Gigabit Gesellschaft

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Vinschgau/Südtirol - Das Glasfasernetz erreicht derzeit die letzten Kunden. Im Vinschgau - wie im restlichen Südtirol - gleicht das Glasfasernetz einem Fleckerlteppich: In jeder Gemeinde ist beim Bau und bei der Verlegung anders vorgegangen worden. Nun soll die landeseigene Gesellschaft Infranet eine Flurbereinigung hinkriegen und damit die Glasfasernetze auf rechtlich solide Beine stellen.

von Erwin Bernhart

Die EU-Kommission hat die Vision einer „Gigabit Society“ also einer „Gigabit Gesellschaft“ 2016 formuliert. Darin steht unter anderem: „Eines der wichtigsten Ziele der Strategie der Europäischen Kommission für den Digitalen Binnenmarkt vom Mai 2015 war es daher, für den Ausbau moderner, digitaler Netze mit sehr hoher Kapazität die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Da sich heutzutage die gesamte digitale Wirtschaft und Gesellschaft auf den Telekommunikationssektor stützt, muss Europa schnell handeln, um seine künftige globale Wettbewerbsfähigkeit und seinen Wohlstand zu sichern.“ Und weiter: Im Januar 2016 betonte das Europäische Parlament, dass private Investitionen in die Internetanbindung eine Voraussetzung für den digitalen Fortschritt sind und durch einen stabilen EU-Rechtsrahmen begünstigt werden müssen, damit alle Akteure – auch in ländlichen und abgelegenen Gebieten – Investitionen tätigen. Auch der Europäische Rat forderte im Juni 2016 die Errichtung hochleistungsfähiger fester und drahtloser Breitbandnetzanbindungen in ganz Europa als Voraussetzung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit sowie die Überarbeitung des Rechtsrahmens für den Telekommunikationsbereich mit dem Ziel, Anreize für umfangreiche Investitionen in Netze zu bieten und dabei einen wirksamen Wettbewerb und die Verbraucherrechte zu fördern.“

Das „Muss Europa schnell handeln“ hat man in Südtirol längst verstanden und die Landesregierung hat vor mehr als 10 Jahren die Marschrichtung vorgegeben: Das Land verlegt die großen Glasfaserstränge und die Gemeinden sollen dafür sorgen, dass die „letzte Meile“, also die Anschlüsse für die einzelnen Betriebe und Haushalte gebaut wird. Von wegen „private Investitionen“.
Es gab Gemeinden, die sich nicht zweimal bitten ließen. Die Gemeinde Schlanders etwa hat von sich aus einen Masterplan entwickelt, hat über die BLS Geld lukrieren können und hat auf eigene Rechnung die Glasfasernetze gebaut. Zuerst für die Handwerkerzonen, mittlerweile für die Ortschaften Schlanders, Kortsch und Vetzan. Mehr als 5,4 Millionen Euro hat sich das die Gemeinde Schlanders kosten lassen. Eine Art „sozialistisches Projekt“, mit öffentlichem Geld mit Anschluss für jedermann und jederfrau. Sonst wär’ halt gar nichts passiert, sagt man in der Gemeinde Schlanders.

In anderen Gemeinden wehte ein anderer politischer Wind und andere Gedanken kamen zum Zuge. So hat etwa in der Gemeinde Graun die E-Werk-Genossenschaft EGO gemeinsam mit den Fernheizwerken in Reschen und in St. Valentin die Verlegung des Glasfasernetzes an eine private Firma vergeben und finanziert. Das Netz steht, die Oberländer surfen seit langer Zeit schon über Glasfaser.
In der Gemeinde Mals hat die E-AG das Glasfasernetz in die Hände genommen und die Glasfasern über Leerrohre im Fernwärmenetz verlegt. Mittlerweile hat die E-AG das Glasfasernetz in der Gemeinde Mals an die landeseigene Infranet abgetreten.
In Schluderns und in Taufers hat die SEG, also die Fernwärmegenossenschaft, das Glasfasernetz angelegt. In Schluderns und Taufers sind die Fasern längst belichtet.
In Glurns hat das die Stadtgemeinde Glurns mit überschaubaren Investitionen gemacht und Infranet das Betreiben auf Vorleistungsebene übertragen.
In Prad und in Stilfs haben die dortigen E-Werksgenossenschaften die Glasfaserkabel verlegt. Prad und Stilfs sind mit ultraschnellem Glasfaser längst versorgt, da kann die EU von „schnell handeln“ reden, wie sie will.
In Laas hat die LEEG, die Fernwärmegenossenschaft das Know-How der Schludernser anzapfen können, die Leerrohre der Infranet zur Verfügung gestellt und im Gegenzug die Fernableseinfrastruktur auf Glasfaser umgestellt. In Latsch ist es ähnlich. Dort hat das Fernheizwerk und der Pächter des gemeindeeigenen Stromnetzes Edyna gemeinsam mit Infranet die Glasfaserarchitekur aufgebaut. In Martell und in Kastelbell war Infranet am Werk. In Kastelbell, in Schnals, in Naturns und in Plaus hat Infranet für die Glasfaserverlegung gesorgt. In Partschins ist es ähnlich wie in Latsch zugegangen. Der Stromnetzpächter Edyna hat Infranet die Stromrohre zur Verfügung gestellt.
Mit den Genossenschaften in Graun, Schluderns und Taufers, in Prad und in Stilfs sind Private Eigentümer des Glasfasernetzes. Das Glasfasernetz in Mals, in Laas, Latsch, Martell, Kastelbell, Schnals, Naturns, Plaus und in Partschins betreibt die privatrechtlich agierende Infranet.
Nur in Schlanders ist es anders. Dort hat eben die Gemeinde Schlanders als öffentliche Körperschaft mit Steuergeld ins Glasfasernetz investiert. Das ist im guten Glauben geschehen, auch entsprechend der Ausrichtung der Autonomen Provinz, dass eben für die „letzte Meile“ die Gemeinden zuständig seien, sowie auf Drängen der Bürger:innen, Wirtschaftstreibenden und sozioökonomischen Einrichtungen. Auch mit dem Wissen, dass die Sache heikel ist, dass das Ganze im rechtlichen Graubereich sein würde.
Die Gemeinde Schlanders dürfte mit ihrer Vorgangsweise nicht allein in Südtirol sein. Ganz Südtirol ist ein Fleckerlteppich.
Das Brisante dabei: Man hat Investitionen getätigt, die rechtlich auf höchst wackeligen Beinen sind. Denn der Ukas, also die Richtlinie der EU war immer klar marktwirtschaftlich ausgerichtet und in Italien ist die Telekommunikation ohnehin Staatssache. Der Staat schreibt aus. Basta. Von der römischen Zentrale ist eine große Ausschreibung für den Bau von Glasfasernetzen unterwegs.
Südtirol muss zusehen, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. LH Arno Kompatscher hat den Gemeinden versprochen, sie nicht hängen zu lassen.
Kompatschers Trumpf ist die Infranet. Der Vinschgerwind hat den LH am Rande der Pressekonferenz in Scuol auf die Misere beim Glasfasernetz angesprochen. Man habe diesbezüglich, so LH Kompatscher beim Professor Giuseppe Caia ein rechtliches Gutachten in Auftrag gegeben und zudem habe man sich mit dem zuständigen Minister für Innovation und für die digitale Transformation Vittorio Colao auf eine einvernehmliche Vorgangsweise verständigt. Man sei bei Colao auf offene Ohren und auf einen in Sachen Glasfaser bzw. Kommunikationstechnologien höchst kompetenten Mann gestoßen. Colao war von 2006 bei Vodafone für Europa zuständig und von 2008 bis 2018 CEO, also Chef, bei Vodafone.
Wenn ihr die Dokumente, also die jeweiligen Bewertungen für die Glasfasernetze beieinanader habts, dann seid ihr sicher, so ähnlich habe sich Colao dem LH gegnüber geäußert.
Dabei geht es um viel: Infranet muss die mit Gemeindegeldern gebauten Glasfasernetze ablösen, benötigt dafür einen Batzen Geld und Infranet muss die nationale Ausschreibung für den Bau von Glasfaserenetzen für die Autonome Provinz Bozen und für die Autonome Provinz Trient für sich entscheiden können. Beide Provinzen bilden ein einziges Ausschreibungslos.
Das Geld stehe bereit, sagt Kompatscher. Infranet wird mit 150 Millionen Euro ausgestattet. Politisch ist das bereits abgesegnet. Infranet erfüllt, so der LH, die Voraussetzungen für die nationale Wettbewerbsteilnahme.
Zudem werde Infranet-intern mit zweierlei Maß gemessen und zweierlei Buchhaltung geführt werden müssen: Denn das Glasfasernetz ist kompliziert. Es wird nämlich in schwarze graue und weiße Zonen unterteilt, also jene Zonen, die sich marktwirtschaftlich rechnen werden und jene Zonen die sich marktwirtschaftlich nicht rechnen. Schwarze und graue Zonen gelten für große Zentren, für Städte, in denen das Glasfasernetz dicht und dementsprechend die Investitionen pro Abnehmer gering ausfallen. Die Provider müssen für die Netzbenutzung eine Art Miete bezahlen. Schwarz und grau dürften sich demnach rechnen. Dann gibt es noch die weißen Zonen, in denen sich die Glasfasernetze nicht rechnen dürften. Man führt hier den Begriff „Marktversagen“ ein, will heißen, ein privater Marktteilnehmer wird kaum eine Glasfaserleitung, angenommen auf einen entlegenen Hof hinauf bauen. Konkret: Vodafone wird keine Leitung zum Gsalhof legen, weil sich die nie und nimmer rechnet.
Und genau für diese weiße Zonen wird italienweit ausgeschrieben werden und dafür Staatsknete zur Verfügung gestellt.
Die Gemeinden und die Genossenschaften und auch Infranet haben aber genau diese Leitungen in den weißen Zonen zum Großteil schon gebaut. Eine, so nennt es der LH, höchst demokratische Vorgangsweise. Und genau die will man retten und weiter ausbauen. Derzeit, so sagt es Infranet-Direktor Florian Fiegl, werden die Netze genau erhoben.
Politisch ist das alles höchst heikel. So wird es jedenfalls in der Gemeindestube von Schlanders rezipiert. BM Dieter Pinggera sagt, man habe bereits mit Infranet vertiefte Gespräche über eine Ablöse des Glasfasernetzes geführt. Der Generalsekretär von Schlanders Georg Sagmeister ist da pragmatischer: „Wenn wir das Netz verkaufen müssen, werden wir das tun.“ Dazu wird es demnächst entsprechende Beschlüsse im Gemeinderat und eine diesbezügliche Ausschreibung geben werden.
Derweil sind die anderen „privaten“ Glasfasernetze im Vinschgau in einem sicheren Hafen. Auch jene, die Infranet betreibt. Ganz sicher sind die Netze dann, wenn Infranet die Ausschreibung für die Provinz gewinnt.

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