Tod durch Stromschlag
Nicht nur die Freileitungen zum Transport elektrischer Energie sind für Greifvögel und Geier mit großen Flügelspannweiten Gefahrenquellen mit oft tödlichen Verlusten, sondern auch die Masten. Strommasten sind für verschiedene Greife beliebte, weil erhöhte Aussichtswarten für ihren Beutefang. Wenn die Vögel mit ihren Flügeln innerhalb und außerhalb der Isolatoren die Stromdrähte berühren, entsteht ein Stromkreislauf, der den Tod der Vögel durch elektrischen Schlag bewirkt. Die Verluste von seltenen Arten an Strommasten wie etwa von Uhus sind in bestimmten Gebiete bemerkenswert hoch. Abhilfe kann durch die nachträgliche Anbringung eines isolierenden Schlauchstückes um die Innen- und Außenseite der Isolatoren geschaffen werden.
Artfremde Aggression
Bartgeier sind schlechte Horstbauer und benutzen daher aufgelassene Adlerhorste. Jedes Steinadlerpaar baut mehrere Horste als Schlafplatz und zum Brüten, welche auch abwechselnd benutzt werden. Kehrt ein Steinadlerpaar zu einem seiner Horste zurück, welcher zwischenzeitlich von einem Bartgeierpaar benutzt worden ist, dann müssen die Bartgeier weichen. Steinadler sind territorial und besonders während der Brutzeit aggressiv. In den letzten Jahren sind Luftkämpfe zwischen Steinadlern und Bartgeiern fotographisch dokumentiert worden. Der Steinadler attackiert den Bartgeier innerhalb seines Territoriums auch im Flug. Bei diesen Luftkämpfen kommt es vor, dass der Steinadler den Bartgeier von unten attackiert und ihm die Krallen in die Weichteile des Bauches schlägt. Es sind schon einzelne Exemplare von verendeten Bartgeiern gefunden worden, welche eitrige Abszesse am Bauch aufwiesen. Diese Abszesse stammten von Angriffen des Adlers. Der Bartgeier ist weniger territorial als der Steinadler, Bartgeier verteidigen nur das Territorium in unmittelbarer Nähe des Horstes. Steinadler hingegen verteidigen ihren engeren Horstbezirk, aber auch ihr weites Jagdterritorium. Schon die stumpfe Ausformung und Krallen an den Zehen des Bartgeiers zeigt, dass der Bartgeier im Kampf dem Steinadler unterliegen muss. Die Krallen des Steinadlers sind spitz, lang und messerscharf und als Grifftöter von Lebendbeute verfügt der Steinadler über eine enorme Kraft in seiner Fußmuskulatur.
Bleivergiftung
Eine dritte Ursache von vorzeitigem Tod von Tag- und Nachtgreifvögeln und aasfressenden Geiern ist die Vergiftung durch Blei. Die bekannt gewordenen und dokumentierbaren Fälle von Greifvögel und von Geiern mit Bleivergiftungen mehren sich. Bleivergiftungen sind auch von Flamingos und gründelnden Enten oder anderen Wasservögeln bekannt. Das Blei kommt über die Nahrungskette in die Körper von Greifen und Aasfressern. Über das alpenweite und internationale Monitoring des Bartgeiers sind wir im Nationalpark Stilfserjoch mit und über unseren Ornithologen Enrico Bassi inzwischen zu einer Stichprobenbreite von 83 tot gefundenen Bartgeiern, Gänsegeiern, Steinadlern und Uhus gekommen, welche wir in Speziallabors auf den Bleigehalt im Körper untersuchen haben lassen. Blei ist ein Nervengift, welches in Abhängigkeit von der aufgenommenen Dosis über Lähmungen mit Flugunfähigkeit bis hin zum Tod führt.
Akute und chronische Bleivergiftung
Hohe Konzentrationen von Blei in der Leber als Entgiftungsorgan weisen auf eine akute Vergiftung des Vogels mit dem Schwermetall Blei hin. Die Einlagerung von Blei in die Knochen sind ein Indiz für eine chronische Bleivergiftung. Bei tot aufgefundenen Steinadlern und Bartgeiern und uns überlassenen Gänsegeiern aus anderen Gebirgsländern Europas haben wir den Bleigehalt sowohl in der Leber als auch in den Knochen quantitativ bestimmen lassen, sofern beim Auffinden des Vogels die Organe noch erhalten waren und der Verwesungszustand der Vögel noch beide Untersuchungen zugelassen hat. Diese Quantifizierung des Bleigehaltes in der Leber und in den Knochen ermöglicht die Unterscheidung zwischen akuter und chronischer Vergiftung.
Der kurze Lebenslauf von Ikarus
Der kurze Lebenslauf des Bartgeiers „Ikarus“ ist symptomatisch für die Problematik der Blei-Intoxikation:
Ikarus war am 5. Mai 2008 im Zoo von Hannover aus dem Ei geschlüpft und für das Wiederansiedlungsprojekt „Bartgeier in den Alpen“ freigegeben worden. Die erste Freilassung erfolgte am 19. Juni desselben Jahres im Schludertal in Martell. Nach einem sehr ergiebigen Neuschneefall ist Ikarus am 19. Dezember 2008 flugunfähig auf einem Hausdach in Rabbi geborgen worden. Die nachfolgenden tierärztlichen Untersuchungen ergaben, dass der Bartgeier nicht Hunger gelitten hatte, sondern in seinem Blut wurde Blei nachgewiesen. Nach der kompetenten Pflege an der Bartgeier-Zuchtstation Haringsee von Prof. Hans Frey von der Veterinärmedizinischen Universität Wien konnten wir den Vogel am 20. Juni 2009, mit einem neuen Satellitensender bestückt, am Kleinboden in Trafoi erneut freilassen. Dank Satellitensender konnten die Flugbewegungen und Ortswechsel des Vogels lückenlos verfolgt werden. Am 10. November 2009 wurde Ikarus ein zweites Mal in der Zentralschweiz noch lebend geborgen. Er hatte sich über längere Zeit am selben Ort am Boden aufgehalten. Trotz sachkundiger Pflege im schweizerischen Tierpark Goldau ist Ikarus am 19. Dezember 2009 nicht ganz zweijährig verendet. Der Bleigehalt in seinen Knochen lag bei 58,9mg pro kg Körpergewicht, der Bleigehalt im Blut war mit 0,6 mg/kg vergleichsweise niedrig. Das bereits in den Knochen eingelagerte Blei belegt die chronische Vergiftung durch Blei, für die es keine Heilung gab.
Bleianreicherung über die Nahrungskette
Das Blei kommt bei den fleischfressenden Tag- und Nachtgreifen und bei den aasfressenden Geiern über die Nahrungskette in den Körper. Aus der Häufung der Todfunde von Vögeln festigt sich die Erkenntnis, dass ein Bleigehalt im Blut von 3-4mg pro Kilogramm Körpergewicht und in den Knochen von 20 mg pro kg Körpergewicht als letal gelten muss. Die bisherig verfügbaren Ergebnisse der Laboranalysen zeigen aber auch, dass es bei den einzelnen Vögeln eine individuell breit streuende Widerstandsfähigkeit gegen Blei gibt. Wenn der Vogel das Blei aus dem Bereich der Speiseröhre und des Magens nicht über das Gewölle auswürgen kann, kommt es bereits bei niedrigen Dosen zu einer akuten Vergiftung mit Todesfolge.
Die Umstellung auf bleifreie Munition
Aus den oftmals letalen Wirkungen von Blei auf die obersten Glieder der Nahrungskette und dem zunehmend abgesicherten Wissen darüber ist jede Bemühung um die Umstellung von bleihaltiger Jagdmunition auf bleifreie Munition zu befürworten, zu unterstützen und zu verstärken. Bartgeier als ganzjährige Aasfresser und Steinadler als zumindest saisonale Aasfresser nehmen Blei auch aus dem im Gelände verbleibenden Aufbruch von Huftieren auf, welche bei der Jagd erlegt worden sind. Die vorerst freiwillige Umstellung und Benützung bleifreier Munition ist ein wertvoller und lobenswerter Beitrag der Jäger zum Erhalt der fleischfressenden Vögel. Bei den herbstlichen Rotwildentnahmen durch kontrollierte Abschüsse im Vinschgauer und im Veltlintaler Anteil des Nationalparks Stilfserjoch haben wir die Verwendung von bleifreier Munition schon zur verpflichtenden Auflage gemacht.
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