Aus dem Gerichtssaal - Der Pranger war ein Strafwerkzeug des Mittelalters, mit dem Menschen der öffentlichen Bloßstellung, Schande und Schmähung ausgesetzt wurden. Offiziell ist diese Strafe inzwischen abgeschafft. Sie ist jedoch nicht verschwunden. Schauplatz für die öffentliche Vorführung und Beschämung von Personen sind im 21. Jahrhundert die Medien. Die in allen europäischen Verfassungen verankerte Unschuldsvermutung wird damit ausgehöhlt. Wer jahrelang in der Presse gekreuzigt wird, der tut sich schwer, an diesen hehren Grundsatz zu glauben. Davon kann der aus Laas stammende und in Innsbruck an der Universität als Professor für Wirtschaft lehrende Gottfried Tappeiner ein Lied singen. Er geriet im Jahre 2014 im Zusammenhang mit dem sog. Politrentenskandal gemeinsam mit der damaligen Präsidentin des Regionalrates Rosa Thaler zwischen die Mühlsteine der Justiz. Die Anschuldigung lautete auf Beihilfe zum Amtsmissbrauch und zum Betrug zum Schaden der Region Trentino-Südtirol in der Größenordnung von 10.800.000 Euro. Um diesen Betrag hätten Rosa Thaler und der Prof. Tappeiner die Region „erleichtert“, weil sie bei der Umwandlung des Leibrentenanspruches der Altmandatare in eine Einmalzahlung „geschummelt“ hätten. Der „Schwindel“ hätte laut Anklage darin bestanden, dass die Lebenswartung der „Politrentner“ künstlich nach oben geschraubt und bei der Berechnung der Einmalzahlung auch noch ein für sie besonders günstiger Zinssatz angewandt worden wäre. Das Ganze wurde dann in der Anklageschrift auch noch so dargestellt, als ob die damalige Regionalratspräsidentin und der Professor im „stillen Kämmerlein“ und unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Handel „ausgeschnapst“ hätten.
Das Verfahren stand ganz offenbar unter dem Eindruck der kochenden „Volksseele“, die sich nach Bekanntwerden einiger Beträge in wütenden Protesten vor dem Landhaus in Bozen entlud. Diesem Volkszorn musste offenbar Tribut gezollt und Sündenböcke gefunden werden, auf welche die ganze „Malaise“ abgewälzt werden konnte. Zu diesem Schluss kommt man jedenfalls bei der Lektüre der über 50 Seiten langen Urteilsbegründung. Rosa Thaler und Prof. Tappeiner wurden nämlich schlussendlich am 26.02.2021 vom Strafsenat beim Landesgericht Bozen (Präsident und Urteilsverfasser Stefan Tappeiner, Beisitzer Michele Paparella und Federico Secchi) voll freigesprochen, und zwar, weil keine strafbare Handlung vorliegt. Ein „Gemauschel“ zwischen den Angeklagten wurde schon einmal deswegen ausgeschlossen, weil sämtliche Beschlüsse vom Präsidium des Regionalrates, in dem auch Vertreter der Opposition saßen, „kollegialiter“ gefasst worden waren. Die Einholung einer Expertise beim Prof. Tappeiner war ebenfalls durch einen Beschluss des gleichen Kollegialorgans gedeckt. Die angeblich zu Gunsten der Altmandatare nach oben „frisierte“ längere Lebenserwartung stellte sich als ein statistisches Faktum heraus. Und die ganze bei der Umrechnung des Leibrentenanspruchs der Politiker in eine Einmalzahlung angewandte Methode erbrachte zwar erkleckliche Summen und war schwer vermittelbar, entsprach aber allen Regeln der Versicherungsmathematik. Unter gar keinen Umständen war es ein Fall für den Strafrichter. Auf die gleiche Weise wird nämlich bei Unfällen mit Personenschaden und Minderung der Erwerbsfähigkeit der Schadenersatz errechnet: Anstatt einer monatlichen Rente von sagen wir 30 Prozent des verlorenen Einkommens wird zumeist für eine Einmalzahlung optiert, deren Höhe sich nach dem Prozentsatz der Invalidität, dem Alter des Geschädigten, dessen Lebenserwartung und einem Abzinsfaktor errechnet. Noch weniger war erklärbar, dass dadurch eine Einsparung im Betrag von ca. 50 Millionen Euro möglich wurde. Also unterm Strich: Viel Lärm um nichts? Ja, wenn da nicht zwei „Aber“ wären. Zum einen hätte die Staatsanwaltschaft schon in der Ermittlungsphase die „Schmalbrüstigkeit“ ihrer Position erkennen und die Einstellung des Verfahrens beantragen müssen. Stattdessen hat sie den Angeklagten einen jahrelangen aufwendigen Prozess gemacht, um dann am Ende die Haltlosigkeit der Anschuldigungen einsehen und für deren Freispruch plädieren zu müssen. Die Beschuldigten ihrerseits mussten die bittere Erfahrung machen, dass bei dem politisch heiklen und medial „gepushten“ Thema der Politrenten kaum Sachlichkeit zu erwarten war. Auch nach der vom Gericht attestierten Untadeligkeit ihres Verhaltens und trotz der Reinwaschung durch die Justiz bleibt immer etwas hängen. Da dürfte es für den Prof. Tappeiner von Trost gewesen sein, dass der Rektor der Universität Innsbruck, dem er von seinen gerichtlichen Turbulenzen in der Heimat südlich des Brenners Bericht erstattet hatte, ihm mit einem leicht abgewandelten Bibelzitat den Rücken stärkte: Gehe hin und sündige weiter!
Peter Tappeiner,
Rechtsanwalt
peter.tappeiner@dnet.it
P.S. Um möglichen maliziösen Hintergedanken schon gleich vorzubeugen: Der Autor dieses Beitrages ist mit dem Prof. Tappeiner weder verwandt noch verschwägert. Was sie gemeinsam haben: Sie sind beide Laaser, aber das ist keine Schande und (noch) nicht strafbar!