
„365 Tog orbatn hot koane gwellt“

Heinrich Riedl (Jg. 1951) und sein verstorbener Bruder Meinrad (Jg.1941) lebten bis 2024 auf dem Außerpatzinhof am Lichtenberger Berg. Urlaub gab es dort keinen. „I bin nia in Urlaub gwesn. In Urlaub bin i iatz do“, sagt er.
Am 4. November 2024 sollten Heinrich Riedl und sein neun Jahre älterer Bruder Meinrad vom Außerpatzinhof am Lichtenberger Berg gemeinsam in die Seniorenstruktur St. Antonius in Prad ziehen. Doch Meinrad starb zwei Tage vor dem geplanten Umzug. Heinrich musste sich allein in der neuen Wohnung zurechtfinden. „Miar zwoa Leidige sain afn Houf bliebm bis miars nimmer drpockt hobm“, erklärt Heinrich. Er war der Viertgeborene von fünf Kindern. Mit über 30 Schülerinnen und Schülern aller acht Schulstufen saß er in einem Klassenraum der Bergschule. Die Lehrerin achtete auf äußerste Disziplin und war bei Fehltritten mit Strafen nicht zimperlich. „Si hot inz oft pa di Ohren zouchn“, sagt er. Einmal im Monat musste er morgens nüchtern zur Schulmesse gehen, zuerst beichten und dann die Kommunion empfangen. „Inzr Bout hobmer norr pan Mesmer in dr Kuch essn kennt“, erinnert er sich. Die Sonntagsmesse im Dorf erreichten die „Berger“ nach einem einstündigen Fußmarsch. Um sich den langen Heimweg zu ersparen, nutzte sie oft die Materialseilbahn, obwohl das eigentlich verboten war.
Heinrich half daheim überall mit, im Stall, beim Hüten, bei der Heuarbeit, bei der Getreideernte und im Winter beim Dreschen. Das Korn mahlte ein Nachbar in seiner Mühle. Alle zwei Wochen wurde Brot gebacken. Die Familie war Selbstversorger. Butter und Käse kamen von der Alm. „Lai dr Speck isch inz oft ausgongen“, schmunzelt er. Wie viele andere Kinder sammelte Heinrich im Herbst Lärchenzapfen, die dann zur Prader „Tschutschenmühle“ gebracht wurden. „Selm isch schun a pissl Konkurrenz unter inz Kindr gwesn, wail ma a guate Togschicht verdienat hot“, erzählt er.
Heinrich war 15 Jahre alt, als sein Vater an einem Lungenleiden starb. Daraufhin erübrigte sich für ihn eine Berufslehre. „Di Muatr hot gsog, iatz muasch drhoam bleibm“, erklärt er. Das galt auch für den ältesten Bruder Meinrad. 1971 wurde Heinrich zum Militärdienst einberufen. Mit drei Burschen aus Lichtenberg absolvierte er die Ausbildung in Cuneo. „Miar hobm olm Kortn gspielt unt weni Walsch glearnt“, lacht er. In der Brixner Kaserne fühlte er sich später als Küchengehilfe pudelwohl. Das Essen schmeckte, und er lernte kochen.
Nach 15 Monaten kehrte er wieder in den Hofalltag zurück. Abwechslung von der Arbeit boten das Neujahrsingen, die Bittgänge nach Agums und Tschengls und auch gelegentliche Treffen in den Hofstuben, wo musiziert und getanzt wurde. „I hon nia tonzt, wail i musikalisch a Null bin“, verrät er. Es gelang ihm auch nie, mit einer jungen Frau eine Beziehung aufzubauen und eine Heirat anzubahnen. Auch sein Bruder Meinrad schaffte es nicht, eine Jungbäuerin auf den Hof zu locken. „365 Tog orbatn hot holt koane gwellt“, sagt er.
Letztendlich kümmerten sich Heinrich, Meinrad und die Mutter um den Hof. Durch Milchlieferungen und den Verkauf von Jungvieh, das sie im Herbst auf den Märkten feilboten, erwirtschafteten sie sich ihr kleines Einkommen. In den 1970er Jahren konnten sie sich einen Einachser kaufen, der das Kuhgespann ersetzte, und später auch einen Transporter. Nur Meinrad hatte den Führerschein. Nach dem Tod der Mutter 1993 übernahm Heinrich das Kochen.
Unterstützung bei der Ernte erhielten die beiden ledigen Brüder regelmäßig von ihren Geschwistern und von Erntehelfern aus Deutschland. Es kamen jahrzehntelang dieselben Helfer, denen die Brüder sehr dankbar waren. Trotz aller Hilfe wurde die Arbeit für die beiden Brüder immer beschwerlicher. „Es isch gach oanfoch nimmr gongen“, betont Heinrich. Schließlich entschieden sie, Abschied zu nehmen und in eine Seniorenwohnung nach Prad zu ziehen, die Heinrich letztendlich allein beziehen musste. Wegen Bauarbeiten in Prad übersiedelte er kürzlich in der Struktur für betreutes Wohnen der Stadt Glurns.
Heimweh nach Außerpatzin hat Heinrich nicht. Der Hof ist mittlerweile so gut wie verkauft, und zwar an ein junges Paar aus dem Passeiertal. „Miar hobm dosige Lait gwellt“, betont er. Er fühlt sich in seiner kleinen Wohnung wohl und scherzt: „Fiaher isches mit di Madlen nia gongen, obr iatz kemman si do der Reih noch unt vergwöhnen miar.“