Meuchelmord auf dem Hinterburghof

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Aus dem Gerichtssaal - Der Hinterburghof in Tschengls-Berg ist heute ein stattliches Anwesen. Man merkt ihm nicht an, dass hier in der Vergangenheit 3 Familien ihr kärgliches Auskommen finden mussten. Und schon gar nicht, dass er im fernen Jahr 1867 Schauplatz einer grausigen Bluttat war. Doch nun die traurige Geschichte der Reihe nach: Auf Hinterburg lebte um diese Zeit auch Anna Stieger, 56 Jahre alt, Analphabetin, Mutter von 6 Kindern, Witwe des 1864 verstorbenen Sebastian Wielander, mit ihrem ältesten Sohn Johann und der Tochter Klara. Als diese vom Hofe fortzog, legte die Mutter ihrem Sohn nahe, sich eine Frau zu suchen. Die war auch bald in der 37 Jahre alten Ursula Wolf aus Tschengls gefunden, die daraufhin mit ihrer 8 Jahre alten unehelichen Tochter einzog. Ihren ¼-Anteil am Hof hatte die Mutter vorher unter den üblichen Auflagen (Ausgedinge, Unterkunft und Verpflegung) auf den Sohn übertragen. Die Hochzeit fand um Lichtmess 1867 statt. An dieser nahm die Mutter nicht teil. Noch am Abend des gleichen Tages verließ sie Hinterburg, um eine Stelle bei einem Bauern in Kastelbell anzutreten. Das dürfte aber auch nicht „das Wahre“ gewesen sein, denn schon nach ein paar Wochen kehrte die Mutter wieder zu ihrem Sohn und der Schwiegertochter zurück. Das Verhältnis zwischen den beiden Frauen scheint sich immer mehr verschlechtert zu haben. Es entlud sich unter den auf engstem Raum zusammenlebenden Menschen in Gehässigkeiten wie diesen: Die Schwiegertochter versperrte der Schwiegermutter das Brot und beklagte sich bei ihr: „Es isch nix im Haus, lei a Kuh und kein Tuch, wir müssen bald alle lottern gehen.“ Außerdem machten ihr die weichenden Kinder Vorwürfe, dass sie selbst vom „Hoamat“ vertrieben worden waren. Diesem ständigen Druck hielt die Frau nicht stand. Er entlud sich im Juni 1867 im Entschluss, die Schwiegertochter aus dem Weg zu räumen. Sie streute ihr Mausgift zuerst in die Pfanne mit den Nocken und am nächsten Tag in den Teller mit der Suppe. Und als diese „Beigaben“ zwar zum Abortus eines 12 Wochen alten Fötus, nicht aber zum Tod führten, versetzte ihr die Schwiegermutter mit dem Dreschflegel auch noch zwei Schläge auf den Kopf.
Vier Monate später fand vor dem Schwurgericht in Bozen der Prozess gegen Anna Stieger statt. Der Staatsanwalt ging hart mit ihr ins Gericht. Er geißelte vor allem die Kaltblütigkeit und die Hinterlist, mit der der Mordvorsatz ausgeführt worden war. Auch unterließ er es nicht, auf das „schlampige“ Verhältnis der Angeklagten zur Religion hinzuweisen: Diese habe in ihrem Herzen nie Wurzeln geschlagen, die Kirche besuchte sie, weil es so der Brauch ist, zur Beichte ging sie nur wegen des „Zettels“, die Sakramente habe sie immer „schlenderisch“ empfangen. All diese Umstände veranlassten den Öffentlichen Ankläger, die Todesstrafe zu fordern. Spätestens nach diesen Anträgen des Staatsanwalts musste für den Verteidiger klar sein, dass es um Kopf und Kragen ging. „Verteidigung ist Kampf, Kampf um die Rechte des Beschuldigten.“ Diesen Satz aus dem „Taschenbuch des Strafverteidigers“, zitiert in von Schirachs „Schuld“, dürfte der Verteidiger nicht gekannt haben. Seine Ausführungen bestanden nämlich, was man dazu aus den Quellen erfährt, nur aus juristischen Spitzfindigkeiten und Wortklaubereien. Die wirtschaftlichen Hintergründe der Bluttat und der Geisteszustand der Täterin blieben dabei weitgehend unerwähnt. Denn die drei Familien, die damals auf dem Hinterburghof beheimatet waren, müssen in extremster Armut und auf engstem Raum neben-, über- und untereinander gelebt haben. Nachdem, wie es scheint, die Familie der Täterin eine einzige Kuh ihr eigen nennen konnte, lässt sich ausrechnen, dass der Schmalhans ständig Regie führte. Und wenn dann die angeheiratete Schwiegertochter diese Armut auch noch zum Gegenstand von andauernden Vorhaltungen machte, dann hätte das auch robustere Personen als die Angeklagte aus der Fassung bringen können, um deren Geisteszustand es ohnehin nicht zum Besten bestellt sein konnte. Das jedenfalls war schon aus ihrem Verhalten nach der Tat erkennbar, als sie angab, in der Kammer der Schwiegertochter Teufel, Ungeziefer, allerhand Geister und auch eine Schlange gesehen zu haben, weshalb sie mit der „Drischel“ wild um sich geschlagen habe. Auch ihre ganze Umgebung war nach der Tat überzeugt, sie müsse „besessen und wahnsinnig“ geworden sein.Trotz dieser offenbaren Zweifel an ihrer Zurechnungsfähigkeit wurde Anna Stieger vom Schwurgericht zum Tode verurteilt. Sie erhängte sich in der Gefängniszelle.
Peter Tappeiner, Rechtsanwalt
peter.tappeiner@dnet.it

„Angezapfte“ Quellen:
- Schulmeister a. D. Herbert Raffeiner Tschengls;
- Südtiroler Haus-Kalender 1987, S. 115-124.

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