Donnerstag, 10 März 2011 10:23

Die ewige Lotterie

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Vinschgau - AUS DEM GERICHTSSAAL

Alljährlich, kurz vor Weihnachten, zieht es eine Schar von circa hundertfünfzig mehr oder weniger jungen Frauen und Männern in eine Turnhalle oder Messegebäude in Bozen. Sie sind blass, ziehen schwer beladene Rollkoffer hinter sich her und sind in abgetragene Anzüge gehüllt.
Der Anlass ist alles andere als freudig: es sind die Anwaltsanwärter auf ihrem Weg zu einem Massaker. Ihre Hoffnungen können fast nur enttäuscht werden, die wenigsten von ihnen werden einige Monate später einen Telefonanruf erhalten, der ihnen kundmacht, dass sie den schriftlichen Teil der Staatsprüfung überstanden haben und sich in den nächsten ungefähr vierzig Tagen darauf vorbereiten müssen, in sechs Materien der Rechtswissenschaften Rede und Antwort zu stehen. Die meisten werden diesem Trauermarsch auch im nächsten Jahr wieder angehören, viele wird irgendwann die Geduld verlassen, der Stolz davon abbringen oder die Aussicht auf eine geregelte Arbeit außerhalb der Gerichte.
Vor wenigen Tagen wurden die Ergebnisse vom letzten Dezember verkündet: gerade einmal 16 Kandidaten, magere 11% sind dazu auserkoren worden, in diesem Jahr am Endspurt im Kampf um den Anwaltsstand teilzunehmen. Die diesjährige Quote ist Negativrekord, die Tendenz gibt es schon seit einigen Jahren: über 20 % gab es zuletzt im Jahr 2006.
Die Prüfungskommission besteht aus Anwälten, Universitätsprofessoren und Richtern. In ganz Italien werden die Prüflinge von Kommissionen aus anderen Regionen betreut, generell liegt die Durchfallquote bei ungefähr 70%. Lediglich bei uns in Südtirol kontrollieren die Anwälte der Bozner Kammer, auf Grund der Notwendigkeit einer zweisprachigen Prüfung, den Zuwachs ihrer eigenen Konkurrenz. Welche mittlerweile beträchtlich angewachsen ist, sind doch heute ungefähr dreimal so viele Anwälte in Südtirol tätig als noch Mitte der Neunziger Jahre. Damals gab es in etwa 250 Mitglieder, heute zählt die Anwaltskammer von Bozen mehr als 750 eingetragene Rechtsanwälte.
Die Aussichten für die Branche sind daher alles andere als rosig. Jedenfalls für den Nachwuchs, der wohl gescheiter ein Handwerk lernen möchte, denn reich wird der ewige Praktikant nur schwer.

Christoph Tappeiner,
Rechtsanwalt


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