Der Rückgang
In den gesamten Alpen ist die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in nur 30 Jahren zwischen 1980 und 2010 von 450.000 auf 210.000 und damit auf weniger als die Hälfte zurückgegangen. Am stärksten war der Rückgang mit -47% in den Französischen Seealpen, aber auch in den italienischen Alpen war der Rückgang mit -44% dramatisch. In den bayrischen Alpen betrug der Rückgang -24% und das positive Ende der Skala stellen die österreichischen Alpen mit -12% dar.
Auch in Südtirol sinkt die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe: Bei der staatsweit durchgeführten 6. Landwirtschaftszählung 2010 wurden in Südtirol 20.200 landwirtschaftliche Betriebe gezählt. Vier Jahre danach waren im Jahre 2013 noch 18.645 Landwirtschaftsbetriebe mit einer Bruttowertschöpfung von 4% an der gesamten Bruttowertschöpfung Südtirols und einem Anteil an Beschäftigten von 9,5% (z. Vgl. EU-weit: 1,4% Bruttowertschöpfung der Landwirtschaft bei einem Beschäftigten-Anteil von 5,2%). Die Abnahme der Landwirtschaftsbetriebe in Südtirol im Zeitraum 2010-2013 beträgt somit 7,7%.
Die Gründe
Werner Bätzing, der emeritierte Universitätsprofessor für Kulturgeographie und wissenschaftlicher Berater der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA, nennt in seinem Standardwerk „Die Alpen – Geschichte und Zukunft einer Kulturlandschaft“, das 2015 in der 4., völlig überarbeiteten und erweiterten Auflage erschienen ist, in der historischen Betrachtung der Landwirtschaft seit der Industriellen Revolution vier Phasen des Rückganges der Landwirtschaft:
• das Auflassen der Grenzertragsböden
• den Rückzug auf die landwirtschaftlichen Kernbereiche
• die Einstellung des Ackerbaues 1960-65
• das Verschwinden der Berglandwirtschaft.
Bäuerliche Familienbetriebe
Das Jahr 2014 war das Jahr, welches die UNO zum Jahr der bäuerlichen Familienbetriebe ausgerufen hatte. Familienbetriebe machen fast 100% der europäischen Landwirtschaftsbetriebe aus. In diesem Jahr 2014 hatte die Europäische Akademie Bozen zusammen mit dem Südtiroler Bauernbund eine internationale Tagung zum Themenschwerpunkt bäuerliche Betriebe veranstaltet. Thomas Streifeneder, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institutes für Regionalentwicklung der EURAC schrieb 2014 in seinem Internet-Blog unter dem Titel „Berglandwirtschaft: Angezählt?“ unter anderem: „Für die kleinen Familienbetriebe im Berggebiet sind die Herausforderungen angesichts Klimawandel, Migration/Urbanisierung und fehlender Wettbewerbsfähigkeit erheblich. Die Entwicklung des Sektors wird gesteuert von einem komplexen Zusammenspiel inner- und außerbetrieblicher Triebkräfte. Dazu gehören das Alter des Betriebsleiters, die Anwesenheit eines Hofnachfolgers, die Agrarpolitik und der regionale Arbeitsmarkt. Ein großer Zusammenhang existiert zwischen moderaten Aufgaberaten und Tourismusintensität: In Gebieten mit hohem Tourismusaufkommen haben weniger Betriebe ihre Tätigkeit aufgegeben. Im Umkehrschluss: Wenig Tourismus, wenig Landwirtschaft.“ Diese statistisch untermauerte Aussage verwundert zunächst. Der ableitbare Schluss lautet: Landwirtschaft und Tourismus in einer Kulturlandschaft brauchen sich gegenseitig!
Und Thomas Streifeneder weiter: „Was aus der Kulturlandschaft werden kann, wenn sich die Landwirtschaft flächenmäßig zurück entwickelt, ist z. B. in Südtirols Nachbarprovinz Belluno zu sehen. Treffen Betriebs- und Flächenaufgabe zusammen (v.a. im italienischen Alpenbogen), dann halten Wald, Wolf und Wildnis Einzug. Mit den bekannten Folgen für die Biodiversität und häufig (viel zu) emotional geführten gesellschaftlichen Diskussionen. Landwirtschaftliche, ökologische und räumliche Entwicklungen stehen im ländlichen Raum in engen Wechselbeziehungen und beeinflussen die Lebensqualität maßgebend. Dies zu verstehen und nachhaltig miteinander zum gegenseitigen Nutzen zu vereinen sind interessante und herausfordernde zukünftige Forschungsfelder, wo eine interdisziplinäre Methodik eine interessante Rolle einnehmen wird, um ergebnisorientiert arbeiten zu können und dabei die Interessen der verschiedenen Stakeholder ins Lot zu bringen.“
Am Ende seines Beitrages kommt Thomas Streifeneder zum Schluss: „In Zukunft insofern die Landwirtschaft einen breiten Rückhalt anstrebt, muss sie sich technologisch verbessern (Abdrift, Abstände), sensibler und verantwortungsbewusster für das Gemeinwohl werden (Risikosätze, Vermeidung von bestimmten Pflanzenschutzmitteln ….) sowie sich extensiver und ökologischer ausrichten“.
Wertschöpfungsketten
Nicht nur Pessimismus walten lassend, schlägt Werner Bätzing in seinem bereits zitierten Buch „Die Alpen“ vor, drei Leitideen bei der dezentral flächenhaften Aufwertung der alpeninternen Potentiale zu beherzigen:
• Erstens: Den Aufbau von Wertschöpfungsketten von der Urproduktion über die Be- und Verarbeitung, um die regionale Wertschöpfung zu erhöhen;
• Zweitens: Die Vermeidung von hochspezialisierten Monokulturen und die Kombination von sehr unterschiedlichen Wirtschaftsaktivitäten, um auch bei kleinen Mengen (wie sie charakteristisch für periphere Regionen sind) ein ausreichendes Einkommen zu erzielen.
• Drittens: Die Vermarktung der Regionalprodukte nicht allein in der Region selbst, sondern auch in den alpenrandnahen Metropolen, weil hier die Nachfrage sehr groß ist und diese Konsumenten die Qualitäten der Regionalprodukte besonders schätzen.
Im Vinschgau und anderorts in den Alpen gibt es bereits erprobte und ermutigende Beispiele: Palabirnwochen, Marmor und Marillen, Weinkost, Alm- und Hofkäse, Brot vom Bauernhof ….
Die globale Performance der Südtiroler Bauern in Verknüpfung mit den Genossenschaften hat die Welternährungsorganisation FAO schon gewürdigt.
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