Kultur: Die Hex‘ Hagazussa und Hagazussa Jazzband

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Hansjörg Waldner und  Anita Pichler beim legendären Frühstück auf dem Tartscher Bichl im Juni 1986 Hansjörg Waldner und Anita Pichler beim legendären Frühstück auf dem Tartscher Bichl im Juni 1986

von Peter Tscholl

Hexen und andere Sagengestalten haben im Volksmund und Volkserzählungen immer schon eine wichtige Rolle gespielt. Auch die Literatur hat sich immer wieder von diesen Sagengestalten inspirieren lassen.
Im Vinschgau ist die Gestalt der Hagazussa bekannt. Die antike Figur der Hagazussa ist eine Sagengestalt der germanischen Mythologie. Der Begriff stammt wahrscheinlich von den norwegischen Worten „hag“ für Hecke oder Wald sowie „Tysja“ für Elfe und bezeichnet eigentlich ein auf Zäunen oder in Hecken sich aufhaltendes dämonisches Wesen aus der Zwischenwelt. Hagazussa ist eine Grenzgängerin, auf der Schwelle vom Bewußten zum Unbewußten, vom sogenannten Heidnischen zum Unheimlichen, eine Vermittlerin zwischen Zivilisation und Wildnis.

Die Schriftstellerin Anita Pichler, geboren 1948 in Meran, aufgewachsen in Sulden, schrieb in ihrem ersten Buch über die Geschichte einer Frau, die sich wie Hagazussa zwischen verschiedenen Welten bewegt und viele Geheimnisse in sich bewahrt. Es ist Pichlers wichtigstes Buch und bedeutendstes literarisches Vermächtnis. In der Erzählung hat sich die Hauptfigur aus ihrer Wohnung ausgesperrt und schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durchs Leben, verteilt Fragebögen mit scheinbar sinnlosen Fragen und trifft in einer der anonymen Wohnungen schließlich auf eine Bekannte aus ihrer Vergangenheit, der sie nie mehr begegnen wollte.
1985 las Pichler in der Alten Schmiede in Wien aus ihrem Manuskript Hagazussa. Der damalige Leiter Dr. Kurt Neumann war begeistert von der Erzählweise Pichlers und vermittelte sie dem renommierten Frankfurter Suhrkamp Verlag. 1986 erschien dort die Erzählung, allerdings unter dem neuen Titel „Die Zaunreiterin“. Sie endet mit den Worten: Haga Zussa hat mich berührt, ich habe mich umgesehen,
habe ihr in die Augen gesehen und bin nicht tot umgefallen“.

 

Hagazussa, die Erzählung von Hansjörg Waldner

d2fa8796 ecbd 4420 b166 07cfbb537922Einen anderen Zugang zur Hex‘ Hagazussa versuchte der Hoader Autor Hansjörg Waldner im Band „Es wird nie mehr Vogelbeersommer sein ...“ in memoriam Anita Pichler (1948 – 1997).Waldner brachte die Hexe in die Gegenwart und zwar in den Oberen Vinschgau, an den Haider See.
„Hierzulande war es die Zussl, die verwirrte, schiache, Böses wollende Frau, die an allen schuld zu sein schien. Die Hagazussa war die Zaunreiterin, die, wie der Name sagt, über Zäune und Häuser hinweg sich Einblick verschafft in die Hölle des Privaten.
In unserem Dorf, da fand sich eine Frau, die nur für ihren Mann eine Hexe war. Sie war brav und konnte keiner Fliege etwas zu Leide tun. Der Mann schlug sie täglich und verbannte sie in den Stall zum Schlafen. Nächtens nahm er aus der Küche eine Kerze, zündete sie an und begab sich in den Stall, um die Frau zu besteigen. Sie ward jedesmal schwanger. Sie hatte keine Möglichkeit, sich zu pflegen. Auch im Dorf galt sie nunmehr als Hexe. Sie wurde wahnsinnig und starb. Der Mann holte sich eine Jüngere, die nur die Aufgabe hatte, die Halbwaisen aufzuziehen. Doch dann bekam die junge Frau Zwillinge, die immer glücklich im Kinderzimmer spielen und schlafen durften.
3 Bar Villa Bux HansjoergswDie Kinder aus erster Ehe mussten – so wie ihre Mutter – im Stall darben. Sie lernten nichts und galten im Dorf als verrückt. Sie alle starben früh. Zurück blieb der Mann mit seiner zweiten Frau und den Zwillingen. Auch er starb. Am Grabstein steht: „Hat an Hexen geglaubt, hat viel Mist gebaut, hat Frauen geschlagen, nun schändlich begraben“.
Die „Hexe“ schwebt nunmehr als Zaunreiterin über das Dorf und verhindert größere Katastrophen. Sie beißt Männern ins Glied, wenn sie sieht, dass das mit der Geliebten nicht gut gehen kann, sie lässt Autoschlüssel verschwinden, wenn – ansonst tüchtige – Männer volltrunken nach Hause fahren wollen, sie glättet den Sturm des Haidersees, wenn Fischer in Seenot geraten, sie blendet den Fernseher aus, wenn zu Dummes gesendet wird.
Sie reitet von Not zu Not, die Zussa, und hat zu tun mehr denn je. Viel Unglück konnte sie abwenden, wird selbst aber niemals Ruhe finden, solange am Dorffriedhof der eine begraben ist, ihr Mann“.

 

Hagazussa, die vinschger Jazzband

 

1986 las Anita Pichler aus ihrem Buch „Die Zaunreiterin“ in der alten Weberei der Familie Gluderer in Schlanders. Organisiert wurde die Lesung damals vom Künstler Kurt Hofer. Dieser bat die aus der Gruppe „Factory“ (1973), dann „Vinschger Blues Korrn“, sich erst neu formierte Jazzband, die Lesung musikalisch zu umrahmen. Die Gruppe bestand aus Thomas Kirchlechner (Piano), Dieter Lung (Saxophon und Klarinette), Othmar Karnutsch (Trompete), Georg Lechner (Schlagzeug) und Klaus Garber (Bass). Da die Band zu diesem Zeitpunkt noch keinen Namen hatte und im Gespräch mit Anita Pichler erfahren hatte, dass sie auf Anraten des Suhrkamp Verlags ihren Roman nicht wie von ihr gewünscht „Hagazusssa“, Haga Zussa Konzert Kastelbellsondern „Die Zaunreiterin“ nennen sollte, fragten sie, ob sie den Namen Hagazussa für sich verwenden durften. Der Name war absolut passend für die Band, da diese sich zwischen und durch die verschiedenen Jazz- und Musikrichtungen bewegte und immer noch bewegt. Die Gruppe formierte sich im Laufe der Zeit immer wieder neu. Gründungsmitglied Klaus Garber erinnert sich: „Wir waren sofort begeistert von dem Namen Hagazussa. Wir wunderten uns, dass der Suhrkamp Verlag, so einen guten, spannenden Namen, der modern und gleichzeitig archaische Elemente inne hat, nicht für sich verwendet. Wir fühlten uns geehrt, dass wir so einen Namen, der über alle Grenzen hinausgeht und trotzdem für den Vinschgau bezeichnend ist, übernehmen durften. Wir haben natürlich sofort zugeschlagen. Obwohl die Mitglieder der Band, die im Laufe der Zeit von außerhalb des Vinschgaus neu hinzukamen, sich anfangs mit dem Namen Hagazussa nicht so recht identifizieren konnten, haben wir ihn nicht verändert und bis heute beibehalten. Wir wurden den Namen nicht mehr los. Hagazussa hängt wie eine Zauberin über uns“.

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