Ein Hellseher als Rechtsberater

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Aus dem Gerichtssaal - Dieser sonderbare Casus aus meinem Berufsleben kam mir bei meiner derzeitigen Lektüre in den Sinn. Ich lese gerade das Buch von Tiziano Terzani „Un indovino mi disse“, also „Ein Wahrsager hat mir vorausgesagt“. Der Florentiner Terzani war Jahrzehnte lang als Reporter für den „Spiegel“ in Asien unterwegs. Er war immer dort, wo es gerade „brannte“, 1973 in Saigon als der Vietcong einmarschierte, 1974 in Kambodscha als die Roten Khmer die Macht übernahmen, 1991 schließlich in Russland, als das Sowjetreich auseinanderbrach. Nun, Terzani war 1976 auch in Hong Kong, wo er, eigentlich aus beruflicher Neugierde, einen weit über die Stadt hinaus bekannten Wahrsager aufsuchte. Dieser wusste nicht nur frappierende Dinge aus seiner Vergangenheit aus ihm herauszule-sen, sondern machte ihm auch präzise Prophezeiungen für die Zukunft. So riet ihm der Weissager dringend davon ab, im fernen Jahr 1993 ein Flugzeug zu benutzen. Terzani hielt sich an die Warnung und bediente sich das ganze Jahr über nur herkömmlicher Verkehrsmittel. Der „Spiegel“ schickte im März 1993 an Stelle von Terzani einen Reporter aus Hamburg, der auf Einladung der UNO zusammen mit anderen 15 Journalisten nach Kambodscha flog. Der Hubschrauber der Vereinten Nationen stürzte ab, alle Insassen waren tot! Terzani verstarb im hohen Alter von 84 Jahren in Florenz.

Aber jetzt zu unserem „Casus“! Sie werden sich fragen, was die Wahrsagerei mit dem Prozessieren zu tun hat? Nun, ich musste einmal einen Klienten vertreten, der in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen war. Er fuhr auf einer Geraden mit einer fortlaufenden weißen Linie, als er auf die Idee kam, in die andere Fahrspur hinüber zu wechseln, um seine Fahrtrichtung zu ändern. In dieser Fahrspur war jedoch gerade ein überholendes Auto unterwegs, sodass es unweigerlich zur Kollision kam. Von der Verantwortlichkeit her ein klassischer Fall von 50:50-Verschulden. Und so sahen es denn auch die Richter: jeder der Lenker musste die Hälfte seines Schadens selbst berappen. Doch nun begann das Problem: Mein Klient wollte partout nicht einsehen, dass ihn eine Mitschuld am Unfall träfe und er bestand trotz aller Bedenken darauf, in die Berufung zu gehen. Das Verfahren endete erwartungsgemäß mit einem Fiasko, worauf er auch noch einen Kassationsrekurs in Erwägung zog. Erst später erfuhr ich den Grund für so viel Halsstarrigkeit: Der Klient hatte noch einen anderen „Berater“, er war nämlich Stammkunde bei einem Wahrsager in München, und als er diesem seinen Gerichtsfall darlegte und ihn dazu um seine Meinung bat, erhielt er die Antwort: “das Recht ist auf deiner Seite“. Als er ihn dann auch noch befragte, ob auf dem Heimweg von München ein Abstecher ins Casino nach Seefeld sich empfehlen könnte, erhielt er auch dazu die Auskunft: „das Glück ist auf deiner Seite“. Mit dem Ergebnis, dass er das Casino arm wie eine Kirchenmaus verließ und mit dem getankten Sprit gerade noch bis auf den Brenner kam!

Peter Tappeiner,
Rechtsanwalt
peter.tappeiner@dnet.it

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