Ein verpflichtendes Angebot zur Wertevermittlung an Schüler, die sich vom Religionsunterricht abmelden, ist notwendig. Schulen haben bereits Erfahrungen gesammelt. Umsetzung frühestens 2023/24.
8634 Kinder und Jugendliche an Südtirols Grund,- und Mittelschulen sowie Ober- und Landesberufsschulen, also rund 12 Prozent aller Schülerinnen und Schüler, besuchen den Katholischen Religionsunterricht nicht. Bildungspolitisches Ziel ist, dass es im Schulbetrieb für sie alle zukünftig ein verpflichtendes Alternativangebot zum Katholischen Religionsunterricht gibt, und zwar eine Form von Ethikunterricht. Details zur geplanten Umsetzung haben heute (15. Dezember) Landesrat Philipp Achammer und Landesschuldirektorin Sigrun Falkensteiner bei der Pressekonferenz vorgestellt. Angelika Ebner Kollmann, Schulführungskraft des Grundschulsprengels Bozen, und Michaela Dorfmann vom Schulsprengel Meran Untermais haben von diesbezüglichen Pilotprojekten aus der Praxis berichtet.
"Der Katholische Religionsunterricht hat in unserem Land eine besondere Bedeutung", schickt Landesrat Philipp Achammer voraus. Während man sich im restlichen Staatsgebiet für diesen anmelde, sei es in Südtirol umgekehrt. "Bei uns nimmt man das Angebot automatisch in Anspruch, außer man meldet sich ausdrücklich davon ab." Auch wenn der Katholische Religionsunterricht sich in den vergangenen Jahrzehnten in vielerlei Hinsicht stark gewandelt habe, habe er in vielen Köpfen immer noch den Anstrich einer Vermittlung von Glaubensinhalten. Das sei er aber schon lange nicht mehr, sagt Landesrat Achammer. "Der Katholische Religionsunterricht musste sich auf die verschiedenen Lebensrealitäten von Kindern und Jugendlichen, von Familien einstellen, vor allem im Dialog miteinander und im Respekt auch vor anderen Konfessionen." Nichtsdestoweniger hat Südtirol inzwischen eine beträchtliche Quote von Schülern, die sich vom Katholischen Religionsunterricht abmelden.
Abmeldung vom Religionsunterricht in Zahlen
Die aktuellen Zahlen für das Schuljahr 2021/22 aus den drei Bildungsdirektionen zu den Abmeldungen vom Katholischen Religionsunterricht zeigen deutlich, wie es um den Besuch desselben an Südtirols Schulen bestellt ist. 88 Prozent der insgesamt 74.174 Schüler an Südtirols deutsch- und italienischsprachigen sowie ladinischen Schulen nehmen freiwillig am Katholischen Religionsunterricht teil, während sich 12 Prozent von diesem abgemeldet haben. Den höchsten Prozentsatz weisen mit 18 Prozent die italienischsprachigen Schulen auf, gefolgt von den deutschsprachigen mit rund 9,8 Prozent und den ladinischen mit 3,3 Prozent. Deutlicher sind die Unterschiede beim Vergleich der Schulstufen: Die höchste Abmeldequote verzeichnen die Oberschulen mit 16,2 Prozent (3272 Schüler), die niedrigste die Landesberufsschulen mit 9,6 Prozent (911 Schüler). An den Grundschulen verzichten 10,2 Prozent aller Schüler (2820 Schüler) und an den Mittelschulen 9,7 Prozent (1630 Schüler) auf den Katholischen Religionsunterricht.
Die Gründe für die Abmeldungen vom Katholischen Religionsunterricht seien verschieden. Es könne daran liegen, dass die Kinder oder Jugendlichen einer anderen Konfession angehörten, aus einem anderen Kulturkreis kämen, sagt Landesrat Achammer. "Es kann aber durchaus auch am Reiz einer Freistunde in der Oberschule liegen."
Ungeachtet dessen, stellt sich dennoch das Problem der Tätigkeiten für jene Schüler, die sich nicht am konfessionellen Religionsunterricht beteiligen. Laut den gängigen Bestimmungen sehen die jeweiligen Schulen anstatt des Katholischen Religionsunterrichtes verschiedene Möglichkeiten vor, beispielsweise unter Aufsicht einer Lehrperson sich eigenständig zu beschäftigen oder Förderangebote zu nutzen. Ausdrücklich zugelassen ist aber auch die Möglichkeit, von der Schule abwesend zu sein.
"Der verpflichtende Besuch des Alternativunterrichts Ethik würde in dieser Sache Klarheit schaffen und das Recht aller Schüler auf eine gleiche Schulzeit und damit die Gleichbehandlung aller in Bezug auf die zu absolvierenden Anzahl an Schulstunden garantieren", sagt Landesrat Achammer. "Dem liegt auch die Überzeugung zugrunde, dass jedes Kind, jeder Jugendliche eine Form von Wertevermittlung oder -bildung braucht." Gerade in der jetzigen Zeit, wo der "Ausgleich innerhalb einer Gesellschaft, Austausch und Verständigung, Toleranz und Respekt wichtiger denn je" seien, sei es unabdingbar, "diese wesentliche Werte auch zu leben und den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln." Wo die Vermittlung aber nicht gelinge, "braucht es unbedingt eine verpflichtende Alternative zum Religionsunterricht", sagt Landesrat Achammer.
Ziel des Ethikunterrichts
Mit dem auf Landesebene einzuführenden Ersatzpflichtfach Ethik sollten zukünftig auch jene Schüler, die "aus verschiedensten Gründen" den Katholischen Religionsunterricht nicht besuchen, eine "religiös-ethisch-philosophische Bildung" erhalten, sagt Landesschuldirektorin Sigrun Falkensteiner. "Damit wollen wir die Wertevermittlung nicht der Beliebigkeit überlassen, sondern dahingehend ein Zeichen setzen, dass uns diese wichtig ist." Gleichzeitig werde die Auseinandersetzung und das Verständnis der eigenen Identität und Kultur gefördert, was die Bereitschaft stärke, Verantwortung für sich und das Zusammenleben zu übernehmen."
Zwei unterschiedliche Modelle zum Ethikunterricht
Erfahrungen mit dem Ethikunterricht haben einige Südtiroler Schulen in den vergangenen Jahren in Rahmen von Pilotprojekten gesammelt, beispielsweise die Schulgemeinschaft des Grundschulsprengels Bozen und jene des Schulsprengel Meran Untermais.
"Unser Ziel war es vor Jahren, ein Alternativfach anzubieten, das dem Katholischen Religionsunterricht gleichwertig ist", sagt Angelika Ebner Kollmann, Schulführungskraft des Grundschulsprengels Bozen. "In einer säkularen, zusehends pluralistischen Welt ist Ethik ein geeignetes Fach, um grundlegende Werte oder ethisch-moralisches Handeln zu diskutieren und zu vermitteln."
Am Schulsprengel Meran Untermais greift ein anderes Modell. "Wir bieten in den drei Stadtschulen projektartig mehrmals im Schuljahr für alle Schüler und Schülerinnen einen so genannten 'Religionsunterricht für alle'. Die Überlegung, welche dahintersteckt ist, ein inklusives Zusammenwirken zu fördern", erklärt die Direktorin Michaela Dorfmann. Die Themen, welche im "Religionsunterricht für alle" behandelt werden, seien "religiös unabhängig oder religionsübergreifend". "Wichtig ist uns, dass der individuellen Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler Raum gegeben wird und Toleranz sowie gegenseitige Wertschätzung gefördert werden."
Damit Ethik als verpflichtendes Alternativangebot Realität werden kann, ist die Abänderung des Landesgesetzes 5/2008 durch den Landtag notwendig. Sofern das Gesetz einer möglichen Anfechtung durch die Regierung standhält, kann mit der Ausarbeitung entsprechender Unterrichtsmodelle für den Ethikunterricht für die verschiedenen Schulstufen begonnen werde, frühestens im Schuljahr 2023/24.
eb