Dienstag, 17 Februar 2015 12:00

Die Milchstraße

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s6 milchVinschgau/Südtirol - Um eine Überproduktion und einen damit einhergehenden Preisverfall bei der Milch zu verhindern, hat die Europäische Gemeinschaft im Jahr 1984 eine Milchquote eingeführt. Jedes Mitgliedsland hat ein bestimmtes Kontingent. Wer mehr produziert, zahlt Strafe. Am 31. März 2015 fällt diese Milchquote weg. Was nun?

von Erwin Bernhart

Jeden Morgen und jeden Abend brennt in den Kuhställen des Landes Licht und die  Melkmaschinen surren.

Kühe kennen weder Sonn- noch Feiertage. Kühe kennen keine Ferien. Anders als die Apfelbauern sind Milchbauern täglich im Einsatz. Im ganzen Land gibt es rund 10.000 Vieh-haltende Bauern. Von diesen stellt rund die Hälfte täglich Milch. Im Vinschgau sind von den 1200 Vieh-haltenden Bauern rund 750 Milchbauern.
Die unvorstellbare Menge von 370 Millionen Kilogramm Milch kommt im Jahr in Südtirol zusammen. Rund 37 Millionen Kilogramm allein im Vinschgau - vom Reschen bis Schnals. Ein minimaler Teil davon wird in Hofkäsereien verarbeitet. Ganz kleine Nischen sind das, dafür lukrative. Der Großteil wird von Tankwägen abgeholt und in die kleinen, mittleren und großen Milchhöfe transportiert. Die 54 Burgeiser Bauern kutschieren ihre Milch eigenhändig in die dorfeigene Sennerei - mit dem Traktor, mit der Vespa, mit der Radlpeeg. Die Genossenschaft verarbeitet rund 2,7 Millionen Kilogramm silagefrei erzeugte Milch vor allem zu Schnittkäse und exportiert diesen überwiegend nach Deutschland. Die Burgeiser besetzen eine kleine und feine Marktnische. Die Auszahlungspreise sind dementsprechend zufriedenstellend.
Für konventionelle Milch haben die Bauern in Südtirol im Jahr 2013 durchschnittlich 51,99 Cent pro Kilogramm bekommen. Biomilch wurde mit 64,67 Cent pro Kilo vergütet. Südtirol ist eine Insel der Seligen, was die Auszahlungspreise betrifft. Im selben Zeitraum haben die österreichischen Bauern 37 Cent pro Kilo erhalten, die Bayern nicht viel mehr. Nur in der Lombardei konnten die dortigen Milchbauern 40,83 Cent pro Kilo einstreichen. Und doch lohnt sich die Milchproduktion als alleinige Einnahmequelle offensichtlich nicht. Denn landesweit, wie auch im Vinschgau, gibt es nur wenige Vollerwerbsbauern. Mehr als 70 Prozent der Milchbauern gehen einer Arbeit - neben der Bauerschaft - nach. Der im Europavergleich hohe Auszahlungspreis bei der Milch kann nicht über gestiegene Betriebskosten hinwegtäuschen. Die Wertschöpfung ist in den letzten Jahren real gesunken. Dies macht sich auch in der immer weiter sinkenden Anzahl der Milchlieferanten bemerkbar: Waren es vor knapp 20 Jahren landesweit noch rund 6700 Milchbauern, so sind es aktuell um die 5000. Die Gründe allein im Milchpreis zu suchen, greift allerdings zu kurz. Viele Bauern sind umgestiegen, auf Obstkulturen, Gemüseanbau. Andere Bauern haben ihre Güter verpachtet. Im Schnitt haben sich in den letzten 15 Jahren rund 100 Bauern pro Jahr aus der Milchproduktion verabschiedet. Trotz Milchquote.
Diese Tendenz werde wohl anhalten, sagt Markus Joos, der Amtsdirektor vom Bezirksamt für Landwirtschaft in Schlanders. Neuinvestitionen seien für jeden Betrieb ohnehin eine Herausforderung. Weil Berggebiete gegenüber „Gunstlagen“ in den Ebenen nur mit größerem Aufwand bewirtschaftet werden können, gibt es Ausgleichszahlungen. Für die knapp 10.000 Vieh-haltenden Bauern in Südtirol gibt es dafür insgesamt eine Summe von 20 Millionen Euro im Jahr. Zurückgerechnet auf die einzelnen Bauern sind das zwischen 2000 und - je nach Höhenlage  - 6000 Euro pro Hektar und Jahr. Im Gegenzug gibt es seit Jahren Begrenzungen bei den Großvieheinheiten. In der Talsohle dürfen die Bauern 2,5 Großvieheinheiten (GVE) pro Hektar und im Berggebiet nur 2 GVE halten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Bauern ohne große Futterzukäufe wirtschaften.

Und was passiert nun, wenn nun die Milchquote fällt? Wird es da eine Milchschwemme geben, eine Überproduktion? Werden die Preise ins Bodenlose fallen?
Überhaupt nicht, sagt der Direktor der „Bergmilch Südtirol“, Robert Zampieri. Die „Bergmilch Südtirol“ hat sich durch die Fusion der Mila in Bozen und der Senni in Bruneck gebildet und ist seit 1.1.2013 aktiv.  Die „Bergmilch“ ist damit und mit derzeit 2700 Mitgliedern der größte Milchhof im Lande mit zwei Verarbeitungsstätten. Rund 215 Millionen Kilo Milch jährlich werden zu Frischmilch, Joghurt, Käse, Butter, Sahne usw. verarbeitet. Vom Umsatz von knapp 200 Millionen Euro (2012) wurden den Bauern 106 Millionen Euro über die Milchanlieferung ausbezahlt. Zampieri ist Optimist und er hat allen Gund dazu. In den letzten 10 Jahren, so lange ist Zampieri Direktor der Mila und nun der „Bergmilch“, hat sich der Betrieb laufend umgestellt. Wurden vor 10 Jahren noch rund 60 Prozent der angelieferten Milch veredelt, sprich zu Käsesorten, Joghurt usw. verarbeitet, so sind es aktuell 89 Prozent. „Ziel ist es,“ sagt Zampieri, „die Veredelung weiter zu steigern.“ Der Traum sind 95 Prozent. Eine 100-prozentige Veredelung ist aufgrund der Milchmengenschwankung zwischen Winter und Sommer nicht möglich. Da müsste man Milch dazukaufen. Und ein Zukaufen von Milch sei nicht Philosophie der „Bergmilch“, sagt Zampieri. Denn mit den veredelten Produkten kann der Milchpreis gehalten werden.
Und bislang können die Südtiroler Milchbauern vor allem darauf zählen, dass ihre Milch mehr vermittelt als reines Lebensmittel zu sein. Südtiroler Milch vermittelt Emotionen wie Heimatverbundenheit, Ehrlichkeit. Es hat auch etwas mit Lokalpatriotismus zu tun. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Südtirol, sondern für Italien. Die „Bergmilch“ setzt rund ein Drittel ihrer Produkte in der  Region Trentino-Südtirol ab. Der Markt vor der Haustür ist von enormer Bedeutung. „Gott sei Dank sind die Einheimischen treue Kunden“, sagt Zampieri. An die 60 Prozent gehen nach Italien. Dort ist die Verbundenheit mit im Inland hergestellten Milchprodukten groß. Die Italiener greifen vorerst zu einheimischen Milchprodukten und die großen Verkaufsketten wie die Coop - ein Großkunde der „Bergmilch“ -  pflegen dies. Die „Latte nazionale“ ist ein Wert. Diese Verbundenheit der Konsumenten in Südtirol und in Italien ist der Trumpf der Südtiroler Milchhöfe, die den italienischen Markt mit einer hochwertigen und vor allem breiten Produktpalette beliefern können. In Italien sind unsere Milchhöfe eine bestimmte Größe. Und dies, das ist Zampieri überzeugt, wird sich in nächster Zeit nicht ändern. Nur rund 10 Prozent der „Bergmilch“-Produkte gehen in den Export. „Wir sind hier in einer Nische, und Nischenprodukte haben wegen des Fallens der Milchquote nichts zu befürchten“, sagt Zampieri.
Im europäischen Kontext ist Italien ein begehrtes Milchimportland. Mit eigenen Produkten können die italienischen Milchhöfe rund 70 Prozent des Bedarfs decken. Der  Rest wird eingeführt. Hält der Wert „Latte nazionale“, haben die Südtiroler Milchhöfe und damit auch die Südtiroler Milchbauern nichts zu befürchten.

Im globalen Kontext, in dem Südtirol in der Milchwirtschaft so gut wie keine Rolle spielt, spielt die große Musik. Die Agrarlobby sagt, dass der Bedarf an Milchprodukten weltweit im Steigen ist. Die Märkte in China und auch der russische Markt werden in Zukunft Bedarf an Milchprodukten haben. Europa ist mit 154 Millionen Tonnen Milch jährlich in der Milcherzeugung die Nummer eins der Welt, weit vor den Vereinigten Staaten von Amerika (91 Mio. Tonnen). Die Welt außerhalb Europas lockt vor allem die europäischen Big Player. Unter denen befindet sich keiner der Südtiroler Milchhöfe. „Sicher wird die Milchmenge in Europa zunehmen“, sagt Zampieri. „Wir wissen, dass die Milchmenge bereits seit längerem steigt und sich alle vorbereiten.“ Diese Milch wird ihren Weg auf den Weltmarkt vor allem in den Fernen Osten finden.

Wie gehen die Milchhöfe mit dem Rücklauf der Milchproduzenten in Südtirol um? Tatsache sei, sagt Zampieri, dass unrentable Betriebe teilweise aufgelassen würden, dass auch aufgrund von derzeit stattfindenden Generationswechseln von einer Milchprodukion abgesehen werde. Allerdings spüre er bei Jungbauern vor allem im Pustertal, weniger im Vinschgau, wieder jugendliche Kraft, auf die Milchwirtschaft zu setzen. Und einem möglichen Rückgang der Milch in Südtirol um etwa 10 Prozent kann Zampieri auch Positives abgewinnen. Denn dann werde die Veredelungsquote automatisch steigen. Auch könne man sich dann überlegen, schwach-wertschöpfende Produkte wie etwa eine bestimmte H-Milchlinie, oder Joghurt für bestimmte Discounter, einzustellen und auf höher-wertschöpfende Produkte umzusteigen.
„Ich sehe die nächsten 5 bis 6 Jahre mit dem Wegfallen der Milchquote nicht als etwas Gefährliches, sondern als positiv und zwar in Richtung bessere Wertschöpfung“, sagt Zampieri. Eine Prognose über die nächsten 10 Jahre hinaus wagt Zampieri nicht. Eines stellt Zampieri noch fest: „Es gibt in Europa ganz wenige Regionen, die von einheimischen Molkereien mit einer breiten Palette von Produkten, hergestellt aus einheimischer Milch, versorgt werden.“ Das sei ein Südtiroler Wert an sich.

Tatsache ist, dass die Milchquote den laufenden Rückgang von Milchvieh-haltenden Bauern nicht verhindert hat. Auch in Südtirol nicht. Der Rückzug aus der Milch, der Umstieg auf Spezialkulturen, auf Äpfel, erfolgt mit oder ohne Milchquote. Lukrativ erscheint allerdings, wo dies möglich ist, der Umstieg auf Biomilch. Nicht nur der Auszahlungspreis ist da bedeutend höher. Die Bio-Milch bekäme eine zusätzliche Emotionsschiene. Zur Heimatverbundenheit würde die in der Südtiroler/Vinschger Milch mitschwingende Ehrlichkeit eine erweiterte Bedeutung bekommen.
Das Fallen der Milchquote, das ist sicher, wird die Lichter in den Südtiroler und Vinschger Ställen nicht ausgehen lassen. Die Melkmaschinen, wenn auch vielleicht weniger als heute, werden weitersurren - ohne Ferien.

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