Mit einem Absatz im staatlichen Stabilitätsgesetz 2014 (Art. 1, Absatz 515 des Gesetzes vom 27.12.2013, Nr. 147) sind die rechtlichen Voraussetzungen für den Übergang der Kompetenzen zur Verwaltung des Nationalparks Stilfserjoch vom Staat an die beiden Autonomen Provinzen Bozen Südtirol und Trient für ihren jeweiligen Flächenanteil des Schutzgebietes geschaffen worden. Der oben zitierte Absatz der Gesetz-
esnorm schreibt aber das Einvernehmen zwischen dem Staat und den beiden Provinzen vor. Das Rechtsinstrument für die Neuregelung der Zuständigkeiten soll dabei eine neue Durchführungsbestimmung zum Sonderstatut der Autonomen Region Trentino Südtirol bilden.
Von der Gesamtfläche des Nationalparks Stilfserjoch von ca. 131.000 Hektar liegen 45% in der Region Lombardei, 41% in Südtirol und 14% im Trentino.
Die Bestimmungen des Sonderstatutes der Region Trentino Südtirol können rechtlich nicht einfach auf die Region Lombardei als eine Region mit Normalstatut übertragen werden. Daher bedurfte es einer weiteren Gesetzesbestimmung, kraft welcher die Region Lombardei in die Ausverhandlung des Einvernehmens zwischen dem Staat und den betroffenen Ländern einbezogen würde. Diese Gesetzeslücke ist mit dem Artikel 11, Absatz 8 des Gesetzesdekretes Nr. 91/2014 geschlossen worden. Das Gesetzesdekret ist fristgerecht in das Gesetz vom 11. August 2014, Nr. 116 umgewandelt worden und am 21. August 2015 rechtskräftig geworden.
Der prozedurale Weg
Der prozedurale Weg einer Durchführungsbestimmung zum Autonomiestatut Trentino Südtirols beginnt in der „Zwölferkommission“, welche paritätisch aus 6 Vertretern des Staates und je 3 Vertretern der Länder Trentino und Südtirol bzw. der Region besetzt ist. Die Zwölferkommission erarbeitet einen Textvorschlag für jede neue Durchführungsbestimmung, zu welchem nach deren Verabschiedung in der Kommission die Gutachten der ressortzuständigen Ministerien eingeholt werden. Nach Abklärung der Divergenzen zum Kommissionstext mit den Ministerien kommt der Textvorschlag der Zwölferkommission zur Diskussion und Beschlussfassung in den Ministerrat. Zur Sitzung des Ministerrates werden die Landeshauptleute der Autonomen Provinzen Trient und Bozen Südtirol einberufen. Den positiven Beschluss des Ministerrates vorausgesetzt, erreicht eine Durchführungsbestimmung zum Autonomiestatut dann Rechtskraft, wenn sie vom Staatspräsidenten gegengezeichnet und anschließend im staatlichen Gesetzesanzeiger veröffentlicht wird.
Von seinem Ansatz her sieht der von der Zwölferkommission verabschiedete Text zur neuen Durchführungsbestimmung für die Verwaltung des Nationalparks Stilfserjoch die Auflösung des derzeitigen Konsortiums als Führungsform vor und eben den Übergang der Verwaltungskompetenzen an die Länder. Was die Kostenabdeckung betrifft, würde sich der Staat aus der Finanzierung des Nationalparks zurückziehen. Die beiden autonomen Länder Trentino und Südtirol müssten die Kosten für ihren Flächenanteil am Nationalpark aus Eigenmitteln abdecken und zusätzlich auch die Kosten für den lombardischen Parkanteil anteilsmäßig übernehmen.
Die Position der Umweltschutzvereinigungen
15 gesamtstaatlich organisierte Naturschutzvereinigungen sprechen sich gegen den neuen Ansatz mit der Kompetenzübertragung an die Länder aus und haben ihre Position auch in einem Pressedokument und in einer Eingabe an den Umweltminister artikuliert. Die Naturschutzvereinigungen befürchten eine Rückstufung und Zerstückelung des Nationalparks in drei Länderparke ohne Garantie für eine einheitliche Führung des gesamten Nationalparks.
Das Subsidiaritätsprinzip
Dem zentralistischen Ansatz gegenüber steht das Subsidiaritätsprinzip, das besagt, dass man Kompetenzen einer Zentralverwaltung an hierarchisch nachgeordnete Verwaltungseinheiten delegieren kann und soll: Was man auf der dezentralen Ebene besser, effizienter, bürgernäher und zukunftsfähig verwalten kann, sollte man nicht unbedingt auf der obersten Ebene belassen.
Naturschutz unter der Käseglocke ist nicht möglich
Natur- und Landschaftsschutz gegen die Überzeugung der Wohnbevölkerung gleichsam als Erhalt eines Idealbildes von weit entfernten städtischen Schreibtischen aus, Naturschutz unter der Käseglocke, ist schwer vermittelbar und noch schwerer umsetzbar.
Die Kulturlandschaft ist ein wesentlicher und wertvoller Teil auch des Schutzgebietes Nationalpark Stilfserjoch. Diese Kulturlandschaft ist durch die Jahrhunderte lange Arbeit vieler Generationen von Menschen im Berggebiet entstanden. Es wäre ein zu kurz gedachter Ansatz, wenn Natur- und Landschaftsschutz die Landflucht im Bergebiet fördern und die Entsiedlung des ländlichen Raumes verstärken würden.
Aus meiner Erfahrung als derzeitiger Leiter des Nationalparks vertrete ich die Auffassung, dass Natur- und Landschaftsschutz und der Erhalt der Biodiversität von Lebensräumen und Arten von außen und ohne den Einbezug der Wohnbevölkerung nicht möglich ist. Dabei muss allen Beteiligten klar sein, dass die Schaffung und Erhöhung der Akzeptanz eines Schutzgebietes ein Erziehungs- und Lernprozess ist, der unter Umständen lange dauert und eines geduldigen, verständnisvollen, fachkompetenten und überzeugten Eintretens für den Schutz des Gebietes bedarf, aber auch für die volkswirtschaftliche Zukunft des Gebietes lohnend ist.
Die geschichtliche Dimension
Bekanntlich ist der Nationalpark Stilfserjoch unter dem faschistischen Regime im Jahre 1935 ausgewiesen worden. Das Wissen darum ist für das Verständnis bestimmter negativer Haltungen zum Nationalpark wesentlich. Das Gründungsjahr des Nationalparks fällt in jenes Jahr, in welchem unter der Diktatur Mussolini das Dekret zur Enteignung der landwirtschaftlichen Gründe für die nachmalige Industriezone Bozen unterzeichnet worden ist.
Zum Hundertjahr-Jubiläum des Schweizerischen Nationalparks 1914 – 2014 hat der Berner Universitätsprofessor und Historiker Pattrick Kupper 2012 das Buch „Wildnis schaffen – Eine transnationale Geschichte des Schweizerischen Nationalparks“ verfasst und im Haupt-Verlag publiziert. Im ersten Kapitel seines Buches beschreibt Kupper u.a. die Entstehung der ersten Nationalparks auf unserer Erde. Bekanntlich wurde als allererster Nationalpark im Jahre 1872 der Yellowstone Nationalpark in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgewiesen. In den 1870er und 1880er Jahren wurden in Kanada, Neuseeland und Australien eine Reihe von Nationalparks errichtet. Kupper schreibt hierzu: “Die britischen Siedlergesellschaften in diesen Ländern interpretierten die amerikanische Vorlage Yellowstone auf ihre eigene Weise….. Gemeinsam war diesen Initiativen, dass sie die Erschließung von Landstrichen in ein staatlich kontrolliertes Schema überführten“. Yellowstone war aber nach den Humanwissenschaftlern Dan Brockington, Rosaleen Duffy und Jim Igoe (2008), zitiert nach Kupper (2012) ein problematisches Vorbild, da die Praxis, indigene Bewohner aus den Nationalparks zu vertreiben, dort seinen Ausgang genommen hat.
Interessant ist auch was Kupper als Beobachter von außen zur Ausweisung der ersten europäischen Nationalparks formuliert: “Das Potential durch die Designation von Nationalparks den Besitzanspruch des eigenen Nationalstaates auf umstrittenes Land zu demonstrieren, wurde in Europa erst im 20. Jahrhundert genutzt. Zu den frühen Beispielen zählen die Etablierung von Nationalparks in den von den Saami bewohnten Gebieten in Schweden seit 1909 und die Errichtung des Stelvio-Nationalparks 1935 durch das faschistische Italien auf vormals österreichischem Territorium“.
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