Kultur: Kraut & Rüben

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Siegfried de Rachewiltz bei der Vorstellung der Schrift „Kraut & Rüben“ am 25.09.2020 auf der Brunnenburg, im Hintergrund Hans Wielander, der Herausgeber der Kulturzeitschrift Arunda Siegfried de Rachewiltz bei der Vorstellung der Schrift „Kraut & Rüben“ am 25.09.2020 auf der Brunnenburg, im Hintergrund Hans Wielander, der Herausgeber der Kulturzeitschrift Arunda

Neben Getreide, Fleisch und Käse waren Kraut und Rüben beinahe die tägliche Mahlzeit, bevor Mais und Kartoffel sich im 18. und 19. Jahrhundert in Europa ausbreiteten. Rüben und Sauerkraut waren nicht nur die Hauptspeisen des Bauernstandes, Sauerkraut und Rübenkraut waren über Jahrhunderte die wichtigsten Vitaminlieferanten in den Wintermonaten. Skorbut, die Seemannskrankheit in Folge einer Unterversorgung mit Vitamin C, führte zu schweren körperlichen Schäden und oft sogar zum Tod. Sauerkraut wirkte wahre Wunder gegen Skorbut und rettete nicht selten das Leben einer ganzen Besatzung. Das Wort „Kraut“ steckt nicht nur im Wort „Unkraut“ und meint damit alle Pflanzen, die scheinbar keinen Nutzen haben, auch im Wort „Kräuter“ steckt die Wortwurzel und meint damit alle Heilpflanzen. Kraut und Rüben gehören zu den ältesten Nutzpflanzen der Welt, ein Krautgarten und ein Rübenacker waren wichtige Bestandteile eines jeden Bauernhofes. Kraut und Rüben sind aber nicht nur wichtige Nahrungsmittel, ihre tieferen Spuren findet man im Brauchtum, in Sagen, in Volksliedern, Redensarten, in der Kunst und in der Volksmedizin. Früher gab es die wandernden „Krautschneider“, die von Mitte September bis Mitte s22 Kraut Rüben Arunda99 TitalbildDezember durch halb Europa zogen und ihre Arbeit verrichteten. „Kraut & Rüben“ ist auch die neueste Buchausgabe des Landwirtschaftsmuseum Brunnenburg (Schrift Nr. 20) und der Vinschger Kulturzeitschrift Arunda (Nr. 99). Siegfried de Rachewiltz und Andreas Rauchegger haben zusammen mit vielen weiteren Autoren und Autorinnen eine umfassende Dokumentation zur Kulturgeschichte von Kohl, Rüben und Sauerkraut im historischen Tirol herausgegeben. In früheren Ausgaben der Arunda und des Landwirtschaftsmuseums Brunnenburg wurden weitere Themen der Nahrungsgeschichte behandelt: z.B. Brot im südlichen Tirol (Arunda 1980), Kastanien im südlichen Tirol (Nr. 34), Rebsaft (Nr. 83) Milch (Nr. 53), Der Mohn in Mythos, Volksmedizin, Speise und Sachkultur in Tirol (Schriften der Brunnenburg Nr. 16) eardepfl – zur Kulturgeschichte der Kartoffel im Historischen Tirol (Arunda 93 – Schriften des Landwirtschaftsmuseum Brunnenburg Nr. 18).

Vinschger Wettlügen und Knödl mit Kraut beim
„Pfluagziachn“ in Stilfs

Im Vinschgau kennt man die Sagen von den Wettlügen der „Vinschger Lugner“. Ein Lügner erzählt von einer Rübe auf dem Koflhof, in der sieben Füchse mit ihren Weibern und Kindern hausten, bis einer die Wurzel abbiss und die Rübe den Halt verlor und mit Donnergetöse den Berg hinabstürzte und auf der Vinschger Landstraße liegen blieb. Ein fremder Fuhrmann fuhr in der Dunkelheit mit Ross und Wagen in die ausgehöhlte Riesenrübe hinein. Sieben Tage schaufelten mehrere Straßenarbeiter, bis sie den Fuhrmann samt Fuhrwerk befreit hatten und die Straße für den Verkehr wieder freigeben konnten. Bekannt ist auch, dass beim „Pfluagziachn“ in Stilfs, einem Faschingsbrauch, der alle zwei Jahre stattfindet, nach dem Gang der verschiedenen Gruppen durch die Gassen und dem improvisiertem Streit zwischen Alt und Jung, Mann und Frau, Sesshaften und Auswärtigen, Bauern und Knechten, das ganze Straßentheater in einem öffentlichen Knödelessen mit Kraut endet. Die Bedeutung von Kraut und Rüben spiegelt sich auch in verschiedenen Redensarten: „Es sieht aus wie Kraut und Rüben“ d.h. es herrscht große Unordnung, ein riesiges Durcheinander. „Kohldampf haben“ bedeutet großen Hunger haben, die Redensart „das macht das Kraut nicht fett“ bedeutet: solche Kleinigkeiten helfen auch nicht viel weiter. „Dagegen ist kein Kraut gewachsen“, d.h. dagegen hilft nichts, da kann man nichts tun. „Ins Kraut schießen“ hingegen bedeutet: stark zunehmen, schnell wachsen, sich schnell verbreiten. Die Redensart „Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen“ bedeutet: Dummheit ist unbesiegbar. „Jemandem eins über die Rübe hauen“ d.h. jemanden auf den Kopf schlagen. Diese Redensarten belegen am besten, wie tief im Alltagsleben die Bedeutung von Kraut und Rüben verwurzelt ist. „Kraut & Rüben“ heißt auch der älteste Bioladen in Bremen, den es seit 1980 gibt. Das Sauerkraut wurde in Deutschland schon seit Jahrhunderten verzehrt. Deshalb zählt es zum deutschen Nationalgericht und die Deutschen wurden von Ausländern als „Sauerkrautesser“ bezeichnet. „Krautrock“ nannten die Engländer abschätzig die Rockmusik, die zu Beginn der 70er Jahre in Deutschland entstand. Es gibt Restaurants, die diesen Namen tragen, Musikgruppen und Musikfestivals. KRAUT & RÜBEN ist seit über 30 Jahren das führende Magazin für natürliches Gärtnern und natürliches Leben. In der Pfalz in Deutschland gibt es sogar einen „Kraut-und-Rüben Radweg“. In Tirol gibt es den „Krautinger“, einen Rübenschnaps der Region Wildschönau, hergestellt aus der weißen Stoppelrübe. Das Monopol zur Schnapsherstellung, dem Krautingerbrennen, wurde den Bauern in der Wildschönau bereits von Kaiserin Maria Theresia verliehen. Nach Plinius war die Rübe nördlich des Po die drittwichtigste Frucht nach Wein und Getreide. Dass Sauerkraut als Arme-Leute-Essen galt, wird dadurch erhärtet, weil das Adjektiv sauer in vielerlei Hinsicht negativ behaftet war. „Süß“ galt als Privileg des Adels, „Sauer“ hingegen als Los der Armen. Rachewiltz schreibt, bevor der Storch sich als Kinderbringer allgemein durchsetzte, kamen in Tirol die Neugeborenen aus Bächen und Brunnen oder aus Bäumen und Höhlen und aus dem Krautfass. Der Krauttanz stellte in Tirol und Bayern den Höhepunkt der Hochzeitsfeier dar. Beim Hochzeitsmahl wurde Sauerkraut mit Knödel und Schweinefleisch aufgetischt. Dass Sauerkraut mit der Fruchtbarkeitssymbolik beladen ist, scheint naheliegend. Stoßen bzw. Hobeln des Krautes ist eine Metapher für den Geschlechtsverkehr und das Gären des Krautes gilt als Inbegriff des brodelnden Lebens und der triebhaften Naturkräfte.

Eyrscher Kobas, geplante
Krautfabrik und „Lechner Kraut“

Auch im Vinschgau spielen Kraut und Sauerkraut, eine wichtige Rolle. Würste oder Schweinernes mit Kraut, Krautnocken, Krautnudel, Krautsalat oder Krautsuppe sind wichtige Speisen. Die Technik der Verarbeitung, des Einschneidens und Einstampfens, waren besondere Ereignisse. In Eyrs, wo schon lange Kobas angebaut wurde, weil der Boden gut geeignet war, fuhr man mit den Krautköpfen vor dem Ersten Weltkrieg mit Pferdegespann zum Markt nach Meran, später wurden sie mit der Eisenbahn bis nach Trient und Verona geliefert. Richard Staffler spricht sogar vom Krautdorf Eyrs. Die „Egger Mander“ sind mit Kobas, Obst und Gemüse mit dem Lastauto über das Stilfserjoch bis nach Bormio gefahren und haben es dort im ganzen Veltlintal verkauft. In Eyrs gab es sogar Pläne eine Krautfabrik zu bauen. Die jüdische Familie Götz, die ein Geschäft in Meran betrieb, kaufte ein Grundstück in Eyrs, mussten dann aber wegen der Judenverfolgung das Land verlassen. Krautfabrik gibt es daher keine im Vinschgau, dafür das „Lechner Kraut“. Das orginal Vinschger Sauerkraut wird von der Familie Lechner aus Laas bereits in dritter Generation angebaut. Der landwirtschaftliche Familienbetrieb ist heute der einzige größere Sauerkraut-Hersteller in ganz Südtirol. Und jedes Jahr gibt es die Krautwochen in Laas. In Tschengels wird eine andere Rübe gefeiert: die rote Bete oder rote Rübe (Rohnen). Jedes Jahr zu Maria Geburt am 8. September gibt es in Tschengls den „Rohnenkirchta“.

Heinrich Zoderer

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