Soldaten als Lawinenfutter (Teil 2)

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Fotos: Ulli Kössler/ff-Archiv Fotos: Ulli Kössler/ff-Archiv

Aus dem Gerichtssaal - Bei der Gemeinde Rovereto gibt es ein umfangreiches Archiv. Darin werden unter anderem die politisch interessantesten Prozessakten des Rechtsanwalts Sandro Canestrini aufbewahrt. Dieser hatte im Strafverfahren gegen den General Di Lorenzo und den Leutnant Palestro einige der Angehörigen der sieben toten Alpini als Nebenkläger vertreten. Zwei der Strafurteile, jenes des Untersuchungsrichters beim Landesgericht Bozen und das anschließende des Strafsenats vom Juli 1975, konnte ich einsehen. Der General wurde schon in der Voruntersuchung freigesprochen. Ihm war vorgeworfen worden, er hätte das Wintermanöver angeordnet bzw. nicht abgebrochen, obwohl er wusste oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte wissen müssen, dass die Witterungsbedingungen ungünstig waren und zum Abgang von s16 Foto Lawinenunglück Zerzertal 2Lawinen führen konnten. Diese Kenntnis war ihm nicht vorzuwerfen, auch weil er in seinen Anweisungen für die Manöver die konkrete Entscheidung über die Wahl der Routen dem Mannschaftsführer überlassen hatte. Somit blieb als einziger strafrechtlich für den Tod der sieben Alpini Verantwortlicher der Leutnant Palestro übrig. Und auf den prasselten in der Hauptverhandlung die Vorwürfe haufenweise herab: Warum er für den Marsch nach der Oberdörfer Alm nicht den lawinensicheren, über die sanften Böden auf der orografisch rechten Talseite verlaufenden Anstieg gewählt hatte? Warum er sich vor dem Abmarsch nicht bei Einheimischen über die Lawinengefahr auf der orografisch linken Talseite entlang des Sommerweges erkundigt hatte? Warum die Soldaten wie Schafe einer hinter dem anderen („in fila indiana“) gingen und sich nicht die 50 Meter langen Lawinenschnüre um den Leib banden? Warum ihn nicht die von jeder Karte ablesbare Steilheit des Geländes an der orographisch linken Talseite davon abhielt, diesen gefährlichen Anstieg zu wählen? Bloß weil dieser bis auf das Schlinigjoch in den Vortagen von einer anderen Einheit freigeschaufelt und damit bequemer begehbar erschien? Auf all diese und die vielen anderen Fragen, die wir schon in der 1. Folge angesprochen haben (nicht vorhandene medizinische Notversorgung, ausgefallenes Funkgerät, fehlende Schaufeln), konnte der Angeklagte nicht befriedigend antworten, weshalb ihn das Landesgericht Bozen zu einer bedingten Haftstrafe von acht Monaten wegen fahrlässiger Tötung verurteilte. Die Angehörigen wurden aus der Staatskasse entschädigt.
Der Strafprozess war wichtig und wohl auch nützlich. Wichtig nicht nur weil er für die Angehörigen der jungen Rekruten Gerechtigkeit und eine späte Genugtuung brachte. Wichtig auch, weil damit eine gerade unter Militärs verbreitete menschenverachtende Einstellung bloßgelegt wurde, die mit dem in der Verfassung verankerten Leitbild von Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ schwer in Einklang zu bringen war. Und nützlich schließlich, weil sich wohl auch im Anschluss daran bis in die hohen Ränge der „Forze armate“ herumsprach, dass man mit einem Präsenzdiener nicht nach Gutdünken umspringen kann sondern für dessen Wohlergehen verantwortlich ist. Tatsache ist jedenfalls, dass sich meines Wissens nach der Tragödie auf der Oberdörfer Alm vom Jahre 1972 keine ähnlichen tödlichen Unfälle mehr ereignet haben. Außerdem ist seit dem Jahre 2004 die allgemeine Wehpflicht abgeschafft, die ja ohnehin hauptsächlich dem Zwecke diente, zumindest numerisch die Verpflichtungen gegenüber der NATO zu erfüllen, nämlich eine bestimmte Anzahl von Divisionen unter den Waffen zu halten. Deren Tauglichkeit im Ernstfall war begrenzt, die wenigsten der Eingezogenen wussten überhaupt, wie mit einem Gewehr umzugehen. Über die Gefährlichkeit einer solchen Situation wissen wir spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. So unrecht hatten die Römer nicht: „si vis pacem, para bellum“: Wenn du den Frieden willst, sei für den Krieg gerüstet. Aber das steht auf einem anderen Blatt!

Peter Tappeiner Rechtsanwalt
peter.tappeiner@dnet.it

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