Einer dieser Riesenbäume - hier im Bild - erweckt den Eindruck, als wäre er aus einem anderen, älteren herausgewachsen. Ein tiefer, rundum laufender Schnitt hat zwar das Wachstum verändert, konnte aber die Dynamik des Baumes nicht brechen. Und gibt Anlass zu allerhand Vermutungen. Zu historischen Überlegungen.
Der Baum ist so alt, wie die Kaiserin Maria Theresia - oder wie ihr Sohn Josef, der ebenfalls recht fleißig war. Und wir stellen die Frage nach anderen Denkmälern aus habsburgischer Zeit. Schulen wurden gebaut, Krankenhäuser, überall gibt es Zeugnisse sozialer Einrichtungen unter dem Doppeladler. Aber am deutlichsten hat sich das Kaiserzeitliche in der Mode erhalten, genauer gesagt in der Jagdmode. Das mag verwundern, aber seit der Trophäenschau im Kulturhaus von Schlanders weiß ich es genau. Dabei geht es mir gar nicht um mächtige Hirschgeweihe oder um Gämskrucken - davon verstehe ich nichts -, was mich beeindruckte, war das Auftreten der Jäger und Jägerinnen. Sie bewegen sich würdevoll, als würde der oberste Jagdherr ihr Benehmen kontrollieren. Und wer ist der oberste Jagdherr? Dabei meine ich nicht den Landeshauptmann, sondern den Kaiser selbst. Den Kaiser Franz Josef, den großen Jäger. Oder den anderen Habsburger, der für uns Tiroler von großer Wichtigkeit ist, den Erzherzog Johann. Von ihm stammt das „Steirische“, der österreichisch Smoking, wie auch gesagt wird, weil dieser graugrüne Trachtenanzug gesellschaftsfähig ist, auch für Diplomaten und bei Hochzeiten. Aber bleiben wir bei den Jägern, bei der österreichisch, bairisch, tirolererischen Nation. Sie entsteht zur Jagdzeit und übernimmt für kurze Zeit die Herrschaft über das Land. Mit oder ohne Gamsbart.
Wie erging es den Südtiroler Jägern unter den Faschisten? Aus jener Zeit wird überliefert, dass es in den vierziger Jahren fast kein Wild mehr gab. Weil alles „zusammen“ geschossen wurde; auch um das wertvolle Fleisch nicht den Italienern zu überlassen.
Inzwischen hat sich das Bild geändert. Der Staat überlässt die Jagd und die entsprechende Gesetzgebung der Landesregierung und den eingesessenen Bürgern. Die Jäger, die ja bewaffnet sind, spielen Staat im Staat, halten sich aber zurück und schwärmen nur in geheimen Treffen von einem Jägerreich. Es ist ein Reich von wenig Auserwählten. Eine noble Adelsgesellschaft mit eigener Musik, mit eigener Sprache, mit eigenem Gruß... auch er stammt aus mythischen Zeiten, als Jäger noch Priester waren.
Zurück zur Kortscher Edelkastanie. Sie ist für mich ein Symbol der Geschichte Tirols. Der große Schnitt, das ist der Erste Weltkrieg, die Trennung von Österreich, schmerzhaft und noch nicht vergessen. Weitere Eingriffe des Schicksals brachte die Option, die dem Land beinahe die Menschen geraubt hätte. Aber Südtirol hatte Glück und so konnte alles heilen, verwachsen. Neue Triebe helfen den Stürmen der Zeit zu trotzen. Aus einem geknechteten wurde ein stolzes Volk, das die Werte der Jagd pflegt und verteidigt. Früher war die Jagd ein Privileg für wenige, heute hat jedermann Zugang, vorausgesetzt er unterwirft sich der Jagdmoral, die mit fast religiösem Ernst eingehalten wird.
Jagdbilder gehören zu den ältesten Kunstwerken der Menschheit und stehen am Anfang auch der religiösen Kultur aller Völker. Das älteste Südtiroler Dokument aus jener fernen Zeit ist das Hirschhorn vom Tartscher Pichl, etwa 2500 Jahre alt, das dem Jagdgott Lavisius geweiht war.
Beschnitzte Hirschhörner als Fruchtbarkeitssymbole finden sich überall in den Alpentälern; sie beschwören das Jagdglück und die Fruchtbarkeit.
Hans Wielander
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