Auch in Südtirol sind die Gletscher u.a. deswegen einem Langzeit-Monitoring unterzogen. Dr. Ing. Roberto Dinale ist der Gletscherexperte beim Südtiroler Hydrographischen Landesamt. Der Weißbrunnferner im hinteren Ultental und der Langenferner in Martell sind zwei Beispiele für die Dauerbeobachtung von Gletschern. Am 21. und 22. September hat in St. Gertraud in Ulten eine wissenschaftliche Gletscherfachtagung stattgefunden. Bezeichnenderweise unter dem Titel „Der Weißbrunngletscher verschwindet“. Seit 1930 ist der Weißbrunngletscher in seiner Zungenlänge um 1.604 Längenmeter geschrumpft. Im gleichen Zeitraum sind die folgenden Vinschgauer Gletscher zurückgewichen: Fürkeleferner (Martell) -1.189,2 m, Bärenbartferner (Langtaufers) -904,6 m, Langtaufererferner -1.752,6 m, Nördlicher Saldurferner (Matsch) 511,6 m, Hochjochferner (Schnals) -1.168,2 m.
Schon wiederholt habe ich auf diesen Seiten über den Klimawandel als Folge der Erderwärmung geschrieben. Seit wir Menschen den Verbrennungsmotor nutzen und Erdöl und andere fossile Energieträger verbrennen, steigt der Gehalt an Kohlendioxid in der Erdatmosphäre kontinuierlich an und der Treibhauseffekt verstärkt sich besorgniserregend. Die Permafrostböden tauen in vielen bisherigen Kaltzonen der Erde großflächig auf und geben weiteres Kohlendioxid und Methan als Treibhausgase frei. Bei der Verdauung in Wiederkäuermägen entstehen ebenfalls große Mengen von Methan. Die weltweite Haltung von Milliarden von Rindern auch zur Abdeckung unseres hohen Fleischkonsums trägt zur Verstärkung des Treibhauseffektes bei.
Die warmen Jahre häufen sich
Eine interessante Grafik zur Erwärmung der Erde hat die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ in ihrer Ausgabe Nr. 34/2018 vom 16. August d.J. veröffentlicht: Die 140 Jahre Wetter seit dem Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1881 wurden auf den einen Wert der durchschnittlichen Jahrestemperatur reduziert und in kalte (blau) und warme (rot) Jahre klassifiziert. Parallel dazu wurde der Gehalt von Kohlendioxid in der Luft dargestellt. Es springt ins Auge, dass sich in den letzten 30 Jahren die warmen Jahre gehäuft haben. Seit Beginn der CO²-Messungen im Jahr 1958 ist der Wert von 316 ppm (pars per million) auf 407 ppm im Jahr 2017 angestiegen. Tendenz: Weiter steigend.
Negative Massenbilanz
Zur besseren Erklärung des Gletscherschwundes diene auch mein Hinweis auf die sogenannte Nulllinie der Gletscher. Durch jeden Gebirgsgletscher verläuft quer zu seiner Gletscherzunge eine gedachte horizontale Linie, die man Nulllinie oder Schneegrenze nennt. Bergseits dieser Linie liegt das Nährgebiet, auch Ablagerungs- oder Akkumulationsgebiet genannt. Oberhalb dieser Linie fällt mehr Schnee als abschmilzt. Die Massenbilanz ist im Nährgebiet positiv. Schnee wird zu Firn und schließlich zu Gletschereis. Unterhalb der Nulllinie liegt das Zehrgebiet (Ablationsgebiet). Hier schmilzt der Schnee, die Massenbilanz ist negativ und der Gletscher schwindet in diesem Abschnitt. Mit zunehmender Erhöhung der Jahresdurchschnittstemperatur der Luft rückt die Nulllinie nicht nur auf den Gletschern in den Alpen immer weiter nach oben, das Nährgebiet wird kleiner, das Zehrgebiet größer. Die Gletscher schwitzen, leiden und schwinden. Ihre Gesamtmassenbilanz ist in den letzten Jahren stark negativ. Über einen längeren Zeitpunkt und alpenweit betrachtet: Die Gletscher der Alpen bedeckten 1850 eine Fläche von 4.460 km². 2012 war die vereiste Fläche der Alpen auf 2.153 km² geschrumpft. Die Gletscherfläche der gesamten Alpen ist somit in 160 Jahren auf unter die Hälfte gesunken.
Wenn Schnee zu Gletschereis wird, nimmt die Dichte zu und der Luftgehalt ab:
Umkehr gefragt
Als im September 2011 im Rahmen eines wissenschaftlichen Projektes unter Mitwirkung vieler Partner die Eiskalotte des Ortler-Gletschers bis zum Felsgrund durchbohrt wurde, betrug die Schichtmächtigkeit des Eispanzers insgesamt 76 Meter. Im Interview in der Ausgabe der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 29. August 2018 hat der bereits oben zitierte Experte Roberto Dinale erklärt, dass die Eisschicht am Westlichen Rieserferner im Nordosten Südtirols im heurigen Jahr 2018 bereits um bis zu 2,5 Meter geschrumpft sei. Daran hat auch der vorausgehende sehr schneereiche Winter 2017/18 nichts geändert. Durch die sommerliche Hitze hat sich auch 2018 die Nulllinie der Gletscher vom Zehrgebiet immer weiter in ihr Nährgebiet hinaufverschoben. Beim gegenwärtigen Trend unseres unvermindert anhaltenden Ausstoßes von Treibhausgasen und der daraus folgenden Erderwärmung sind die Jahre vieler unserer Gletscher, v.a. der flächenmäßig kleinen, gezählt. Umkehr ist gefragt: Unser bisher fortgeschriebenes und fortbetriebenes „Weiter so“ in unserem Konsumverhalten wird uns in der Klimapolitik unserer zukünftigen Jahre noch deutlich spürbarere und schmerzhafte Einschränkungen abverlangen: Verzicht wird zu einem Schlüsselwort. Wir sind gut beraten, das groß zelebrierte Klimaabkommen von Paris 2015 und all die Vorgängerabkommen als Staatengemeinschaft und als Einzelmenschen umgehend ernst zu nehmen.
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