigung des Papstes mit den img892drei großen Visionsschriften der heiligen Hildegard von Bingen. Ulrich III. war ein tief religiöser Mensch und mit Abt Albert I. eng verbunden. Es ist naheliegend, dass Abt Albert I. und der Maler der Fresken Kenntnis hatten vom Werk der Heiligen Hildegard und Spuren ihrer spirituellen Visionen im Bildprogramm hinterließen.
Bezüglich der inhaltlichen Bedeutung des von Engelbildern geprägten Freskenzyklus schreibt Mechthild Clauss in ihrem Buch „Die Engel von Marienberg im Licht spiritueller Deutung“, bearbeitete Auflage, 2023: „Von größter und nicht hoch genug einzuschätzender Bedeutung ist die Tatsache, dass diese in ihrer Vollständigkeit wiedergewonnenen Fresken sich als geschlossenes Ganzes erweisen – ein Ganzes, das wegen seiner drei in sich zusammenhängenden Teile als Zyklus bezeichnet werden kann. Wie allerdings die einzelnen Teile dieses Zyklus aufeinander bezogen sind und welches Thema sie entfalten, ist nicht ohne weiteres zu erkennen. Die Fresken geben ein Rätsel auf. Es fehlt ihnen das erzählende Element; die im Mittelalter so häufig an Wänden und Portalen der Kirchen zu findende Darstellung biblischer Ereignisse ist nicht ihr Anliegen. Der Zyklus ist auf keinen bestimmten biblischen Text bezogen, wie es etwa bei der Buchmalerei der Fall ist, deren Miniaturen das geschriebene Wort illustrieren, wodurch das Bild und Wort eng miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig erhellen.“

Die Marienberger Kryptafresken bleiben ein Geheimnis. Die Mönche werden in ihrem Chorgebet hineingenommen in den himmlischen Gottesdienst und so an ihre Aufgabe erinnert.

 

„Es gibt noch Orte
die zu suchen
es sich
ein Leben lang lohnt“.

Konrad Rabensteiner

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