Nationalpark Stilfserjoch: HIPPO - Gründe für das Artensterben

geschrieben von
Aristoteles (384 – 322 v. Chr.)  Der griechische Philosoph kann als  Begründer der Zoologie angesehen werden. Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) Der griechische Philosoph kann als Begründer der Zoologie angesehen werden.

Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Andreas, 30. November 2021

HIPPO ist ein Akronym aus dem Englischen und steht für die fünf direkten Ursachen für das Artensterben unter Tieren und Pflanzen: Habitatverlust, invasive Arten, Umweltverschmutzung (pollution), Bevölkerungswachstum (population growth) und Übernutzung (overhunting).
„Seit der erdumspannenden Ausbreitung des Menschen als homo sapiens vor rund 50.000 Jahren, vor allem aber seit den vergangenen 500 Jahren europäischer Expansion im Gefolge von Kolumbus´ Entdeckung der Neuen Welt und der Eroberung von Kolonialreichen hat sich überall auf der Erde das Artensterben beschleunigt“ so schreibt Matthias Glaubrecht, der Hamburger Universitätsprofessor für Biodiversität und Evolutionsbiologe, auf Seite 360 in seinem neuesten Buch „Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten“ (Pantheon, 2021).
Es könnte sein, dass manche Tier- und Pflanzenarten schon aussterben, bevor sie entdeckt und beschrieben sind. Wie viele Arten von Einzellern, Pilzen, Pflanzen und Tieren es auf unserer Erde gibt wissen wir nicht, obwohl wir glauben unseren Planeten auch in den letzten Winkeln erforscht zu haben. Dem ist nicht so.

Wie viele Arten gibt es überhaupt?
Die Biosystematiker schrauben die Zahl der Arten von Lebewesen immer wieder nach oben. Acht Millionen ist heute eine Zahl für die Angabe von Arten aus Pilzen, Pflanzen und Tieren, die in der Wissenschaft als plausibel geteilt wird. Davon beschrieben und mit Namen benannt sind aktuell 164C4(erst) 1,8 – 1,9 Millionen Arten. Auf jede bekannte Art kämen somit noch drei unbekannte Arten. „So gesehen leben wir auf einem noch beinahe unentdeckten Planeten“ (M. Glaubrecht, S. 409).
Der Bioinformatiker Lucas Joppa hat mit seinem Forscherteam unlängst errechnet, dass bei überschlägig bekannten 350.000 Arten von Gefäßpflanzen noch etwa 10 – 20 % neu zu entdecken sein dürften. Unter den knapp 1,4 Millionen bekannten Tierarten befinden sich etwa 70.000 Wirbeltierarten, aber ein Vielfaches davon Wirbellose, darunter wenigstens eine Million Insektenarten, 100.000 Arten von Spinnen und 50.000 Arten von Krebsen.

Aristoteles, der Begründer der Zoologie
Am Anfang der Artenfrage steht einer der großen Denker des Abendlandes. An einer Lagune der Insel Lesbos in der östlichen Ägäis begann Aristoteles als Erster, die Welt des Lebendigen zu ergründen und die verschiedenen Formen des Lebens und die Fülle der Arten zu beschreiben. Zumindest wissen wir bezeugt davon durch sein Buch „De partibus animalium“. Aristoteles war im Jahr 384 v. Chr. in Stagira nahe dem heutigen Thessaloniki geboren und als Siebzehnjähriger an die Akademie von Platon nach Athen geschickt worden. Entweder weil man ihm nach Platons Tod nicht die Leitung der Akademie übertrug oder um für ihn lebensbedrohlichen politischen Auseinandersetzungen zu entgehen – da ist sich die Forschung nicht einig – ging Aristoteles 348 oder 347 v. Chr. zuerst nach Assos an der Küste Kleinasiens und floh 345 v.Chr. nach dem Einfall der Perser mit seiner jungen Frau und seinem Schüler Theophrastos auf dessen Heimatinsel 218C4Lesbos. Theophrastos begründete seinerseits später die Botanik.
Auf Lesbos schneidet eine tiefe Meeresbucht, Kolpos Kalloni, von Süden tief in die Insel ein und bildet ein Binnenmeer. Dieser Meeresarm ist durch den Eintrag der Flüsse aus dem Hügelland besonders nährstoffreich. Kaum irgendwo im Mittelmeer war die Meeresfauna damals vielfältiger und formenreicher als in dieser Lagune von Lesbos. Seeigel, Seegurken, Seescheiden, Seesterne, Schnecken und Schwimmkrabben, Brassen und Barsche, Austern und Anemonen, Tintenfische und Tunikaten inspirierten den Philosophen Aristoteles.
Zehn Jahre später kehrte Aristoteles nach Athen zurück, gründete eine eigene wissenschaftliche Schule, das Lykeion, die er bis 323 leitete. Aristoteles starb im Jahre 322 auf der Insel Euböa.

Habitatverlust
Der Artenkiller Nummer eins ist die intensive Nutzung von Land und Meer durch den Menschen und der damit verbundene zunehmende Verlust an Lebensräumen: Rodung von Waldgebieten, Übernutzung der Böden und Vegetation, Degradatation und Verschlechterung der Böden. Dazu zählen Erosion, Überdüngung, Austrocknung, Zersiedelung.

Invasive Arten
325C3 SW 2017Ein wichtiger Faktor bei Schwund und Verlust von Arten ist die biologische Invasion. Durch globalen Handel und Tourismus werden Tier- und Pflanzenarten rund um den Globus in Regionen eingeschleppt, wo sie nicht hingehören. Solche gebietsfremden Arten haben keine adäquaten Feinde oder Konkurrenten. Hinzu kommen fremdartige Krankheiten und Seuchen wie beispielsweise jener Hautpilz aus Asien, der den Großteil unserer heimischen Lurche befällt und hinwegrafft.

Population growth (Bevölkerungswachstum)
Als dritter Treiber trägt der Klimawandel bereits derzeit zur Artenauswahl bei. Zu erwarten ist, dass dieser Klimawandel durch den menschengemachten Treibhauseffekt in Zukunft ein noch wichtigerer Selektionsfaktor wird. In den letzten Jahrzehnten haben wir Menschen den Kohlendioxidgehalt in der Erdatmosphäre verdoppelt, (Stand 2021) auf 420 pars per million angehoben und die Durchschnittstemperatur der Erde bereits um 1,2° C erhöht. Nachweislich weichen viele Arten mit ihrem Vorkommen vor steigenden Temperaturen und ihren Folgen zurück. Zukünftig überleben nur noch jene Arten, welche weiter zu den Polen hin oder in höheren Lagen der Gebirge vorkommen, die übrigen werden als Verlierer des Klimawandels verschwinden.

Pollution (Umweltverschmutzung)
Als vierter Treiber des Artenschwundes und -verlustes spielt die Umweltverschmutzung (pollution) in vielfältiger Weise eine Rolle, darunter auch die Ausbringung von Pestiziden wie Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden (Glyphosat, Neonicotinoide). Hinzu kommen Kunstdünger und Gülle als „Erstickstoff“ (M. Glaubrecht), welche den Boden und das Grundwasser mit Stickstoff überfrachten. Weiters Plastik, Schwermetalle, Erdöl und andere Umweltgifte.

Overhunting (Übernutzung)
Die Übernutzung ist nach der Veränderung und Zerstörung der Lebensräume der zweitwichtigste Treiber für das Artensterben. Die Überfischung der Weltmeere ist nur eines der schlagenden IMG 20180811 WA0007Beispiele für die direkte Ausbeutung von Tieren durch uns Menschen bis zum Aussterben der jeweiligen Fischart. Abschlachten der Wale und Verwerfen des sogenannten (ungewollten) Beifanges in der Hochseefischerei sind nur zwei beschämende Beispiele, wie sich der Mensch über die Natur stellt: Abermillionen von Meerestieren verenden jährlich in den Fischernetzen. Die EU-Fischereikommission schätzt die Beifang-Raten bei der desaströsen Grundnetzfischerei bis auf 70 %.

Der Mensch als vermeintliche Naturgewalt
In seinem eingangs erwähnten Buch schreibt Matthias Glaubrecht (auf S. 361) mahnend: „Die Evolution am Ende?.... Tatsächlich haben wir (Menschen) uns zu einer eigenen Naturgewalt entwickelt. Wir sind als erfolgreiche Lebensform derart übermächtig geworden, dass wir alles um uns herum verändern – von der Atmosphäre und den Ozeanen bis in den letzten Winkel des Landes. Wir haben Natur und Evolution als vom Menschen unabhängige Kräfte abgelöst. Wir sind selber nicht mehr nur Spielball dieser Kräfte. Vielmehr sind wir Menschen zu einer dieser Kräfte geworden, zu einem eigenen Evolutionsfaktor. Und zwar in einer Weise, die aus der schieren Quantität der Veränderungen eine neue Qualität macht. Dabei droht die Gefahr, dass der Mensch der Evolution ein Ende bereitet – zumindest der Evolution, deren Ergebnisse wir heute kennen. Indem er eine Vielzahl jener heute lebenden Arten ausrottet, die im Verlauf der jüngsten Erdgeschichte entstanden sind.“

Gelesen 2769 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.