Dienstag, 07 Januar 2014 09:06

Nationalpark Stifserjoch - Sapienza - Ort der Weisheit? Natur- und Kulturinventar als Wirtschaftskurbel

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10BPNS 0623Wolfgang Platter, am Neujahrstag 2014

An den zwei Tagen 11. und 12. Dezember 2013 fand an der römischen Universität La Sapienza die 1. nationale Konferenz zum Thema „Die Natur Italiens, Biodiversität und Schutzgebiete: Grüne Wirtschaft für die wirtschaftliche Wiederankurbelung des Landes“ statt. Der Kongress wurde vom Umweltministerium, von der “Federparchi” als Dachorganisation der italienischen Naturschutzgebiete, von der Umweltstiftung für eine ökokompatible Entwicklung, vom Zusammenschluss der italienischen Handelskammern und eben von der Universität La Sapienza organisiert. Das zweitägige Programm hat eine hochkarätige Referentenliste geboten. Für den Nationalpark Stilfserjoch durfte ich zusammen mit dem Präsidenten Ferruccio Tomasi am römischen Kongress teilnehmen. Im Rahmen dieser Rubrik fasse  ich ein paar Inhalte und Erkenntnisse zusammen.

 

Der 1. Kongresstag
Nach den Grußworten des Umweltministers On. Andrea Orlando und des Rektors der Universität Prof. Luigi Frati hat am Vormittag u.a. Frau Dr. Julia Marton Lefebre als Generaldirektorin der Internationalen Union für den Erhalt der Natur (IUCN) referiert. Die IUCN vereint in ihren Reihen über 1.300 Naturschutzorganisationen aus der internationalen Staatengemeinschaft. Unter den IUCN-Mitgliedern  befinden sich z.B. 28. Nichtregierungsorganisationen aus Italien. Italien hat heute über 1.000 Naturschutzgebiete ausgewiesen, deren Fläche zusammengenommen etwa 11% des Staatsgebietes ausmacht. Auch in der Einschätzung von Frau Marton kann Italien dank seines natur- und kulturräumlichen Inventars stark profitieren. Der Natur- und Kulturtourismus befindet sich europaweit in einem Aufwärtstrend. Der alle 10 Jahre stattfindende Welt-Kongress der IUCN wird 2014 im australischen Sidney stattfinden und dem Thema Biodiversität gewidmet sein. Als Ökosystem-Leistungen der Schutzgebiete zitierte Frau Marton deren Kohlenstoffbindung: Die offiziell unter Naturschutz gestellten Gebiete binden die gleiche Menge Kohlenstoff wie die tropischen Regenwälder. Die Bindung des Kohlenstoffs in den Pflanzen verringert die Menge des Treibhausgases Kohlendioxyd in der Luft und damit die negativen Folgen des Treibhauseffektes wie Erderwärmung und Klimawandel.
Am Nachmittag des 1. Konferenztages hat sich das Plenum der ca. 1.000 Konferenzteilnehmer auf vier Arbeitsgruppen aufgeteilt und auf der Basis von verschiedenen Grundlagendokumenten an Runden Tischen die vier folgenden Themenkomplexe erörtert:
• Schaffung von Arbeitsplätzen für die Jugend in einem neuen Unternehmertum, das auch ausgerichtet ist auf die Entwicklung des ländlichen Raumes;
• Die Schutzgebiete und das Natura-2000 Regelwerk als Vektoren für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes;
• Die Bedeutung der wissenschaftlichen Forschung für den Erhalt und die Aufwertung des naturräumlichen Kapitals;
• Ökologisch ausgerichtete Verkehrsinfrastrukturen als Lenkungsinstrumente für die Mobilität: Potentiale, Kritizitäten und Vorschläge.

Der 2. Kongresstag
Der 2. Kongresstag hatte einen politischen Schwerpunkt. Es gab Grundsatzreden mehrerer Minister der italienischen Regierung und des EU-Kommissars für Umwelt Janez Potocnik. Der Kongresstag stand unter dem Ehrenschutz des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano, der Präsidentin des Abgeordnetenhauses Laura Boldrini, des Senatspräsidenten Pietro Grasso und des Ministerpräsidenten Enrico Letta. Aus Platzgründen können hier nur einige Auszüge aus der Rede des Umweltministers Andrea Orlando wiedergegeben werden. Als Referenten zumindest genannt seien eben der EU-Kommissar für Umwelt, der Wirtschafts- und Finanzminister Fabrizio Saccomanni, der Arbeits- und Sozialminister Enrico Giovannini, die Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin, der Minister für die wirtschaftliche Entwicklung Flavio Zanonato, die Landwirtschaftsministerin Nunzia De Girolamo, der Minister für Europa-Angelegenheiten Enzo Moavero Milanesi.

Die Rede des Umweltministers
Andrea Orlando (44), Jurist aus Ligurien, seit 28. April d.J Umweltminister in der Regierung von Ministerpräsident Enrico Letta hielt eine vielbeachtete und vielversprechende Rede, die vollends überzeugen kann, wenn den dargelegten Positionen deckungsgleiche Taten folgen. Ein paar Auszüge aus der Rede des Umweltministers:
• Es gibt globale Ziele, die in nationale Folgemaßnahmen umgesetzt werden müssen.
• Die soziale Krise mit Auftragseinbrüchen, Arbeitslosigkeit und Einkommensverlust hat auch im Herzen Europas nachhaltige Spuren hinterlassen.
• Die internationalen Abkommen zum Klimaschutz müssen für die Reaktionen der Regierenden den Takt angeben.
• In Europa und in Italien bedarf es eines dauerhaften und ausgewogenen Paktes, im Rahmen dessen die ökologische und soziale Verträglichkeit der verschiedenen Maßnahmen sorgsam abgewogen wird. Umwelt- und Gesundheit belastende Fälle wie etwa das Stahlwerk in Tarent dürfe es in Zukunft nicht mehr geben. Die Frage darf nicht mehr lauten Arbeitsplatz oder Gesundheit, sondern die Arbeitsplätze müssen gesundheitsverträglich sein.
• Grundsatzentscheidungen müssen losgelöst von politischen Wahlterminen und Mandatsdauern getroffen werden und langfristig gelten.
• Entscheidungskriterium darf nicht mehr nur die Steigerung des Bruttosozialprodukts, sondern müssen auch das menschliche Wohlbefinden und die gesellschaftliche Verträglichkeit sein.
• Es muss gelingen, vom momentan allzu häufigen Krisenmanagement der Umweltskandale und Dringlichkeiten weg und hin zu strategischen Planungen von präventiven Maßnahmen zu kommen. Minister Orlando hat in diesem Zusammenhang bemerkt, dass von Seiten der EU-Kommission derzeit 106 Streitfälle gegen das Mitgliedsland Italien behängen, 32 davon betreffen Umweltagenden.
• Bekenntnis zu Europa: Die Europäische Union sei ein fruchtbares Stimulans für nationale Umweltpolitik ihrer Mitgliedsstaaten. Auch in Italien braucht es die Energiewende weg von den fossilen Energieträgern hin zu den erneuerbaren.  
• Die italienische Regierung wolle die Umweltagenden massiv gewichten. Sie habe bereits einen Umweltpakt definiert. Elemente dieses Umweltpaktes seien u.a.: die Wiederbelebung der Landwirtschaft, die Risikovorbeugung gegen Umweltkatastrophen, die Eindämmung des Bodenverbrauches, die Bonifizierung verseuchter Industrieböden , die Verbesserung der Luftqualität etwa durch Neuorganisation der Mobilität, die Neuorganisation der Städte etwa in Bezug auf die täglichen Zeitabläufe von Arbeit und Freizeit, der Erhalt des Trinkwassers als öffentliches Gut, die Reduktion der Stäube und anderer Emissionen in der Luft, die Potenzierung der Wertstoffrückgewinnung in der Abfallwirtschaft.
Minister Orlando gab sich überzeugt davon, dass eine partnerschaftliche und tragfähige Achse („sodalizio“) zwischen dem Schutz der Umwelt und den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Gesellschaft gebaut werden kann. Zu den großen Bauvorhaben habe er bereits einen Gesetzesvorschlag im Ministerrat hinterlegt, welcher eine öffentliche Debatte der großen Bauvorhaben vorsieht. Dieses transparente Entscheidungsverfahren habe sich in anderen europäischen Staaten bereits bewährt. Die Gesellschaft sei in ihren Einschätzungen zur Umweltverträglichkeit bestimmter Vorhaben sehr reif und sehr kritisch, die Regierung sei bereit zu Entscheidungen, welche der gesellschaftlichen Bedürfnisse von Wohlbefinden, Gesundheit und Lebensqualität Rechnung trägt.

 

Info:

• Derzeit werden in Italien in jeder Sekunde 8m2 Boden verbaut, versiegelt oder anderweitig verbraucht. Umgelegt: In 5 Monaten wird eine Fläche von der Größe des Gemeindegebietes von Neapel verbaut.
• Laut Angaben des Direktors des nationalen Institutes für Umweltforschung ISPRA sind 30.000km2 gleich 10% des italienischen Staatsgebietes erhöhtem hydrogeologischen Risiko ausgesetzt.
• Von den gemäß EU-Richtlinie „Natura 2000“ als wertvoll eingestuften Lebensräumen Italiens sind 69% in einem schlechten oder unzulänglichen Erhaltungszustand.


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