Nationalpark Stilfserjoch: Frostschutzstrategien - Raffinierte Tricks zur Überwinterung

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Wolfgang Platter, am Tag der Hlg. Katharina von Alexandrien, 25. November 2023

In der letzten Ausgabe dieser Zeitung habe ich einige Strategien der Überwinterung bei den Vögeln vorgestellt: Standvögel, Zugvögel und Strichvögel sind die Antworten auf die Herausforderungen, im strengen und auslesenden Alpenwinter als Art zu überleben.
Andere Tierklassen haben im Laufe ihrer Evolution ähnlich raffinierte Überlebenstricks zum Bestehen in den strengen, frostigen Wintern in der borealen Zone der Nordhemisphäre entwickelt. Einige dieser Anpassungstricks stelle ich heute vor.
Viele Säugetiere verschlafen einfach den lebensfeindlichen Winter in kuscheligen Höhlen. Bereits im Spätsommer fangen die Winterschläfer, wie Murmeltier, Igel und Schlafmäuse, an, sich ordentliche Fettpolster anzufuttern. Während des Winterschlafes nehmen sie dann keine Nahrung mehr auf und verlangsamen drastisch Atmung, Herzschlag und Stoffwechsel, um Energie zu sparen. So fällt auch die Körpertemperatur dieser Säugetierarten enorm.

Der Igel
Der Igel überwintert als Schläfer in einem Laub- oder Komposthaufen und senkt seine Körpertemperatur während des fünfmonatigen Winterschlafs von 33°C auf eineinhalb Grad herab, seinen Herzschlag von 300 auf nur noch 18 Schläge pro Minute.

Der Siebenschläfer
Ein größerer Langschläfer ist der Siebenschläfer (Glis glis). Er ist der größte Vertreter der Bilche oder Schlafmäuse, welche zu den Nagetieren gehören. Seinen Namen verdankt der Siebenschläfer dem langen Winterschlaf. Dabei schläft er in der Regel sogar mehr als sieben Monate, von September bis Mai. In unserem Kalender gibt es mit dem 27. Juni sogar einen Siebenschläfertag zu Ehren der Heiligen Siebenschläfer von Ephesus.

Die Heiligen Siebenschläfer
hlg siebenschläfer2Der Legende nach wurden sieben Brüder, christliche Schafhirten aus Ephesus, zur Zeit der römischen Kaiser ihres Glaubens wegen verfolgt. Sie fliehen in eine Höhle und werden auf Befehl des Kaisers Decius 251 n. Chr. eingemauert. Fast 200 Jahre später, im Jahr 447, will ein Bauer die Höhle als Schafstall benutzen und lässt das Mauerwerk entfernen. Die Brüder erwachen, einer läuft, um Brot zu holen, kennt niemandem mehr in der inzwischen gewordenen Stadt und gibt dem erstaunten Bäcker eine Goldmünze mit dem Bild des Kaisers Decius zur Bezahlung. Da geht der Bischof mit den erstaunten Bürgern zur Höhle und findet alle Brüder lebend vor. Das Lübecker Passional von 1492 enthält die Legende. Der Siebenschläfertag am 27. Juni ist der liturgische Gedenktag für die sieben Schläfer von Ephesus.
Zurück zur Zoologie und zur Überwinterungsstrategie des Siebenschläfers. Siebenschläfer vergraben sich bis zu einem Meter unter der Erde oder in Baumhöhlen und sind hier gut vor dem Frost geschützt. Dabei senken sie ihren Puls auf fünf Schläge pro Minute. Erwachen sie aus ihrem Winterschlaf und finden kaum Baumfrüchte, so kann es sein, dass sie nach kurzer Zeit gleich wieder in den Winterschlaf verfallen und so ganze elf Monate des Jahres verschlafen können. Siebenschläfer sind Bewohner von Laubwäldern und ernähren sich hauptsächlich von ölhaltigen Baumfrüchten wie Bucheckern. Neben dem überlangen Winterschlaf haben sie noch eine andere frappierende Anpassung entwickelt: Sie pflanzen sich nur fort, wenn es in verschwenderischen Mastjahren der Futterbäume genug zu fressen gibt. Das kann dann auch einmal zu einer Nachwuchspause von mehreren Jahren führen. Denn nur wenn es genug nahrhafte Bucheckern gibt, haben die Jungen überhaupt eine Chance, sich genügend Fettpolster anzufressen, um so den Winter in ihrem ersten Lebensjahr zu überleben. Siebenschläfer sind verblüffenderweise nur in s45 siebensolchen Mastjahren befruchtungsfähig. Alleine in Jahren mit gutem Nahrungsangebot zur Herbstzeit sind bereits im Frühjahr die Hoden der Männchen deutlich vergrößert und zeugungsfähig. Woher die Siebenschläfer schon im Frühjahr wissen, dass es ein Mastjahr wird, und wie diese vorausschauende Steuerung bei den Siebenschläfern zustande kommt ist wissenschaftlich noch ein Rätsel.

Das Murmeltier
Auch das in den alpinen Rasen oberhalb der Waldgrenze lebende Alpenmurmeltier (Marmota marmota) ist ein wahrer Langschläfer, der bis zu neun Monate in kuscheligen Gruppen in seinen Erdbauten verschläft. Sein Herz schlägt statt hundert Mal nur noch zwei bis dreimal in der Minute, und Atempausen können bis zu einer Stunde dauern. Die Körpertemperatur fällt von 37,7 auf 2,6°C. Ab dieser tiefen Unterkühlung wird es kritisch und das Murmeltier wacht auf, um sich zu bewegen, den Darm und die Blase zu entleeren und seine Schlafposition zu ändern. In der Literatur gibt es unterschiedliche Angaben, ob das Murmeltier in diesen unterbrochenen Schlafphasen auch Nahrung aus seinen eingekammerten Heuvorräten aufnimmt oder nicht, ob also der Anstieg der Körpertemperatur nur durch Bewegung und Abbau der Fettvorräte erfolgt oder durch Aufnahme von neuer Energie aus neu aufgenommener Nahrung.

Winterruhe
Es gibt auch Tiere, die anstatt eines Schlafes eine sogenannte Winterruhe halten. Zu ihnen zählen der Braunbär (Ursus arctos), das Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) oder der Maulwurf (Talpa europaea). Diese Tierarten haben sich weniger Winterspeck angefressen, aber einen Wintervorrat gesammelt. Im Vergleich zu den Winterschläfern sinken Körperfunktionen und Körpertemperatur nicht so drastisch ab. Die Winterruher erwachen aus ihrer Ruhe, um Nahrung aufzunehmen, die sie etwa wie das Eichhörnchen sorgsam versteckt haben. Sollte es aber besonders kalt sein und ein extremer Mangel an Nahrung bestehen, fallen die Winterruher in eine tiefere Ruhe, um so Kräfte zu sparen und nicht zu verhungern.

Winterstarre
Neben den Tieren, die ruhen oder schlafen, gibt es noch eine weitere Gruppe von Tieren aus verschiedensten zoologischen Familien, die in eine sogenannte Winterstarre fallen. Bei dieser Strategie werden alle Lebensvorgänge auf null heruntergefahren. Dazu gehören Insekten, Amphibien, Reptilien sowie einige Fische. Die Körpertemperatur dieser wechselwarmen Tiere sinkt mit der Außentemperatur völlig ab. Frösche vergraben sich im Schlamm oder suchen sich ein geeignetes Erdloch, Fische erstarren im Wasser am Seegrund, wo das Wasser mit 4°C seine größte Dichte hat und deshalb als schweres Wasser die Bodenwasserschicht bildet und nicht gefriert. Insekten suchen unter Baumrinden Unterschlupf oder überdauern geschützt und inaktiv im Eigelege oder im Larven- oder Puppenstadium, eingebohrt in Baumholz oder eingegraben im Boden, den Winter.

Gefrierende Frösche und Falter
Manche Frösche und Insekten frieren gar im Winter mit ihrer Umgebung ein, ohne dabei zugrunde zu gehen. Normalerweise ist Frost tödlich: Friert Wasser in Zellen und Geweben der Organismen, bilden sich Eiskristalle, die die Zellstruktur sprengen. Manche Tiere besitzen jedoch eine Art Frostschutzmittel, das zum Beispiel aus Glukose besteht. Diese Anti-Frost-Moleküle haften sich an das Kristallgitter und ziehen freie Wassermoleküle an, die sich nun nicht mehr an der Kristallstruktur zur Eisbildung beteiligen können. Dieses Prinzip ist uns als Gefrierpunktsdepression vom Salzstreuen auf den Straßen bekannt. So können Frösche auch Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt überstehen.

Der Zitronenfalter (Gonepterix rhamni) toleriert gar Temperaturen bis -20°C. Zum einen hat er Glyzerin als körpereigenes Frostschutzmittel. Damit kann die Körperflüssigkeit kaum gefrieren. Der zweite Trick ist, dass der Zitronenfalter zu Beginn des Winters einen Teil seiner Körperflüssigkeit ausscheidet. Er trennt sich von allem Wasser, das er nicht unbedingt zu seinen Lebensvorgängen braucht. Wo kein Wasser ist, kann dann auch nichts gefrieren.
Während der Zitronenfalter als Vollinsekt im Falterstadium überwintert, überwintert der AdobeStock 214956273Kleine Eisvogel (Limenitis camilla) als Raupe. Die Raupe dieses Tagfalters benutzt denselben Trick wie der Zitronenfalter. Sie spinnt sich im Herbst mit Spinnfäden ein Tütchen aus Blättern zusammen und setzt sich hinein. Dann trocknet sie aus und übersteht so den Winter. Im Frühjahr saugt sie sich mit Wasser voll und beginnt, wieder zu fressen.

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