Der Wind dem Wein

Bei der Weinlese ist Teamwork angesagt. Foto: VinVentum
Ursprünglich pflanzte der Prader Landwirt Stefan Wallnöfer in seinem Grundstück oberhalb von Mals Goji Beeren an, doch ihnen machte die Kirschessigfliege den Garaus. Was nun? Bei Frans Van den Dries in Laatsch verkostete er einen guten Weißen mit fruchtigem Bouquet, aus der pilzwiderstandsfähigen Weißweinsorte Solaris gekeltert. Solaris bedeutet zur Sonne gehörig, perfekt für den sonnenverwöhnten Standort im artenreichen Gebiet der Hoache. Zehn Jahre ist es her, dass Stefan das Experiment begonnen und Reben gepflanzt hatte. Da Lage und Bedingungen sowie die Beschaffenheit des Bodens ideal sind, gelang es auf Anhieb. Von den ersten Jahrgängen zeigte sich Eros Teboni abgetan, ein vielfach ausgezeichneter Sommelier. Das spornte an, weshalb der Weinberg erweitert wurde und heute aus drei Etagen in leichter Hanglage besteht. Zunächst waren Stefan und bald auch Tochter Julia mit der Arbeit im Weinberg eingedeckt und die Weinbereitung delegierten sie an Hartmann Donà.
Seit dem vergangenen Jahr laufen alle Arbeitsschritte im Vinschgau ab: Stefan und Julia kultivieren einerseits die Reben und bewältigen andererseits das Weinmachen selbst. Die Gojibeeren hatten keine Begeisterung bei Julia auslösen können, doch mit dem Umstieg auf die Trauben wuchs ihr Interesse. Mittlerweile findet sie im Weinbau einen „megainteressanten“ Ausgleich. Nach den Grundsätzen des biologischen Anbaus und unter Anwendung von biodynamischen Präparaten stemmt sie mit Vater Stefan das landwirtschaftliche Projekt. Mit Kamille, Ackerschachtelhalm und Brennnesselsud kommen sie manchem Schädling bei und stärken die Pflanzen gegen Pilzerkrankungen. „Mit Kotzaschweaf spritzen“ heißt es auf Obervinschgerisch. 2024 dämmten sie mit Schwefel und Kamillentee den Mehltau ein und obwohl der Frühjahrsfrost viel verbrannt hatte, wird der sich in der Reifung geduldende Wein ein guter werden. Noch ist sein Prozess nicht abgeschlossen, weil dieser Solaris zwei Partner kennt: den Wind und die Zeit. Den Wind, weil auf den Oberwind Verlass ist. Er trocknet die Weimer ab, verhindert dadurch Fäulnis und Mehltau, und er fährt mit der Kälte davon. Außer 2024, da blieb er aus und bedingte Frostausfall.
Die zweite Partnerin ist die Zeit. Der Wein von Stefan und Julia ist kein Turbowein. Er darf ruhen und reifen. Um ihn selbst herzustellen, hat sich Familie Wallnöfer im Städtchen Glurns einen Weinkeller angemietet. Bei der Vinschger Weinpräsentation auf Schloss Kastelbell bekam Julia den Impuls zur Weinbereitung. Dort war VinVentum mit dem eigenen, noch nicht selbst ausgebauten Wein vertreten. „Heiner Pohl vom Marinushof hat mir gut zugeredet und mich bestärkt, es einfach zu probieren. Zu Beginn habe ich mir viel zu viele Sorgen gemacht“, beschreibt Julia ihren Weg zur Winzerin. Englischsprachige Literatur hat sie dabei begleitet. Bevor es losging, belegten Vater und Tochter den Kellerwirtschaftskurs in der Laimburg.
Da die Bearbeitung des Weinbergs von Hand und ohne Traktor abläuft, nennen sie sich Weinmanufaktur. Sie schieben die Spritze zur Ausbringung von zugelassenen Mitteln und Pflanzenextrakten durch die Zeilen, beim Mähen ist Stefan mit dem Fadenmäher (Bugglmahner) unterwegs. Die schwierigen Bedingungen bringen dem Wein ein besonderes Siegel ein: Wegen der Höhenlage, der Steilheit und der Handarbeit trägt VinVentum die Qualitätsmarke des heldenhaften Weinbaus. Wie bitte? „Die italienische Organisation CERVIM vergibt zur Aufwertung und zum Schutz des Weinbaus in Berggebieten oder unter anderen erschwerten Umständen das Zertifikat „Viticoltura Eroica“, klärt Julia auf, „und ähnlich den Erschwernispunkten, wie man sie aus der Südtiroler Landwirtschaft kennt, verteilen sie Punkte.“ Kommen genügend zusammen, ist man im Club der Helden. „Das soll zeigen, dass der Wein kämpfen musste.“. Ob man das auch schmeckt? „Wir wollen, dass der Wein so schmeckt, wie das Jahr war“, fasst Julia die vielen Komponenten zusammen, die Einfluss auf das Endprodukt haben. Anfang Oktober beginnt die Weinlese bei vielversprechenden Aussichten: Guter Behang, meist schöne Herbsttage mit knackigen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht. Das mögen nicht nur die Äpfel, da schießt auch den Trauben Süße und Geschmack ein. Von der letztjährigen Ernte sind ca. 2.500 Flaschen zu erwarten, die heurige soll das Doppelte abgeben. Um die Weinherstellung besser zu verstehen, wechseln wir den Schauplatz. Im vorbildlich sanierten Fiegele-Prieth Haus in Glurns geht es ein paar Stiegen nach unten in den Weinkeller. Seine Ursprünge liegen im 14. Jahrhundert. Heute wirkt er modern, auf die Nutzung abgestimmt. Und blitzsauber, Hygiene ist beim Weinmachen nicht unwichtig. Stefan sagt anerkennend: „Julia ist gelernte Krankenschwester, sie nimmt das ganz genau.“ An den Wänden stehen die Fässer, am Boden wartet die Rebelmaschine auf ihren baldigen Einsatz. Hier regiert die Zeit, denn eilig hat es der Solaris von VinVentum nicht: Nach dem Wimmen werden die Weintrauben über Nacht mazeriert (eingeweicht), am Tag danach abgepresst, dann vergärt. Aus Zucker wird Alkohol. Ein halbes Jahr bleibt der Traubensaft auf der Feinhefe mit Bâtonnage. Dabei wird der Hefesatz im Stahlfass regelmäßig aufgerührt, um die Hefe zu verteilen und den Wein zu belüften. „Das gibt dem Wein eine schmelzige, cremige Textur“, beschreibt Stefan mit kreisender Handbewegung. Der Ausbau des Weins ist noch im Gange. Für ein Jahr wird er im gebrauchten Holzfass gelagert, entweder Barrique oder Tonneaux. Erst dann ist er bereit für die Flaschenabfüllung. Sogar in der Flasche ruht der Wein weitere vier bis sechs Monate, da er sich immer noch verändert. „Initium“, so der Name des Weines, hat den Luxus der langen Reifung. Im Idealfall wird er erst zwei Jahre nach der Lese genossen.
Zu haben ist „Initium“ in der gehobenen Gastronomie, im Webshop eines Vinschger Weinhändlers und zunehmend auf Messen und Festivals. Daraus hat sich die Bekanntschaft mit dem Önologen Francesco Parisi aus dem Valpolicella ergeben, er schaut den Neo-Weinproduzenten bei Bedarf über die Schulter. Dass der Wein jährlich mehr wird und sein Bekanntheitsgrad steigt, spüren Stefan und Julia Wallnöfer deutlich. Die Kunden suchten nach Weinen mit Charakter. Bei ihnen sei jeder Jahrgang anders, „da sind oft Welten dazwischen“. Gerade in kleinen Kellereien spiegelt sich wider, dass Wein ein geheimnisvolles Naturprodukt ist. Nicht säurebetont und spritzig, sondern voll soll ihr Weißwein sein, das mache ihn auch länger lagerbar. „Abreifen“ soll er, wegen des hohen Zuckergehalts steigt der Alkoholgehalt. Duftend fruchtig schlägt der 2022er Jahrgang aus dem Glas entgegen. Was mit Struktur gemeint ist, entfaltet sich nun voll im Gaumen. Für die Fruchtnoten fehlen mir die Worte, jedenfalls hat ihm der Wind starke, komplexe Aromen hineingejagt. Im edlen schwarz-goldenen Flaschendesign macht der Weißwein von VinVentum was her. Vielleicht grüßt er bald von den Weinkarten der Glurnser Wirtshäuser, als echter und wohl einziger Laubengassenwein.