Was ist ein Querdenker?
Jemand, der mit seinen Ideen auffällt. Jemand, der anders als andere denkt.
Querdenker sicher nicht, ein Vordenker vielleicht. Ich denke, wie ich halt denke und vielleicht ist das nicht jedermanns Sache, auf den Zug aufzuspringen. Quer ist, glaube ich, immer negativ, man sperrt sich, man blockiert. Meine Objekte sind vielleicht ungewohnt. Objekte, die wir vor 20 Jahren gemacht haben, die damals eine Sensation waren, sind mittlerweile akzeptiert, ganz einfach, weil sich die Leute dran gewöhnt haben. Also es ist immer eine Sache der Gewöhnung. Und deshalb bin ich vielleicht ein Vordenker, aber kein Querdenker.
Was bedeutet für Sie gute Architektur? Oder ist Architektur nur Geschmackssache?
Das ist die schwierigste Frage überhaupt und die stelle ich mir, seit ich angefangen habe zu arbeiten und wenn ich ganz ehrlich bin, dann weiß ich bis heute noch nicht, was gute Architektur ist. Gute Architektur in dem Sinne kann es eigentlich nicht geben, denn man ist immer auf der Suche nach Besserem. Man ist nie so zufrieden, als dass man sagen könnte, das ist jetzt gut.
Sie sind nie zufrieden?
Nein, es gibt immer etwas, wo ich sage, das hätte ich so oder anders vielleicht besser machen können und deshalb ist es auch schwierig zu sagen, was gute Architektur ist. Auf keinen Fall ist es Geschmackssache. Ich sage so: Man kann unterscheiden zwischen Architektur und Bauen. 99 Prozent ist einfach Bauen. Währenddem Architektur einen höheren Anspruch hat und viele Kriterien erfüllen soll und muss, unter anderem auch jenes, dass es den Leuten gefällt. Gute Architektur sollte eigentlich so sein, dass sie allen Leuten gefällt, dass sie 100-prozentig perfekt funktioniert, schön ist und der Landschaft, der Zeit und den Materialien gerecht wird. Gute Architektur muss Ausstrahlung haben. Also es sind ganz viele Dinge, die da stimmen müssen.
Das klingt fast unmöglich.
Ja, das glaube ich auch. Aber jedes Projekt ist eine Weiterentwicklung und Ansporn für Neues und gleichzeitig für gute Architektur.
Welchen architektonischen Ansprüchen müssen Ihre Bauprojekte gewachsen sein?
Für mich ist das Wichtigste, dass der Bauherr sagt: Ich habe das bekommen, was ich in Auftrag gegeben habe. Früher, als ich noch jünger war, da war man noch radikaler und hat gesagt: Wenn es den Leuten gefällt, dann ist es keine gute Architektur. Das hat sich verändert. Im Grunde wäre es das Maximale, wenn es wirklich allen Leuten gefällt. Meine Bauprojekte müssen stimmig sein, müssen Charakter haben, müssen eine Ausstrahlungskraft haben und dürfen nicht plastifiziert wirken. Ein Gebäude muss leben, das ist einer der ersten Sätze, die ich mir zu Grunde gelegt habe. Architektur ist, erlebbaren Raum zu schaffen, im Sinne von erleben und leben.
Viele Ihrer Gebäude haben eine öffentliche Seite. Revitalisierungen, Sanierungen: Sind Sie ein architektonischer Bewahrer?
Bewahrer in dem Sinne nicht. Wenn ich saniere, dann lass ich das Alte so wie ich es vorfinde. Wenn das mit Bewahrer gemeint ist, ja gut, dann bin ich ein Bewahrer. In meinen Augen ist bewahren ein Schritt, der ein Ende bedeutet, also konservieren, unter die Glocke stellen. Das kann es nicht sein. Bauten, auch wenn es Revitalisierungen sind oder Sanierungen müssen immer eine neue Komponente erhalten. Deshalb bin ich kein Bewahrer, sondern ein Revitalisierer. Ein Bau, der bewahrt wird, ist tot. Marmelade kann man einwecken, aber Bauten kann man nicht einwecken. Bauten müssen weiterleben. Bauten sind für eine Funktion gemacht. Ich rühr das Alte überhaupt nicht an. Wenn man an diese alten Sachen rangeht, sieht man, dass immer wieder Generationen vor uns nur Fehler gemacht haben, beim Erweitern, beim Anfügen, beim Sanieren, beim Revitalisieren. Diese Fehler entfernen wir meistens wieder, weil sie uns als nicht passend vorkommen, weil die Zeit eine andere geworden ist. Und ich sage, ich bin nicht die erste Generation, die keine Fehler mehr macht und in 20 oder 30 Jahren werden Architekten kommen, die sagen, das muss wegkommen. Zumindest haben sie dann die gleiche Chance, wie wir sie auch schon hatten, um das so zu machen, wie sie meinen, dass es richtig ist.
Welches Ihrer Bauprojekte war das spannendste für Sie?
Immer das letzte.
Was wäre das letzte?
Das, was gerade im Kopf ist.
Was ist gerade im Kopf?
Sobald ein Projekt draußen vom Kopf ist, sobald es gezeichnet ist, ist die Spannung weg, dann ist es nur mehr reine Arbeit. Spannend ist für mich ein Projekt, wenn es noch mir ganz alleine gehört, wenn es noch im Kopf herumschwirrt. Das muss gar nicht ein Auftrag sein, das kann auch ein Projekt sein, für das gar niemand einen Auftrag gegeben hat.
Zurzeit?
Zurzeit ein Wohnhaus, von dem man aber noch nicht sagen kann, wann es gebaut wird, wo es gebaut wird oder für wen es gebaut wird.
Bauen im Bestand: Liegt darin die Zukunft für Architekten? Ihre Meinung.
Nein, ganz sicher nicht. Denn, wenn wir nichts mehr neu bauen, dann sind wir tot. Das Problem ist, dass wir uns immer ein Thema setzen und dann gibt es nur mehr dieses eine Thema. Natürlich müssen wir anfangen umzudenken. Ich bin der Erste, der sagt, dass wir alten Bestand nutzen müssen. Und das tun wir ja auch. Aber das ist nicht die Zukunft. Die Zukunft ist auch neu bauen. Denn, wenn wir nur mehr sanieren oder im Bestand bauen, dann kann das auch nicht funktionieren. Das größere Problem ist die Zersiedelung. Wir müssen aufhören, neuen Baugrund auszuweisen in den landwirtschaftlichen Zonen.
Sozialer Wohnungsbau, geförderter Wohnbau: Beides ist Bauen auf engstem Raum. Kann gute Architektur unter diesen Zwängen noch gelingen oder müssen sich hier die Spielregeln ändern?
Ich kann da nicht mitreden, weil ich bis jetzt noch nichts im sozialen oder geförderten Wohnbau gemacht habe. Ich glaube, es ist eine andere Herangehensweise. Die hohe Baudichte ist beispielsweise überhaupt kein Problem. Da brauchen wir uns nur Glurns oder überhaupt alle Altstädte anzuschauen, da lebt man auf engstem Raum. Das hat mit architektonischer Qualität nichts zu tun. Die Frage ist vielleicht eine andere: Man müsste sich ganz neu definieren. Wie muss man planen, dass mit wenig Geld auf engstem Raum gelungen gebaut wird. Das Problem ist, dass bei diesen Zonen meis-tens kein Konzept herrscht. Es gibt zwar Durchführungspläne, Wiedergewinnungspläne, aber jeder Einzelne macht dann das, was er will. Der eine malt sein Haus grün an, der andere gelb oder blau. Es fehlen die Einheit und die Einfachheit. Aber reden ist einfach, man müsste da mal bauen und die richtige Antwort für diese Herausforderung oder Aufgabe suchen.
Was halten Sie von Südtirols Vorzeigemodell KlimaHaus?
Na ja. Es ist in Ordnung, ich will da jetzt nichts und niemanden kritisieren. Es ist im Grunde halt nichts anderes, als einen Mantel um ein Gebäude herumgehängt und das war es auch schon. An und für sich ist es sicher in Ordnung, dass wir „Klimahäuser“ bauen, aber wir müssen es ja nicht propagieren als Erfindung Südtirols.
Finden Sie das Muss eines Klimahausstandards richtig?
Nein, das finde ich nicht richtig. Ich bin gegen jeden Zwang, den es gibt. Und gerade bei solchen Sachen, von denen wir nicht wissen, wie wir sie in 20 oder 30 Jahren bewerten werden, darf man unmöglich Leute dazu zwingen, etwas zu tun, von dem wir nicht wissen, ob es sich als richtig erweisen wird. Das wäre so ungefähr dasselbe, als ob man die Leute vor 100 Jahren gezwungen hätte, Asbest zu verwenden. Es darf einfach nicht sein, dass man Leute zu etwas zwingt, von dem wir nicht wissen, ob es richtig oder falsch ist. Dieser Zwang darf nicht sein. Zwang ist immer falsch. Erziehung ja. Die Leute dazu zu erziehen, dass wir Energie sparen müssen, das ja, aber es darf kein Zwang sein.
Architekt, Auftraggeber, Handwerker: Wie vermeiden Sie Konflikte am Bau?
Konflikte gibt es kaum.
Man hat Differenzen, aber keine Konflikte. Ich hatte bei meiner Arbeit bislang noch nie einen Konflikt. Differenzen ja, die muss es geben, sonst macht die Arbeit auch keinen Spaß. Gesunde Reibungen muss es geben.
Anders gefragt: Ist Bauen ein Kompromiss?
Nein, nie ein Kompromiss. Das Schlimmste, was einem Bau passieren kann, ist ein Kompromiss. Es darf keine Kompromisse geben. Bauen ist die Idee von einem, zwei oder drei Leuten, die gemeinsam etwas machen wollen, das darf kein Kompromiss sein. Kompromisse sind etwas für zwischenmenschliche Beziehungen, aber fürs Bauen ist das nicht gut. Wenn man baut, steht die Grundidee des Architekten, der Bauherr trägt sie mit, bezahlt sie und der Handwerker führt sie nach bes-tem Wissen und Gewissen aus, da kann es keinen Kompromiss geben.
Dass Bauherren und Architekt unterschiedliche Vorstellungen haben, gibt es bei Ihnen nicht?
Nein, dann lass ich die Hände davon. Wenn der Bauherr nicht 100 prozentig mit dem einverstanden ist, was ich für ihn machen will, dann hat es keinen Sinn, dass ich mit ihm arbeite.
Themenwechsel: Die Materialien. Sie greifen vornehmlich zu Holz und Stein. Warum?
Eigentlich weder zu Holz, noch zu Stein.
Sondern?
Holz setze ich immer weniger ein, weil ich der Meinung bin, dass es nicht so schnell schön altert, wie es eigentlich sollte. Es dauert zu lange und dann gibt es diese Zwischenzeiten, die mir nicht mehr so gut gefallen. Glas ist zum Beispiel ein Material, das dauerhaft eingesetzt werden kann, das verwende ich gerne. Beton ist auch ein wunderbares Material. Aber welches Material ich letztendlich verwende, hängt immer vom Bau selbst ab.
Welches Ihrer Objekte würden Sie so nicht mehr bauen?
Keines.
Herr Architekt Tscholl: Was schätzen Sie am Vinschgau?
Was schätze ich am Vinschgau? Schwierig zu sagen. Ich bin hier daheim, das schätze ich.
Umgekehrt gefragt: Würden Sie wegziehen vom Vinschgau?
Ohne weiteres, ja. Da hätte ich kein Problem. Wenn es sich ergeben würde, dass ich nach New York ziehen würde oder wollte, warum nicht. Ich schlage überall Wurzeln und da wo ich gerade bin, fühl ich mich am wohlsten.
Sie sind Vinschgaus bekanntester Architekt, haben zahlreiche Projekte in Südtirol und im oberitalienischen Raum realisiert: Was hebt den Vinschgau architektonisch von anderen Gebieten ab, oder hebt er sich überhaupt ab?
Nicht mehr. Damals vor 30 Jahren, als ich angefangen habe, waren wir Vinschger Architekten Dietl, Spitaler, Gapp und meine Wenigkeit, vielleicht diejenigen, die das erste Mal Architektur in die Täler hinaus gebracht haben. Die Architekten, die damals von Bozen herauf kamen, haben nur die öffentlichen Projekte gemacht, kaum private Sachen. Wir hatten das Glück, Bauherren zu haben, die etwas probiert haben, einfach mal was anderes wollten. Mittlerweile haben alle Landesteile aufgeholt und ich würde sagen, den Vinschgau überholt.
Was wäre ein Traum, was würden Sie gerne bauen?
Auch das ist schwierig zu sagen. Ich habe keinen Traum mehr in dem Sinne. Das Spektrum ist abgedeckt. Im Prinzip ist jeder Bau ein Traum.
Abschließend eine persönliche Frage: Wie wohnen Sie selbst?
Ich wohne hier im Haus, das ich selbst vor 30 Jahren gebaut habe. Das war mein erstes Projekt, ich hatte kein Geld, keine Aufträge, nur einen Grund und hab vor allem selbst Hand angelegt, mitgemauert und vieles andere. In dieser Zeit hab ich viel gelernt. Dieses Haus war damals ein Aushängeschild, ein Objekt, das aufgefallen ist. Ich fühle mich hier noch immer wohl. Demnächst werden wir aber umziehen und ein neues Haus hier in Morter bauen.