Einer von vielen regenreichen Tagen im Oktober in Matsch. Es schüttet aus Kübeln, die Berge sind schon längst in Weiß getaucht. Eine Stimmung, die nicht weiter von Afrika entfernt sein könnte. Die drei Mädchen, zwei aus Matsch, eine aus Reschen, rücken an, mit Laptop und Festplatte. Nicht nur dort sind ihre Erinnerungen an die letzten Wochen gespeichert. Sofort beginnt ein reges Gespräch zwischen den Mädchen. Erfahrungen, Eindrücke werden ausgetauscht. „Wou bisch du gweesn?“, „Hotts bo enk a zu olls olm Kaffei geibn?“ Die Unterhaltung geht auch weiter, wenn ich für eine kurze Zeit nicht mit am Tisch sitze. Kathrin Stecher und Sabine Kofler, beide Jahrgang `87 aus Matsch, waren für drei Monate gemeinsam in Uganda, haben dort unter anderem in einer Klinik gearbeitet. Organisiert wurde die Reise von der OEW in Brixen (Organisation für eine solidarische Welt).
Sabrina Stecher, Jahrgang `89 aus Reschen, war einen Monat in Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien. Auch sie arbeitete in einer Privatklinik mitten in der Stadt, organisiert von „Projects abroad“ aus Deutschland.
Alle drei sind erst seit ein paar Tagen zu Hause, die Erinnerungen sind noch ganz frisch, genauso wie die Erleichterung von Eltern, Familie und Freunden über die wohlbehaltene Rückkehr.
In meinem Kopf spielen sich die typischen Nachrichtenszenen ab, wenn ich an Entwicklungshilfe in Afrika denke: Flüchtlingslager, Hunger, Krieg, Verzweiflung, Tod. All das, was bei uns tagtäglich über den Kasten flimmert und häufig nur mehr am Rande wahrgenommen wird.
Jetzt interessiert es mich, was die Mädchen erlebt haben. Zu meinem Erstaunen decken sich ihre Erlebnisse kaum mit meinem Kopfkino. Kathrin und Sabine waren auf dem Land, in einer Klinik nahe an dem Dorf Birongo, versorgt und abgeschirmt von den Verantwortlichen der Organisation. Sie haben richtig gut gegessen und eigentlich haben sie häufig nach Arbeiten gesucht, denn „Es isch nit sou viel lous gwesn, wia miar gmoant hobn.“ Also haben sie auch mal die Kirche neu gestrichen oder Apfelstrudel für die anderen gebacken. Und vom Land haben sie bei den verschiedenen Ausflügen auch etwas gesehen. Das Land sei außerordentlich schön, grün und fruchtbar. Richtige Armut ist ihnen nicht begegnet, Mangelerscheinungen bei den Menschen und natürlich sehr einfache Wohn- und Lebensverhältnisse schon.
Sabrina hingegen landete in einer typisch afrikanischen Großstadt, zwar auf einer ungewöhnlichen Meereshöhe von 2.355m, aber ansonsten typisch. Chaotisch, laut, unübersichtlich und dreckig. So erlebte Sabrina vor allem die erste Woche. Sie wollte nur noch zurück nach Hause. All das Fremde und vor allem die Armut erschlugen sie fast. Doch es gilt hier dasselbe, wie überall: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und so fand sie sich bald zurecht. Sie lernte, wie man die Straße überquerte ohne drauf zu gehen, sie lernte sich zu orientieren und mit den Gemeinschaftsbussen zu fahren und sie lernte die Armut als Teil der Stadt anzunehmen und, daran vorbei zu gehen. Denn wie alle drei betonen: „Olle konnma nit helfn, des isch a Selbstschutz und die Organisation hot ins af sell a vorbereitet.“ Sabrina half in einer Privatklinik, aber auch sie war dort nicht ausgelastet, denn nur die Wenigsten konnten sich eine Behandlung in dieser Klinik leisten. Also ergriff sie bald selbst die Initiative und weitete ihr Arbeitsfeld auf ein öffentliches Spital aus. Untergebracht war sie in einer Gastfamilie, mit der sie immer noch in innigem Kontakt steht.
Wovon alle drei sofort einstimmig erzählen, ist die herzliche Gastfreundschaft, die ihnen von den Einheimischen entgegengebracht worden war und auch die Dankbarkeit für ihre Arbeit. Dies entschädigte für das manchmal aufkommende Gefühl, eigentlich nicht wirklich helfen zu können und auch nicht sicher zu sein, ob ihre, die europäische Hilfe, überhaupt gut für die Menschen dort ist.
Als ich das Gespräch ein wenig auf Sinn und Unsinn von Entwicklungshilfe und Mission lenke, merke ich bald, dass es schon rumort in den Köpfen der jungen Mädchen. Sie wissen, so sagen sie alle drei, dass sie diese Reise hauptsächlich für sich selbst gemacht haben, um eine andere Sicht der Dinge zu bekommen und wieder zufriedener zu sein. Und, dass man Entwicklungshilfe skeptisch sehen muss. Es geht mehr um einen Erfahrungsaustausch in Kultur und Arbeit, weg von der typischen Perspektive des Afrikatouristen. Weg von den überbordenden Klischees, sei es von den Klischees, das die Europäer über Afrika haben, wie eben auch umgekehrt. Man merkt, ein kleiner Teil der von uns so heiß geliebten und praktizierten Schwarzweißmalerei über die Welt und das Leben ist von den Mädchen abgefallen.
Karin Thöni Heinisch