Annegret Polin, auch Anne genannt, ist Leiterin des Seniorenwohnheimes St. Antonius in Prad. In ihrer Freizeit findet sie Ausgleich beim Malen von abstrakten Acryl Bildern. In beiden Beschäftigungen fühlt sie sich zuhause. „Altenpflege und Malerei sind schon das meine“, erklärt sie.
von Magdalena Dietl Sapelza
Fast jedes Mal wenn Anne als kleines Mädchen mit ihrer Mutter am „Spital“ in Mals vorbei zu ihrem Heimathof ging und dort die Klosterfrauen sah, sagte sie: „I wear amol Bodefrau in Spitol.“ Und sie erlernte später dann auch den Pflegeberuf.
Anne war die Jüngste von sechs Geschwistern. Besonders wohl fühlte sie sich im Kreise der Buben. Sie spielte Badminton, bastelte, malte und spielte Flöte. Ihre Mutter förderte ihre Kreativität, so auch beim Musizieren mit anderen Kindern. „Unsere Stube war für viele die Musikschule“, erinnert sich Anne. Dann war von einem Tag auf den anderen nichts mehr so, wie es war. Ihr Vater erlitt eine Hirnblutung und fiel neben ihr tot zu Boden. Sie war elf Jahre alt. Der Schock saß tief. Die Mutter, die Oma und die Kinder mussten nun allein mit der Landwirtschaft zurechtkommen. Auch die Kinder waren gefordert. Anne nahm als 12-Jährige den ersten Sommerjob in einem Gasthof in Pfelders an. „Zuerst wäre ich vor Heimweh fast gestorben“, sagt sie. Doch schon bald gefiel es ihr, und es folgten noch drei weitere Sommer. Die Sommerjobs führten Anne auch auf die Matscher Alm, ins Ultental und ins Vinschger Oberland. Nach Abschluss der Frauenfachschule in Mals besuchte sie in Bozen die Fachschule für Altenpflege und Familienhelferin. Im „Lorenzerhof“ in Lana trat sie ihre erste Stelle als Altenpflegerin an. Nach zwei Jahren wechselte sie in den Hauspflegedienst des Sprengls Obervinschgau, wo sie von Prad aus 18 Jahre lang alte Menschen daheim umsorgte. Seit elf Jahren ist sie im Seniorenwohnheim in Prad tätig.
Dort geht es oft auch um‘s Abschiednehmen. Anne hat gelernt damit umzugehen. Denn nach dem Tod des Vaters war ihr Leben von drei weiteren plötzlichen Todesfällen in ihrer Familie erschüttert worden. Unerwartet starben ihre Oma, ihre Mutter und ihre kleine Nichte. „Man muss immer wieder nach vorne schauen und speziell auch auf die Seele “, meint sie. „Krisen sind Chancen zu wachsen. Alles Schlimme wendet sich wieder zum Guten.“
Ausgleich zu ihrer Arbeit in der Pflege findet Anne beim Malen. Da taucht sie in die Welt der bunten Farben, Formen und Figuren ein. Sie malt abstrakte Bilder. „Ich habe immer geglaubt, abstrakt zu malen sei einfach, doch das Gegenteil ist der Fall“, erklärt sie. Die Herausforderung bestehe darin, eine Struktur zu finden, loslassen und auch etwas stehen lassen zu können. „Ein Bild braucht seine Ordnung genauso wie das Leben“, beschreibt sie. Die Ausdruckskraft ihrer Bilder entsteht oft durch mehrere übereinander liegende Schichten. Den Betrachtern öffnen sich dann bei jedem Bild individuelle Sichtweisen.
Ihre ersten Bilder waren Seidenmalereien. Ihr erstes Acrylbild schuf sie 2010 zum Valentinstag für ihren Mann. Mit ihm und den zwei Söhnen lebte sie jahrelang in Taufers i. M. Mittlerweile wohnt sie in Prad. „Ich war immer ein Bauchmensch, ein Freigeist, ein Revoluzer und offen für Neues“, meint sie. „Man muss sich im Leben verändern, und ich habe mich verändert“, erklärt sie.
Anne besuchte Malkurse und bildete sich weiter. Ihre erste Ausstellung in der Tschgelsburg liegt einige Jahre zurück. Damals war sie sehr aufgeregt, unsicher. Es folgten weitere Ausstellungen. Inzwischen ist sie selbstsicher geworden und leitet regelmäßig Malkurse im Schloss Goldrain.
Gerne malt sie in ihren Lieblingsfarben braun, rostbraun, weinrot und gelb. Sie hat festgestellt, dass die Vinschger*innen vor allem gelb und orange mögen. Und sie verrät: „Seit meiner Corona-Erkrankung male ich oft in blau.“ Warum das so ist, weiß sie nicht. Im Oktober 2020 hatte es sie arg erwischt. Eines wurde ihr wieder klar: „Wenn es mir schlecht geht, kann ich nicht malen.“ In der Zeit der Krankheit stärkte sie das Entgegenkommen vieler Menschen. „Mir ist bewusst geworden, wie wichtig Freunde sind, die einem aus der Krise helfen“, betont sie. Anne erfreut sich nun wieder bester Gesundheit. Sie hat Spaß an Wanderungen in der Natur und an sportlichen Betätigungen.
Froh ist sie, dass ihre Schützlinge im Seniorenwohnheim bis jetzt alle gesund geblieben sind, und dass sie die Freude am Malen wiedergefunden hat. Derzeit sind einige ihrer Bilder erneut in der Burg in Tschengls zu sehen.