Die veterinärmedizinischen Fakultäten von Gent und Lüttich untersuchten das Tier. Es war ein junger Blauwal, ein Jahr alt, 12 m lang und 25 Tonnen schwer. Blauwale findet man in der Nordsee äußerst selten, seit 1800 ist das nur fünf Mal passiert und jedes Mal starb das Tier oder war schon verendet, als man es entdeckte.
Bei der Untersuchung fand man folgendes: das Tier war angeblich verhungert, sein Magen war leer, in seinem Fettgewebe fand man Rückstände von aufgelösten Plastikverbindungen. Nach zwei Jahren von wissenschaftlicher Arbeit am Skelett fand der Wal seine letzte Ruhestätte im Veterinärmuseum der belgischen Universität Gent. Sie wurde vor 200 Jahre gegründet und feiert dieses Gedächtnis ein ganzes Jahr lang, von 2017 bis 2018; dabei werden besondere Gegenstände auch an andere Museen ausgeliehen.
Da hatte der Bischof von Gent, Lucas Van Looy die Idee, das Skelett des Wals in seinem Dom aufhängen zu lassen. Damit erinnerte er an den mittelalterlichen Brauch, Walfischknochen und abnorme Gebilde in Kirchen aufzuhängen. Die vermeintlich unheilverkündenden Gebilde hängen meistens hinter dem Hauptaltar (wie zum Beispiel in der Kirche von Santa Maria e San Donato in Venedig).
Natürlich erinnert Leo auch an den Propheten Jonas (was in der Kirche in einer poetischen Videomontage deutlich gemacht wird) und an die Verantwortung unserer Gesellschaft in Sachen Plastikmüll und Ozeanverschmutzung. Der Bischof möchte auch die enge Verbundenheit von Religion, Ethik und Wissenschaft ins Bewusstsein rufen.
Leo hängt also seit Oktober des vorigen Jahres im Chor der Kathedrale hinter dem Hochaltar und bleibt dort bis Ostersamstag 2018; beendet wird die ‘Ausstellung’ mit einem Symposium über dieses Thema. Fische fressen also unseren Plastikmüll, der leider - auch geschmacklich - mit Nahrung verwechselt wird. Mit dem filterartigen Riesenmaul saugte Leo statt dem Plankton das feine Mikroplastik an. Es sammelt sich im Verdauungstrakt, besitzt aber keinen Nährwert. Auch andere Meeresbewohner werden irregeleitet und verhungern buchstäblich bei vollem Magen. Das konnten die Anatomen der Tierärztlichen Universität Gent beim Walfisch Leo feststellen.
Und nun die Frage an unsere eifrigen Mülltrenner und Entsorger: Welchen Anteil haben wir Vinschger an der Meeresverschmutzung? Nach Aussortierung des angelieferten Mülls wird ein großer Teil nach Bozen zum Verbrennen geschickt; die restlichen zwei Drittel sind teilweise wiederverwertbar und bleiben im Tal, werden getrennt und biologisch verarbeitet.
Unweit von Glurns und Schlanders kreisen sie, die schwarzen Müllverwerter, die „Rappen“. Genau genommen sind es Bergdohlen, die bei uns Matscher Hennen genannt werden. Schwarz sind sie auch und vor allem schlau. Wollen nicht fotografiert werden. Wenn die Kamera gezückt wird, fliegen sie sofort auf und kehren auch nicht mehr an den gleichen Ort zurück. Sie finden im Müll noch immer kalorienreiche Nahrung und führen ein ausgeprägtes Sozialleben. Raben gelten von Alters her als weise und hellseherisch. Ihr Rat wird befolgt. Glückskinder verstehen manchmal Ihre Sprache. Gerade sagt die eine Dohle zur anderen: „Menschen produzieren Unmengen von Müll, der uns ernährt. Aber der wirklich gefährliche Müll ist jener, den die Menschen selbst erzeugen und nicht als solchen erkennen“. Es ist der Müll der vielen guten Ratschläge, die in zahllosen Erbauungsbüchern und Zeitungen angeboten werden. Die Leser dieser Artikel schnappen hungrig nach anscheinend neuem Wissen und merken nicht, dass auch sie mit gehaltlosem Müll gefüttert werden. Mit Papiermüll. Sie werden verhungern, wie der Walfisch Leo in der Nordsee.
Hans Wielander
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