Schlanders erzählt... Märchenherbst

Maerchenherbst24

 
 
Mittwoch, 30 Mai 2012 00:00

„I beet jedn Tog fir olle“

Artikel bewerten
(0 Stimmen)

Portrait Katharina Marseiler Witwe Trafoier, Schluderns

s15_7423Den farbenprächtigen Tross mit Rittern, Burgfrauen, Bauerleuten..., der bei den Ritterspielen durch Schluderns zieht, beobachtet die „Mesmer Muatr“ jährlich mit Interesse. „Es isch s Ounglegat, wos miar gfollt“, sagt sie. Sie ist am Geschehen im Dorf interessiert. Mit ihrer Lupe liest sie alles, was ihr an Zeitungen und Büchern in die Hände fällt. Das kürzlich erschienene Dorfbuch mit 359 Seiten hat sie bereits ausgelesen. Mit dem Lesen vertreibt sie sich die Zeit, weil sie sonst nichts mehr  tun kann. Ihre Beine versagen und ihre Hände sind von der Arbeit gezeichnet.
„I konn höchstns nou an Erdepfl scheiln“, betont sie. Gelassen nimmt sie die Gebrechen hin und ist froh, dass der Kopf sie nicht im Stich lässt. Viel Kraft schöpft sie aus dem Glauben. „I beet jedn Tog für olle“, erklärt sie.


Gerne „hoangortat“ sie und erzählt: „Mein Votr hon i nia kennt“. Als sie vier Monate alt war, zog dieser in den 1.Weltkrieg und kehrte nicht zurück. Sie blieb als Halbwaise mit ihrer Mutter auf dem Hof in Altspondinig zurück, wo auch ihre Tante lebte. Die Frauen rackerten sich ab, um mit der Landwirtschaft über die Runden zu kommen. Von kleinauf half Kathl mit. Sie hütete Jungvieh auf den Schludernser Leiten, Kühe in den Auen oder im Herbst auf den Wiesen entlang der Bahnstrecke. Diese war damals nicht mit Zäunen und Schranken gesichert und sie hatte immer Angst davor, die Tiere könnten den Geleisen zu nahe kommen. Als kräfteraubend beschreibt sie die Botengänge mit dem „Ziachwagele“ zum Müller oder zum Bäcker nach Prad und die Fußmärsche zur Schule nach Schluderns. „Oa Stund aui unt one oi“, betont sie. Als die Unterrichtssprache plötzlich von Deutsch ins Italienische wechselte, verstand sie die Welt nicht mehr. Es zog faschistischer Wind ins Land, der keine Rücksicht kannte. Das musste ihre Familie bald erfahren. Für den Bau eines Panzer-Übungsplatzes nahm man ihr einen Hektar Ackerfläche weg. „Miar hoobm weaniger Brout kopp unt af dr Entschädigung wortn miar haint nou“, klagt sie an.
Die geplante Zwangs-Italienisierung und die entsprechende Propaganda veranlassten sie, für Deutschland zu optieren. Doch die Sorge vor dem Auswandern belastete sie sehr, genau wie der Zweite Weltkrieg, der ausgebrochen war und viele Burschen wegfraß. Halt und Trost fand sie in der Kirche und sie dankte Gott, nachdem die Auswanderung gestoppt worden war. Gerne hätte Kathl Köchin gelernt, doch das blieb ihr verwehrt. Sie wurde daheim beim Kampf um das tägliche Brot gebraucht. „Di Lebnsmittlmarkn sein nit olm bis Spondinig kemman“, erinnert sie sich. „Es hot olm lei Brenntsupp, Plentn unt Greascht geebm“. Wenn im Herbst neben der „Brenntsupp“ eine „Palabir“ lag, war das für Kathl ein Festessen.
Nach dem Krieg lief ihr der zwei Jahre ältere Alois Trafoier, genannt „Schmiedseppalois“ im wahrsten Sinne des Wortes über den Weg. Er war eben von der Front heimgekehrt und suchte eine Frau. „Mitn Mischtgrattl hot er miar di Stroß ogsperrt“, lacht sie. Er begleitete sie regelmäßig nach der Sonntagsmesse mit dem Rad nach Spondinig. Schließlich eroberte er sie und hielt um ihre Hand an. 1946 führte er sie zum Altar. Die Hochzeitsreise ging von Leifers zufuß nach Maria Weißenstein, wo Kathl außer Atem ankam und einen Schwächeanfall erlitt, von dem sie sich aber schnell erholte. Sie zog ins Elternhaus ihres Mannes und ihre Schwiegermutter lehrte sie das Kochen. 1947 zogen die jungen Eheleute in ihr eigenes Heim ein und bestritten den Lebensunterhalt mit ihrer kleinen Landwirtschaft. Ein Jahr später übernahm Lois die Mesnerei und konnte dafür das „Hostienackerle“ bewirtschaften. Die Mesnerei bedeutete für Kathl, dass sie in der Kirche mithelfen musste und oft alleine bei der Stallarbeit war, während ihr Mann bei den Geistlichen assistierte. Innerhalb von fünf Jahren hatte sie sechs Kinder am Rockzipfel hängen. Die Jüngsten waren Zwillinge.
Mit Gottvertrauen und Humor bewältigten Kathl und Lois die schwierigen wirtschaftlichen Zeiten der 1950er Jahre. Dann ging’s aufwärts, nicht zuletzt weil die Kinder zum Unterhalt beisteuerten. Eine Anekdote erzählt sie gerne: Einmal kaufte ihr Lois zum Geburtstag eine Schokolade, die sie in einem Geheimfach versteckte. Ein Jahr später hatte er vergessen, etwas zu besorgen, holte die Schokolade aus dem Fach und schenkte sie ihr ein zweites Mal. „Selm hon i ihm norr in Sanctus geebm“, erklärt sie. Zu den schönsten Ereignissen zählt die Profess der Tochter Katharina, die in den Orden der Barmherzigen Schwestern eingeteten ist. „An Pforrer hat i schun a olm gearn kopp“, bemerkt sie. Kathl freut sich am Leben und ist ihren beiden Töchtern Marialuise und Monika für die tägliche Betreuung und Pflege dankbar. Und sie wünscht sich, dass sie den Umzug bei den Ritterspielen noch einige Jahre erleben darf.

Magdalena Dietl Sapelza

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /www/htdocs/w00fb819/vinschgerwind.it/templates/purity_iii/html/com_k2/templates/default/item.php on line 248
Gelesen 3141 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 22 24

titel Vinschgerwind 21-24

titel vinschgerwind 20-24

 sommerwind 2024

 

WINDMAGAZINE

  • Jörg Lederer war ein Holzschnitzer aus Füssen und aus Kaufbeuren. Die Lederer-Werkstatt hat viele Aufträge im Vinschgau umgesetzt. Wer will, kann eine Vinschgautour entlang der Lederer-Werke machen. Beginnend in Partschins.…
    weiterlesen...
  • Die Burgruine Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal wurde für einen Tag aus ihrem "Dornröschenschlaf" wachgeküsst. von Peter Tscholl Die Akademie Meran, die Gemeinde Latsch und die Bildungsausschüsse Latsch…
    weiterlesen...
  • Vinschger Radgeschichten - Im Vinschgau sitzen alle fest im Sattel: Vom ultraleichten Carbon-Rennrad bis hin zum E-Bike mit Fahrradanhänger, Klapprad, Tandem oder Reisefahrrad. Eine Spurensuche am Vinschger Radweg. von Maria…
    weiterlesen...
  • Kürzlich wurde von den Verantwortlichen im Vintschger Museum in Schluderns das Kooperationsprojekt Obervinschger Museen MU.SUI gestartet. Es handelt sich um den gemeinsamen Auftritt der Museen in Schluderns VUSEUM/Ganglegg, Mals, Taufers…
    weiterlesen...
  • Blau, dunkelgrün, schneeweiß schäumend, türkis oder azur - Wasserwege im Vinschgau von Karin Thöni Wasser ist Quell des Lebens und unser kostbarstes Gut. Aber es wird knapper. Der „Wasserfußabdruck“ jedes…
    weiterlesen...
  • Martin Ohrwalders Liebe zu den Pferden muss ihm wohl in die Wiege gelegt worden sein. Bereits im Alter von drei Jahren schlug er seiner Mutter vor, die Garage in einen…
    weiterlesen...
  • Manfred Haringer ist Sammler, Modellbauer und Heimatforscher. Im letzten Jahr konnte er seinen alten Traum verwirklichen. In seinem Elternhaus in Morter, wo bis Ende des Zweiten Weltkrieges die Dorfschule untergebracht…
    weiterlesen...
  • Die historische Bedeutung von Schlossruinen und ihre Geschichte faszinieren die Menschen. Mit mehreren Revitalisierungsmaßnahmen erwacht derzeit die Ruine Lichtenberg in der Gemeinde Prad am Stilfserjoch zu neuem Leben. von Ludwig…
    weiterlesen...
  • Il grano della Val Venosta era conosciuto e apprezzato in tutto l' impero Austroungalico. Testo e Foto: Gianni Bodini Oggi sono i monotoni ed estesi meleti punteggiati da pali in…
    weiterlesen...
  • Questa importante strada romana attraversava tutta la Val Venosta. Testo e Foto: Gianni Bodini Iniziata da Druso nel 15 a.C., venne completata dall’imperatore Claudio Cesare Augusto. Questa importante via transalpina…
    weiterlesen...
  • von Annelise Albertin Das Val Müstair mit seiner intakten Naturlandschaft und den kulturellen Besonderheiten ist das östlichste Tal der Schweiz. Es liegt eingebettet zwischen dem einzigen Schweizerischen Nationalpark, den „Parc…
    weiterlesen...
  • Eine Symbiose zwischen der Geschichte und dem Lebensraum rund um das kunsthistorische Hotel „Chasa Chalavaina“ im benachbarten Val Müstair von Christine Weithaler Das Hotel Chasa Chalavaina wurde am 13. November…
    weiterlesen...

Sommerwind 2024

zum Blättern

Sommer Magazin - Sommerwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Wandern, Menschen, Urlaub, Berge, Landschaft, Radfahren, Museen, Wasser, Waale, Unesco, Tourismus

wanderfueher 2024 cover

zum Blättern

Wanderführer 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Traumhafte Touren Bergtouren Wanderungen Höhenwege

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.