Dienstag, 01 November 2016 12:00

Mein Staatsherz sagt NEIN!

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s10 7491Vinschgerwind-Interview

Vinschgerwind: Herrschaftszeiten, Herr Kammerabgeordneter Kronbichler, jetzt hat die SVP eine Schutzklausel eingebaut, so dass die Autonomie Südtirols von der Verfassungsreform verschont bleibt, und jetzt sind Sie dagegen. Warum denn?


Florian Kronbichler: Selbst das schlichteste Südtiroler Gemüt muss sich denken, Obacht! Wenn diese Klausel, welche übertrieben Schutzklausel genannt wird, so hochgelobt wird, wie schlimm muss dann diese Verfassung sein, dass wir uns so sehr davor schützen müssen? Ich bin ein Verfassungspatriot, sowie ich auch ein Autonomiepatriot bin. Die Verfassung ist für uns jenseits aller Autonomie wichtig. So wie die Südtiroler Volkspartei diese so genannte Schutzklausel aufdonnert:  sie sei die beste aller möglichen, das ist mir verdächtig. Diese Schutzklausel ist weniger prächtig, als sie dargestellt wird.
Vinschgerwind:Ihre Verfechtung für die italienische Verfassung in Ehren. Stellen wir aber fest, dass seit der Verfassungsreform von 2001 Elemente für die Südtirol-Autonomie dazugekommen sind, die aber verfassungsmäßig nicht abgesichert sind. Ist es jetzt nicht eine Chance, das Statut verfassungsmäßig anpassen zu können?
Kronbichler: Ich kenne diese optimistische und von mir aus gesehen auch blauäugige Interpretation vom Abi Plangger. Das scheint nun die Werbelinie der Volkspartei zu sein, dass man in einem neuen Statut alles unterbringen könnte, was noch nicht drin ist. Es wäre viel korrekter, wenn man diese Schutzklausel eine Übergangsklausel bezeichnen würde. Denn sie beschert uns nicht wirklich einen Schutz, sondern einen Aufschub. Und es wird viel zu wenig gesagt, dass bis zur Revision des Statutes, „auf der Grundlage von Vereinbarungen“, („sulla base di intese“) und eben nicht „d’intesa con...“, also eben nicht „im Einvernehmen“, verhandelt wird.
Vinschgerwind:Können Sie das auch für schlichtere Gemüter näher erläutern.
Kronbichler: In der bestehenden Verfassung steht, dass man Vereinbarungen im Einvernehmen „mit jemandem“ macht. In der neuen, so genannten Schutzklausel steht, dass die Anpassung des Statutes „auf der Grundlage von Vereinbarungen“, also „sulla base di intese“ geschehen soll. Das heißt, man muss halt miteinander reden. Inzwischen ist bei einem sogenannten „tavolo Bressa“ bereits ein Papier vorgelegt worden – wo Bressa mit im Spiel ist, und das ist er immer, gibt’s jedes Mal „tavoli“. Gianclaudio Bressa ist der Staatssekretär für Regionalangelegenheiten und gewissermaßen Südtiroler Bandenführer. Das Papier legt die Prozedur fest für den Fall, dass zwischen Land und Staat kein Einvernehmen erzielt wird. Letztlich wird dann das italienische Parlament das neue Autonomiestatut genehmigen. In zweifacher Lesung, so wie Verfassungsgesetze eben angenommen werden müssen.
Vinschgerwind:Das Autonomiestatut der Region Trentino-Südtirol hat Verfassungsrang. Seit 2001 sind alle neu hinzugekommenen Kompetenzen mit einer „intesa“ abgeschlossen worden, außerhalb dieser Prozedur für Gesetze von Verfassungsrang. Wenn in Rom die Regierung wechselt, kann vieles über den Haufen geworfen werden. Es besteht also Unsicherheit. Wie kann man Ihrer Meinung nach diese Unsicherheiten beseitigen?
Kronbichler: Alles wäre umwandelbar in Artikel des Autonomiestatuts,  und ich würde einer solchen Operation natürlich alles Gute wünschen. Es steht aber in der Schutzklausel nirgends drinnen, dass man diese Kompetenzen morgen in das neue Statut einarbeiten wird können. Das ist eine Hoffnung.
Vinschgerwind:Soll die Schutzklausel aber nicht als Schutz gegen diese Verfassungsreform dienen?
Kronbichler: Sie nimmt die Sonderregionen, darunter Südtirol-Trentino, aus von der  Zentralisierung des Staates und von der Entmachtung der Normalregionen. Die ganze Reform ist ja extrem zentralistisch ausgerichtet. Mit der Verfassungsreform von 2001 hat sich der Staat, unter dem Druck und aus Furcht vor einer weiteren Erstarkung der Lega Nord, hat der Staat den Regionen viele Kompetenzen abgetreten. Jetzt hat sich der Wind gedreht, und der Staat nimmt sich alles wieder von Regionen zurück. Er wird zentralistisch.
Vinschgerwind:Haben aber nicht auch die Regionen diese Rückgabe von Kompetenzen an den Staat gefordert?
Kronbichler: Zum Teil. Für Sizilien etwa ist es der Fall. Der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, hat über die Sonderautonomie von Sizilien als von einem Gefängnis für Sizilien gesprochen: Sie verhindere nur, dass gewisse Zuwendungen oder Rechte der Staatsebene nicht in der Region ankommen. Es stimmt:  Die Regionen haben sich auffällig wenig gegen ihre Ausbeutung gewehrt. Gesagt werden muss jedoch auch: Es gibt in Italien keinen ausgeprägten Regionalismus. Keine Föderalismuskultur. Renzi ist gekommen, hat den Regionen die Schuld an Verschwendung und Misswirtschft gegeben, und viele Regionalchefs sind Renzianer geworden.
Vinschgerwind:Jetzt übertreiben Sie. Im Vorfeld und bei der Ausarbeitung dieser Verfassungsänderung war eine große Mehrheit der Parteien für die Reform. Waren das alles Renzianer? Waren Sie auch Renzianer?
Kronbichler: Ich habe als einziger Südtiroler Parlamentarier in allen Abstimmungen gegen die Reform gestimmt. Ich verteufle aber die Befürworter nicht. Als Gegner der Verfassungsreform ist mir genau so die Vorstellung unerträglich, dass am 5. Dezember alles wieder nichts gewesen sein soll. Doch wenn ich mir allein diesen neuen Senat vorstelle: Bisher musste ein Senator mindestens 40 sein. Künftig reicht es, er ist 18. Wenn Wörter einen Sinn haben, kann ein 18-Jähriger Senator sein? Der Senat sollte eine Kammer der Regionen sein. Inzwischen soll er für Europa genauso zuständig sein, und für vieles Andere genauso. Bürgermeister und Regional-Abgeordnete werden ohne Gehalt, gewissermaßen ehrenamtlich, Senator spielen. Das einzig gute an diesem neuen Senat: Er wird nie funktionieren.
Vinschgerwind:Sie wären radikaler: die komplette Abschaffung des Senates?
Kronbichler: Es gibt keinen ernstzunehmenden Parlamentarier, der nicht für eine Reduzierung der Parlamentarier wäre. Vielleicht braucht es eine zweite Kontrollkammer. Aber der künftige Senat ist weit weg  von einem deutschen Bundesrat. Er ist für alles und für nichts zuständig.
Vinschgerwind:Bei Südtiroler Parlamentariern geht man davon aus, dass immer zwei Herzen in ihrer Brust schlagen. Vielleicht ein größeres für die Autonomie Südtirols und vielleicht ein kleineres für die Staatsebene. Wenn Sie ein Nein für diese Verfassungsreform favorisieren, welches Herz sagt dazu mehr Nein?
Kronbichler: Das Staatsherz sagt mehr Nein. Ich gebe zu, dass ich im Verhältnis zu meinen SVP-Kollegen das größere Staatsherz habe. Ich warne davor, alles nur in einem Südtirol-Horizont zu betrachten. Auch ich will die größtmögliche Eigenständigkeit für Südtirol haben. Aber: Es ist nicht alles schlecht, was Staat ist. Ich sage, die Südtiroler SVP-Mandatare und wohl auch die gesamte Partei glaubt, einzig auf diese Schutzklausel setzen zu können. Draufpfeifen zu können, was auf Staatsebene passiert. Das ist blauäugig. Die Suprematie-Klausel, also das Staatsinteresse und die Wahrung der politisch-ökonomischen Einheitlichkeit des Staates, wird neu eingefügt in die Verfassung. Davor schützt keine Schutzklausel. Die beste Schutzklausel Schutz nützt uns nicht in einem Umfeld einer insgesamt zentralistischen Republik. Unsere Nachbarregionen, denen Kompetenzen und somit Mittel genommen werden,  werden uns unsere „Privilegien“ neiden und gegen uns „Privilegierte“ mobil machen.
Vinschgerwind:Ist es aber nicht gerade umgekehrt: Gerade weil der Staat zentralistischer wird, ist doch ein Schutz der Autonomie besonders erstrebenswert.
Kronbichler: Die Autonomie muss geschützt werden, keine Frage. Doch wie? Für uns ist alles noch auszuhandeln. Die Verfassungsreform ist auf jeden Fall schlecht, sonst bräuchten wir uns ja nicht vor ihr zu schützen. Südtirols Interessen sind dann am besten geschützt, wenn sie eingebettet sind in eine föderalistische, in eine regionalfreundliche Verfassung. Das ist diese Verfassungsreform nicht. Wenn wir morgen vor dem Verfassungsgericht stehen oder nach Wien laufen, um uns zu bescheren, werden wir zu hören bekommen: Ihr habt’s ja dafür gestimmt.
Vinschgerwind:Jetzt träumen Sie. Ein Föderalismus ist in Italien, so wie es ausschaut nicht möglich.
Kronbichler: Eben deshalb bin ich ja gegen diese Verfassungsreform. Weil diese Verfassungsreform etwas macht, womit wir nicht einverstanden sein können.
Vinschgerwind:Welche Prognosen sagen Sie zu diesem Referendum?
Kronbichler: Referenden sind immer Abstimmungen über die Regierung, nie über gestellte Frage. Lieder. Und das wird auch da so sein. Mit meinem Nein befinde ich mich weiß Gott nicht in der ehrenhaftesten Gesellschaft, reicht diese doch von der Biancofiore über den Pöder bis zum unerträglichen D’Alema. Es ist anzunehmen, dass es zu einem Anti-Renzi Referendum kommt.
Vinschgerwind:Und in Südtirol ist es ein Referendum über...
Kronbichler: Ich habe da ein bisschen Sorge um unseren Landeshauptmann. Er sieht so aus, als wolle er sich nach dem Flughafendebakel die nächste Schlappe suchen und so langsam an seiner eigenen Demontage arbeiten.
Interview: Erwin Bernhart

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