„Die Vinschger Jugend ist musikalisch“

geschrieben von
Stefan Gstrein ist seit dem Jahr 2000 Direktor der Musikschule Naturns und seit 2006 Direktor der Musikschule Untervinschgau, die aus dem Zusammenschluss von Naturns, Schnals, Latsch und Schlanders entstanden ist. Stefan Gstrein ist seit dem Jahr 2000 Direktor der Musikschule Naturns und seit 2006 Direktor der Musikschule Untervinschgau, die aus dem Zusammenschluss von Naturns, Schnals, Latsch und Schlanders entstanden ist.

Musikschule Untervinschgau - Die Musikschulen haben ungebrochenen Zulauf. Mit rund 1200 Schülerinnen und Schüler ist die Musikschule Untervinschgau die größte Schuldirektion im Tal. Stefan Gstrein leitet die durch die Zusammenlegung der Schulen in Naturns, Schnals, Latsch und Schlanders enstandene Musikschule seit 2006. Im Interview erklärt Gstrein unter anderem die Favoriten bei den Instrumenten und die Diskrepanz zwischen genügend Sänger:innen und Mitgliederschwund bei den Chören.

Vinschgerwind: Sind die Vinschger Kinder und Jugendlichen musikalisch?
Stefan Gstrein: Ja. Ganz klar ja. Es gibt viele Traditionen in den Tälern, auf den Höfen auch. Zum Beispiel hat es auf Schnalser Höfen ganze Streichquartette gegeben. Man hat dazu die Instrumente gefunden.

Vinschgerwind: Herr Direktor Stefan Gstrein, leiten Sie mit rund 1200 Schülerinnen und Schülern an der Musikschule Untervinschgau die größte Schul-Direktion im Vinschgau?
Stefan Gstrein: Im Vinschgau schon. Landesweit gibt es größere Direktionen. Die Musikschule Obervinschgau hat rund 900 Schülerinnen und Schüler.

Vinschgerwind: Musik verbindet. Mit den insgesamt 4 Schulstellen in Naturns, Latsch, Schnals und Schlanders verbindet die Musikschule Untervinschgau den gesamten unteren Vinschgau. Schafft Musik, was der Politik versagt bleibt?
Stefan Gstrein: Ich glaube schon (lacht). Wir haben Kinder im Einzugsgebiet von der Töll bis Laas inklusive der Nebentäler. Beim gemeinsamen Musizieren entstehen gute Gemeinschaften, in sozialer und in musikalischer Hinsicht. Musik geht über die Gemeindegrenzen hinaus.

Vinschgerwind: Sie leiten seit dem Jahr 2000 die Musikschule Untervinschgau und in ihrer heutigen Form gibt es diese seit 2006. Wie hat sich in den vergangenen Jahren die Musikschule entwickelt?
Stefan Gstrein: Klammern wir mal die Coronazeit aus. Die Schülerzahlen sind im Laufe der Jahre gewaltig gewachsen. Das merkt man gerade im Haus hier in Naturns. Wir sind beim nächsten Erweiterungsprojekt, weil die Schule mittlerweile viel zu klein geworden ist. Wir sind jeden Tag voll ausgebucht, mit Probelokalen, Chor und Musikprobelokal. Wir haben sogar einen WC-Bereich adaptiert, um die Zeit bis zur Erweiterung zu überbrücken. Bei der Planung damals durch Architekt Karl Spitaler ist mein Vorgänger noch von 280 Schülern ausgegangen, heute sind wir bei 500 allein in Naturns. Das hängt auch damit zusammen, dass wir das Instrumentarium erweitert haben. Früher war der Schwerpunkt bei Blech- und Holzblasinstrumenten. Es galt, Leute für die Musikkapellen auszubilden. Das machen wir auch heute noch. Dazugekommen ist der ganze Streicherbereich, auch der Volksmusikbereich mit steirischer Harmonika, Hackbrett, Zither usw. Da haben wir einen großen Sprung gemacht. Mein Wunsch wäre es, dass die Harfe dazukommt. Auch die Orgelausbildung ist hinzugekommen. Wir haben in Naturns und in Schlanders eine Orgel. Der Orgelnachwuchs stagniert zwar momentan. Da brauchen wir neue Impulse. Neu ist die Kapellmeister- und die Chorleiterausbildung.

Vinschgerwind: Allein in Naturns haben Sie 500 Musikschüler:innen. Wie schaut es in Latsch und in Schlanders aus?
Stefan Gstrein: In Latsch sind es rund 260, in Schlanders knapp 400. Das ist der Instrumentalbereich. Etwas zurückgegangen ist der Singbereich bei den Kindern. Den verpflichtenden Singunterricht gibt es nicht mehr. Schülerinnen und Schüler bevorzugen deshalb, nur das Instrument zu erlernen.

Vinschgerwind: Die Musikschule muss mit anderen Freizeittätigkeiten konkurrieren?
Stefan Gstrein: Das stimmt schon. Es gibt sehr viele Angebote, ohne diese werten zu wollen. Auch die Schulen bieten außerhalb des Unterrichts viele Projekte an. Wenn beide Eltern arbeiten, ist man froh, die Kinder sinnvoll betreut zu wissen. Aber noch etwas zum Gesangsunterricht: Teilweise bieten auch Kindergärten und Schulen Projekte mit Gesangsunterricht an. Mit der musikalischen Früherziehung wird dieser Unterricht teilweise von der Musikschule betreut. Es passiert heute also viel, was es früher nicht in dieser Vielfalt gegeben hat. Das Singen hat sich verlagert.

Vinschgerwind: Wo und wie kann man den Erfolg der Musiklehrerinnen und Musiklehrer und natürlich der Schülerinnen und Schüler hören und genießen?
Stefan Gstrein: Bei unseren Veranstaltungen kann man die Erfolge hören und genießen. Bei den Wettbewerben auch im Volksmusikbereich. Was man nicht direkt hören kann, ist das, was in den Klassenzimmern passiert. Für die Kinder ist das ein ganz zentraler musikalischer Entwicklungsort. Man sieht das bei Kindern mit Migrationshintergrund. Wenn die Sprache nicht reicht, geht die Entwicklung und der Dialog über die Musik. Bei Kleinkindern ist das ein hervorragendes Mittel für Integration. Das sind ganz neue Aspekte, die zu uns kommen. In den Städten ist das ein großes Thema. Hörbar sind die Erfolge auch in den Musikkapellen. Allerdings haben viel junge Leute nicht mehr vorrangig das Ziel, in eine Musikkapelle eintreten zu wollen. Trotz der hohen Schülerzahl in der Musikschule haben Musikkapellen oft Schwierigkeiten, junge Leute zu bekommen. Auch ist die Verweildauer in den Kapellen kürzer.

Vinschgerwind: Es bilden sich auch außerhalb der Musikkapellen Ensembles.
Stefan Gstrein: Partschins, als Beispiel, ist da gut aufgestellt. Dort gibt es mit der Zieltal Böhmischen, mit der Partschinser Böhmischen, mit Floh&Co mehrere Ensembles außerhalb der Musikkapelle, die super aufspielen. Solche Formationen gefallen den Jugendlichen.

Vinschgerwind: Holz- und Blechblasinstrumente waren früher gefragt. Gibt es bei den Schülerinnen und Schülern heute besondere Präferenzen bei der Wahl des Instrumentes?
Stefan Gstrein: Es gibt tatsächlich Präferenzen. Gitarre und Steirische Harmonika, Klavier und Schlagzeug sind hoch im Kurs. Da können wir nicht alle Schüler unterbringen. Bei den Bläsern geht es nach Corona leicht aufwärts. Mit dem Projekt der Bläserklasse in Naturns möchten wir Holz- und Blechblasinstrumente wieder „ans Kind bringen“. Alle Schülerinnen und Schüler der 3. Klassen Grundschule laden wir zu einem Instrumenenkarussell. Zum Probieren. Die Musikkapelle Naturns hat da alle 56 Instrumente angekauft. In einem zweiten Teil haben sich dann 25 von 56 Kindern zum Weitermachen entschieden, bekommen Einzelunterricht und vor allem wird das Spiel in Gruppen gepflegt. Wir hoffen, dass einige von den Kindern an der Musikschule bleiben.

Vinschgerwind: Kommen wir noch einmal zu Orgel und Chorleitung. Als Fachlehrer für Orgel und Chorleitung unterrichten Sie auch selbst. Die Orgel leidet in der Kirche unter Besucher- und die Chöre unter Mitgliederschwund. Wie betrachten Sie diese Phänomene?
Stefan Gstrein: Es ist nicht nur das Instrument oder der Chorgesang. Sänger in der Vokalausbildung gibt es genug. Aber nicht jeder Sänger will in einen Chor. Genauso ist es bei den Organisten. Das Instrument Orgel wird so angesehen wie jedes andere auch, ohne den kirchlichen Hintergrund. Auf der anderen Seite ist es das Problem der Kirche, der rückläufige Kirchenbesuch und möglicherweise auch das Personal vor Ort. Schüler haben oft mit Religion nicht viel zu tun, können mit der derzeitigen Gottesdienstform nicht viel anfangen. Beim Kirchenchor ist es ähnlich. Man muss mit den kirchlichen Gepflogenheiten und mit den liturgischen Inhalten vertraut sein, sonst geht man nicht zum Kirchenchor. Leichter ist es, Leute für überschaubare Projekte mit Chor und Orchester zu finden. Im Grunde wird sich auch das Vereinswesen insgesamt ändern müssen, wenn man junge Leute einbinden will. Ein Rezept dafür hab ich keines. Das wird wohl ein Prozess sein.

Vinschgerwind: In der Sportschule Mals gibt es eine „Hall of Fame“, also die international besonders erfolgreichen Absolventen. Gibt es so etwas auch an der Musikschule Untervinschgau?
Stefan Gstrein: In dieser Form nicht. Aber wir haben Talente, die wir auf ein MusikStudium vorbereiten. Aber wir haben auch Absolventen, die international tätig sind und Erfolg haben. Ein Philipp Lamprecht fällt mir da ein, der vom Kindergarten aufwärts bis zur Matura. bei uns an der Musikschule gelernt hat. Oder Loris, der sein Studium abschließt, oder Marian Polin, der inzwischen Profimusiker ist, oder der Naturnser David Fliri, der Solohornist ist. Vielleicht könnten wir von den Sportlern etwas lernen. Die finden allerdings größeren medialen Niederschlag. Es gibt mit dem Ensemble Philharmonia ein gutes Beispiel, in dem Südtiroler Profimusiker, die im Ausland tätig sind, als Symphonieorchester einmal im Jahr gemeinsam auftreten. Da sieht man, wie viele gute Musiker die Südtiroler Musikschulen absolviert haben.

Vinschgerwind: Die Einschreibungen für das Schuljahr 2024/2025 haben für die Musikschulen im Lande begonnen. Was ist die Erwartungshaltung? Haben Sie genügend Personal? Nehmen die Schülerzahlen zu?
Stefan Gstrein: Fange ich mit dem Lehrpersonal an: Für manche Instrumente haben wir genügend Musiklehrereinnen und Musiklehrer. Bei anderen Instrumenten fehlt uns Personal. Die Pensionierungswelle wird auch die Musikschulen treffen und da wird es schwierig manche Instrumente nachzubesetzen. Ein Beispiel: Für Gitarre haben wir keine Lehrpersonen auf der Rangliste. Bei keinem Instrument ist die Ausbildung für klassische Gitarre so konträr zu dem, was im Unterricht gefordert ist. Eine unglaublich schwierige Ausbildung steht dem Bedürfnis der Kinder gegenüber. Es ist interessant, dass trotz vieler Gitarrenschüler keine Lehrpersonen daraus herauswachsen. Zu den Schülern: Erfahrungsgemäß ist die erste Einschreibungswelle sehr groß. Bis zum Herbst hin gibt es allerdings viel Bewegung. Ich vermisse da eine gewisse Verbindlichkeit.

Vinschgerwind: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Eltern?
Stefan Gstrein: Die Zusammenarbeit klappt sehr gut. Weil wir nicht mit Bewertungsnoten arbeiten, müssen wir in ständigem Kontakt bleiben. Das Kind braucht auch die Unterstützung und die Bestätigung von zu Hause.

Vinschgerwind: In Ihrer Schuldirektion haben Sie es auch mit verschiedenen Gemeindeverwaltungen zu tun. Wird das Wirken der Musikschule geschätzt?
Stefan Gstrein: Auf jeden Fall. Gerade wenn es um Erweiterungen oder Umbauten oder Sanierungen geht. In Naturns wurde klar erkannt, dass das Musikprobelokal adaptiert und erweitert werden muss und auch die Musikschule weitere Räumlichkeiten benötigt. In Latsch und in Schlanders haben die dortigen Bürgermeister ein offenes Ohr für die Belange der Musikschule. In Schnals unterrichten wir in der Grundschule in Karthaus.

Interview: Erwin Bernhart

Gelesen 1342 mal
Mehr in dieser Kategorie: « Marmor bewegt Lasst die Vernunft zu! »

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.