Kultur: ARS SACRA - Kirche und zeitgenössische Kunst

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Die St. Nikolauskirche in Latsch und das Glasfenster von Robert Scherer gestiftet 2008 von Prof. Manfred Fuchs (Raumfahrtingenieur), Ehrenbürger der Gemeinde Latsch Die St. Nikolauskirche in Latsch und das Glasfenster von Robert Scherer gestiftet 2008 von Prof. Manfred Fuchs (Raumfahrtingenieur), Ehrenbürger der Gemeinde Latsch

Ars sacra (lat. für „heilige Kunst“) umfasst im allgemeinen Sinn alle Bereiche künstlerischen Schaffens, die christliche Inhalte zum Thema haben. Die europäische Kunstgeschichte ist geprägt von der christlichen Kunst und ohne sie gar nicht zu begreifen. Das Verhältnis von Kirche und zeitgenössischer Kunst ist kein einfaches. Aber auch heute noch beschäftigen sich Künstler mit sakralen Themen.

von Peter Tscholl

Sakrale Kunst war immer Auftragskunst und die Künstler standen im Dienst der Kirche. Bis herauf ins 19. Jahrhundert hat es immer qualitätsvolle Kunst in Kirchen gegeben. Im 19. und 20. Jahrhundert löste sich die Kunst von ihrem der Kirche dienenden Charakter mehr und mehr und wurde autonom. Kunst ist nicht mehr unbedingt figurativ. Problematisch wurde es vor allem deshalb, weil viele Menschen keinen Zugang mehr zu der abstrakten Kunst fanden. So kam es zu einem Bruch zwischen Kirche und Moderne, den Papst Paul VI. (1897-1978) im Schreiben „Evangelii s32 kunstnuntiandi“ (1975) als „das Drama unserer Zeit“ bezeichnete. Dem Papst war es ein Anliegen, die Beziehung zwischen Kirche und Kunst wieder herzustellen und zeigte eine außergewöhnliche Offenheit für die Gegenwartskunst, vor allem für die Bildende Kunst. Paul VI. lud Künstler in die Sixtinische Kapelle ein, um für einen Dialog zu werben. Mit den von ihm gesammelten Werken moderner religiöser Kunst errichtete er eine eigene Abteilung in den Vatikanischen Museen. Er beauftragte auch mehrere zeitgenössische Künstler und somit entstanden auch neue Werke im Vatikan.
Heuer besuchte zum ersten Mal in der Geschichte ein Pontifex die Biennale in Venedig. Mit seiner Präsenz wollte Papst Franziskus die Beziehung zwischen Kirche und Kunst festigen und vertiefen. „Il mondo ha bisogno di artisti“, sagte er. Mit den vielfältigen Ausdrucksarten der Kunst soll eine Interaktion zwischen Zeitgenossenschaft und religiösen Motiven reaktiviert werden.

In letzter Zeit gab es mehrere künstlerische Interventionen in Kirchen und Kapellen auch in unserer Gegend. Sakrale Kunstwerke wurden aufgestellt und/oder neu errichtet:
- In Nauders wurde am 24. September 2023 der neue Altarraum und der Altar von Michael Fliri durch Bischof Hermann Glettler in der Pfarrkirche zum hl. Valentin geweiht.
- In Laas wurde heuer am 17. August das Altarbild „Genesis“ von Jörg Hofer wieder aufgestellt und von P. Ewald Volgger gesegnet.
- Zu erwähnen ist in diesem Kontext auch die sakrale Skulptur von Walter Kuenz in Montiggl, Gemeinde Eppan. Die 4 Reliefdarstellungen der Stele in Laaser Marmor (Höhe 3.50 m) kreisen um religiöse Themen ( Maria Muttergottes, Hl. Benedikt, Hl. Urban, Johann Nepomuk von Tschiderer). Sie wurden noch 2013 mit dem damaligen Landeskonservator des kirchlichen Denkmalamtes Dr. Karl Gruber vereinbart, der das Kunstschaffen von Walter Kuenz im Sakralbereich immer wieder förderte.

Fenster der Nikolauskirche in Latsch

Schon 2008 gestaltete der Kortscher Künstler Robert Scherer das Glasfenster an der Südseite der Nikolauskirche in Latsch, welches die Legende des Hl. Nikolaus darstellt. Es ist ein Kirchenfenster mit viel Symbolik. Scherer, der selbst bei der Eröffnung anwesend war, sagte: „Die Farbe Rot, aber auch der Gesichtsausdruck des Heiligen sollen an die dauernde Bedrohung der Welt bzw. der Kirche erinnern. Dies wird unterstrichen mit der umgekehrten Darstellung der Nikolauskirche, der bedrohlichen Augen rechts unten und der schemenartigen Gestalt neben dem Heiligen Nikolaus“.
Zeitgenössische Kunst ist ein Spiegelbild der Zeit. Sie spiegelt die Krisen der Gesellschaft wider, sie mahnt Themen ein, die man gerne verdrängt oder erledigt hätte. Zeitgenössische Kunst fordert heraus, regt zum Nachdenken an und zwingt zu einer kritischen Reflexion, die über die Ästhetik des Werks hinausgeht.

„Geköpft“ von Lois Anvidalfarei

Der Gadertaler Bildhauer Lois Anvidalfarei gehört wohl zu den bedeutensten zeitgenössischen Bildhauern Europas. Bekannt ist Anvidalfarei durch seine oft überlebensgroßen, massigen Figuren, Köpfe und Torsi. Heuer stellte Anvidalfarei im Brixner Dom einen überdimensionalen Bronzekopf s33 brixenaus. Das Werk „Geköpft“ entstand in Auseinandersetzung mit der Person Franz Reinisch und wurde als Wanderausstellung an jenen Orten gezeigt, an denen P. Reinisch wirkte. Franz Reinisch kam 1903 in Feldkirch (Österreich) zur Welt. Nach einigen Jahren des Rechtsstudiums entschloss er sich, Priester zu werden, trat in das Priesterseminar in Brixen ein und wurde 1928 in Innsbruck zum Priester geweiht. 1942 wurde er zur Wehrmacht einberufen, verweigerte aber den Fahneneid auf Hitler, weil er überzeugt war, dass der Nationalsozialismus mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar sei. Am 21. August 1942 wurde Franz Reinisch in Berlin enthauptet. Reinisch war der einzige katholische Priester, der wegen seiner Eidverweigerung hingerichtet wurde. Der Bildhauer Lois Anvidalfarei will mit seiner Skulptur an diesen Märtyrer erinnern. Sie steht allerdings stellvertretend für alle Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die Widerstand geleistet und diesen mit ihrem Leben bezahlt haben. Anvidalfarei hat bewusst nicht die Gesichtszüge von Franz Reinisch übernommen, damit sich jeder damit identifizieren kann.
Noch vor Jahren war Anvidalfarei wegen seiner Arbeiten (insbesondere wegen deren Nacktheit) immer wieder harscher Kritik, ja regelrecht Anfeindungen ausgesetzt. Sobald seine Arbeiten im öffentlichen, insbesondere im kirchlichen Raum zu sehen waren, folgten anonyme Briefe und polemische Lesebriefe, Missbilligung von kirchlicher Seite oder auch mutwillige Beschädigungen von unbekannt. Öfters mussten seine Arbeiten entfernt werden, wie 2003 der berühmt, berüchtigte „Verlorene Sohn“ aus dem Kapuzinergarten in Bozen. Doch die Zeiten scheinen sich zu ändern. Das Werk „Geköpft“ im Dom zu Brixen traf heuer durchaus auf Zustimmung.
Hermann Glettler, Bischof von Innsbruck, schreibt unter anderem in der Broschüre: Mensch – wer bist du? Eine künstlerische Auseinandersetzung mit Skulpturen von Lois Anvidalfarei:
„Durch die Konfrontation mit der Gegenwartskunst wird das Vertraute und religiös Liebgewonnene dem Prüfstand eines säkularen Blicks ausgesetzt. In diesem Sich-Aussetzen und Sich-Wagen kann sich Neues ereignen. Ohne eine diesbezügliche Offenheit läuft kirchliches Leben und pastorales Handeln Gefahr, bedeutungslos und für eine kirchlich eher distanzierte Zeitgenossenschaft irrelevant zu werden“.

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