Schlanders erzählt... Märchenherbst

Maerchenherbst24

 
 
Dienstag, 02 Oktober 2018 00:00

Irritierende Ästhetik

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s52 3608 3Im Schlossgarten in Schlanders, gegenüber der Schlandersburg stehen zwei neue Gebäude. Pohl Immobilien hat mit dem Architekten Stephan Marx frische Architektur planen und mit heimischen Handwerkern verwirklichen lassen. Die Wohnqualität ist phänomenal - die Ästhetik der Architektur irritierend.

„Es ist halt etwas Neues“, „Schiach“, „Wuchtig“, „Eine Frechheit“, „Interessant“ - wer eine zeitlang an der Mauer beim Schlossgarten in Schlanders steht, bekommt von den Passanten, von den Anrainern auch, einiges zu hören - über die zwei neuen Gebäude im Schlossgarten.

Gegenüber der Schlandersburg stehen zwei eigenartige und merkwürdige Gebäude, Zwillingen gleich. Nach hinten bräunliche Betonwände, von wenigen Fenstern durchbrochen. Beeindruckend ist die Form. Der Architekt Stephan Marx, der im Auftrag von Pohl Immobilien im Schlossgarten eine völlig neue Aufteilung des Volumens durchgeführt hat, sagt polygonal. Also mehreckig. Bemerkenswert an der Form ist die Verjüngung nach oben - die Betonmauer neigt sich. Geht man die Gasse vom Stainerparkplatz in Richtung Schlandersburg, wo die Bibliothek und das Landwirtschaftsinspektorat beheimatet sind, scheinen sich die Gebäude vor den alten Mauern zu verneigen, jedenfalls zurückzuweichen. Der Blick auf die ehrwürdige Schlandersburg ist so freier denn je.
Die Verjüngung nach oben ist an allen Gebäudeseiten zu erkennen, eine Art polygonale Pyramide, oben abgeschnitten.  Diese Form nimmt den Gebäuden und dem als Fassade verwendeten und leicht bräunlich eingefärbtem Sichtbeton etwas die Wucht.
Die Idee, zwei Gebäude machen zu wollen, sagt Marx, stand am Anfang des Planungsprozesses. Die Form kam allmählich dazu. Marx sagt, dass er so etwas wie zwei Steine in einen Garten gestellt und diese zwei Steine gegeneinander gedreht habe.
In den zwei Gebäuden sind Wohnungen untergebracht, deren Öffnungen in Richtung Westen, in Richtung Schlanderser Dorfkern zeigen. Marx hat die beiden Monolithe nach innen aufgebrochen - die Gesamtform bleibt so bestehen. Die Terrassen sind kaum einsehbar, obwohl sie äußerst großzügig angelegt sind. Ins Penthouse, in die oberste Etage führt der Aufzug direkt in die Wohnung. Das sei normal bei solchen Objekten, sagt Stephan Marx. Kein Zweifel kommt auf, s52 5762wenn es um die Qualität der Wohnungen und der Wohngegend geht: Mitten im Dorf, ruhig, herrliche Aussicht, sonnenexponiert, Klimahaus A, großzügige Wohnräume.
Den Anrainern, den Bibliotheksbesuchern, den Vorbeispazierenden bleibt die nackte Architektur, denn das Wohnungsinnere bleibt, so wie dies bei allen Gebäuden der Fall ist, grundsätzlich privat.
Dass die Hülle in Beton sein wird, war durchaus ein langwieriger Planungsprozess, sagt Marx. Sichtbeton spiegelt das Konzept und den Gedanken der Steinmonolithe wider und ist einmalig im Mehrfamilienwohnbau, da die Ausführung äußerst kostspielig und aufwändig ist und meist nur im avantgardistischen  Villenbau zur Anwendung kommt. Auf der anderen Seite ist auch Pohl Immobilien ein architektonisches Experiment eingegangen. Einfacher wäre es gewesen, die gesamte Kubatur in einem Gebäude zu verbauen. Ökonomisch sicher sinnvoller. Denn zwei Gebäude zu bauen, ist teurer. Wie wuchtig dieses eine, in welcher Form auch immer, geworden wäre - nicht auszudenken.
Einfach war das Prozedere allerdings auch nicht. Die Baukommission, der Gemeinderat forderte Nachbesserungen, das Denkmalamt gab Gutachten. Denn die Schlandersburg und sogar die Umfriedungsmauer des Schlossgartens stehen unter Denkmalschutz. So waren es für den Architekten und für den Bauherren besondere Herausforderungen, den Anforderungen gerecht zu werden. Tatsächlich benötigen die beiden Gebäude einer besonderen Auseinandersetzung - und Zeit.
Text: Erwin Bernhart
Fotos: Samuel Holzner

 

Zwei Stellungnahmen:

s55 5765Raimund Rechenmacher ist Bibliothekar in der öffentlichen Bibliothek Schlandersburg:
„Mit einer Bebauung des Schlossgartens in den 50er Jahren wurde der erste Fehler gemacht. Mit dem Bau einer Pension in den 70er Jahren der zweite und nun der dritte. Ensembleschutz, Denkmalamt und Gemeinde - alle haben versagt. Die Schlandersburg ist ein im Vinschgau einmaliges Renaissanceschloss und bildet mit dem Schlossgarten ein Gesamtkunstwerk. Eine Ahnung davon hat man bekommen, als die Pension abgerissen worden ist. Die Baugesetze sind halt so, ich mache da niemandem einen Vorwurf. Aber man hat die Chance vertan, die Kubatur in Form einer Vertragsurbanistik  vielleicht in das Kasernenareal zu verlegen. Zu den Gebäuden selbst sage ich, dass diese architektonisch durchaus interessant sind, etwas zu stark, weil sie die Aufmerksamkeit zu sehr auf sich ziehen. Ich habe mich schon daran gewöhnt und wünsche den Leuten, die darin einziehen, ein schönes Wohnen.“

s55 gianni bodiniGianni Bodini, genauso bekannter wie kunstsinniger Fotograf und Wohnungseigentümer in der Anlage Schlossgarten, sagt über den Neubau:
„Mutig ist der Bau. Er erinnert mich in seiner Pyramidenform an das Gebäude der Salewa in Bozen. Wenn man vom Stainerparkplatz zur Schlandersburg geht, findet man eine harmonische Neigung vor. Als Fotomotiv super. Moderne Architektur ist immer ein Zeitproblem. Man denke an die Kirche in Kastelbell. Der Rampold hat damals gewettert, die Dolomiten waren voller Leserbriefe. Damals hat man gesagt, die Kirche schaue aus wie ein Obstmagazin. Und heute? Es gibt einfach Bauten, die benötigen Zeit, um verstanden zu werden. Eines ist die Ästhetik und etwas anderes ist die Funktionalität. Beim Schlossgarten hab’ ich meine Zweifel, ob der Architekt an die Funktionalität gedacht hat. Wenn es regnet, kann es durch die Neigung wie bei den Niagarawasserfällen werden. Ich würde dem Architekten empfehlen, bunte Klettergriffe an der Fassade anzubringen, das würde die Fassade verschönern, die Funktionalität aber nicht verbessern. Oder man könnte (lacht) ein großes Bild von mir anbringen, früher hat man ja auch Fresken oder Sgrafitti angebracht, von Ebensperger, von Scherer oder von Fellin.“

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