Sie scheuen das Licht der Öffentlichkeit und arbeiten vorwiegend in deren Schatten. Ihre Verwaltungen sind Gebilde außerhalb des politischen Parteienspektrums, um deren Wahl kaum Aufhebens gemacht wird. Im Normalfall gehen solche Wahlen ohne öffentliches Getöse über die Bühne. In den kommenden Wochen sind, nach fünfjähriger Amtszeit, wiederum solche Wahlen vorgesehen: die Wahlen der Fraktionsverwaltungen - im sperrigen Amtsdeutsch - Eigenverwaltungen bürgerlicher Nutzungsrechte (E.B.N.R). Die Oberländer haben die Wahlen bereits hinter sich: In der Fraktion St. Valentin, in der Fraktion Graun, in der Fraktion Reschen und in der Fraktion Langtaufers sind am 6. Februar die jeweiligen fünfköpfigen Komitees gewählt worden.
33 solcher Komitees gibt es im Vinschgau, also 33 Komitee-verwaltete Eigenverwaltungen. In Südtirol bestehen 111 Verwaltungskomitees. 53 Eigenverwaltungen werden zudem vom jeweiligen Gemeindeausschuss verwaltet. Was auf den ersten Blick verwirrt, geht auf eine lange Tradition zurück - bis ins Mittelalter. „Die Eigenverwaltung bürgerlicher Nutzungsrechte ist eine öffentliche Körperschaft, deren Entstehung bis in das Mittelalter zurückreicht. Bei den Gütern mit bürgerlichen Nutzungsrechten im Eigentum der Eigenverwaltung handelt es sich zumeist um Wälder, Weiden und Almen“, heißt es auf der Web-Seite der Abteilung Örtliche Körperschaften. Oskar Cavosi, vom Amt für bäuerliches Eigentum, ergänzt: „Es handelt sich um Güter, welche seit Menschengedenken von den Bewohnern der jeweiligen Fraktion gemeinsam genutzt worden sind.“ Im Vinschgau kommt das „Stockrecht“ als Eigenart dazu. Dieses Recht teilt bestimmten Personen die Holznutzung auf begrenzter Fläche oder gar auf bestimmte Bäume zu. „Im 19. Jahrhundert kamen dann die ersten verschriftlichten Servitutsregulierungsurkunden“, sagt Cavosi. Später, ab 1897, als die gefürstete Grafschaft Tirol das Grundbuchsanlegungsgesetz beschlossen hat, kommt die grundbücherliche Eintragung der Güter auf die jeweilige Fraktion. Nach der Annexion Südtirols 1919 durch Italien haben die faschistischen Machthaber das aus der österreichischen Rechtsordnung herrührende System des Grundbuches beibehalten. Ausschließlich für die nach dem ersten Weltkrieg an Italien angegliederten Territorien der ehemaligen
Österreichisch-Ungarischen Monarchie.
Brennholz, Bauholz, Weide- und Almrechte
Ein Staatsgesetz von 1927 hat dann die „beni di uso civico“ - die Gemeinnutzungsgüter - auf dem gesamten italienischen Staatsgebiet geregelt. Gemeinschaftsgüter hat es auch in Italien gegeben, Schafweiden in Sardinien etwa.
In der Provinz Bozen wurde ein „Regionalkommissar für die Liquidierung von Gemeinnutzungsrechten“ eingesetzt. Von 1930 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges hat dieser Regionalkommissar die Grundstücke der Eigenverwaltungen grundbücherlich erfasst, einige nach eigenem Gutdünken Privaten zugeteilt - aber die Grundstruktur der Gemeinnutzungsgüter belassen. Dieser Regionalkommissar hat sich lange gehalten: Erst 1987 wurden die Verwaltungsbefugnisse per Landesgesetz dem Landesrat für Land- und Forstwirtschaft übertragen.
Zurück zu den Gütern der Fraktionen. „Dabei handelt es sich um Gemeinschaftsgründe, welche von einer Allgemeinheit besetzt werden. Jedes Gemeinschaftsmitglied kann das Gut gebrauchen, ohne aber das Recht veräußern zu können, da es nicht Eigentümer einer Quote ist, sondern Eigentümer in der Gesamtheit, aber in Gemeinschaft mit den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft“, definiert die Abteilung 7 - Örtliche Körperschaften - die Fraktionsgüter.
Brennholz, Bauholz, Weide- und Almrechte: Das sind im Grunde die Kerngebiete, die die Fraktionen bzw. das Fraktionskomitee verwalten. Dabei haben alle Bürger eines Fraktionsgebietes im Prinzip Anrecht auf diese Bezugsrechte. Allerdings sind die Bezugsrechte - beim Bauholz etwa - abgestuft. Vorrang haben die Bauern. Sollte dann noch Holz übrig bleiben, kommen andere Bürger in den Genuss günstigen Bauholzes. Die Weide- und die Almbewirtschaftung üben großteils bäuerliche Interessentschaften aus. Dies geht darauf zurück, dass die Gruppe der Vollerwerbsbauern mit direktem Interesse an Weiden und Almen geschrumpft ist. Deshalb ist es den Fraktionsverwaltungen häufig lieber, wenn eine Interessentschaft aus Bauersleuten die Organisation von Weiden und Almen selbst in die Hand nimmt.
Die Verwaltung von Holzzuteilung, die Wegeinstandhaltung, die Weide- und Almwirtschaft findet in der Regel ohne viel Aufhebens statt.
Öffentlich in Erscheinung treten Fraktionsverwaltungen dann, wenn Grundstücke der Eigenverwaltung für eine größere Allgemeinheit interessant sind oder werden.
Wenn sich etwa Steinbrüche auf Fraktionsgrund befinden, wie es die Marmorbrüche in den Fraktionen Laas und Göflan sind. Beide Fraktionen können sich aufgrund der Mehreinnahmen über die Verpachtung der Brüche bzw. über die Einnahmen über den Abbau glücklich schätzen. Denn eingenommenes Geld muss auch bei den Fraktionen - wie es bei den Gemeinden der Fall ist - wieder reinvestiert werden bzw. der Allgemeinheit zugute kommen.
Oder andere Beispiele: Mehrere Fraktionen haben vor Jahren Grundstücke für Liftanlagen zur Verfügung gestellt - wie es in der Fraktion Tarsch der Fall ist - oder in St. Valentin oder in Reschen. Die Lifte vom Watles befinden sich auf Fraktionsgrund der Fraktion Schlinig-Amberg. Die Stadt Glurns besitzt in Sulden mehrere Hektar Wald, durch den der Kanzellift verläuft. Damals haben die meisten Fraktionen den Liftgesellschaften diese Gründe unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Im Sinne der Allgemeinheit, im Sinne der wirtschaftlichen Entwicklung. In St. Valentin hat die dortige Fraktion vor zehn Jahren sogar viel Geld in die Rettung des Skigebietes gepumpt.
Reichtum
Oder die zu Reichtum gekommene Fraktion Latsch: Alte Weidegründe sind dort aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung teilweise zu intensiv genutzten Obtsanlagen umfunktioniert, andere Fraktionsparzellen sind von der Gemeindeverwaltung in Baugründe umgewandelt worden. Einnahmen, die der Fraktion Latsch zugute gekommen sind oder zugute kommen.
Ähnliches gilt für die Fraktion Prad. Der Speckgürtel der derzeitigen Handwerkerzone war einmal in ihrem Besitz.
Oder in Galsaun: Mehrere Gründe rund um die dortige Handwerkerzone gehören der Fraktion. Die Beispiele ließen sich fortsetzen.
Die Veräußerung von Fraktionsbesitz ist gesetzlich eng und streng geregelt. Trotzdem waren Grundverkäufe in der Vergangenheit für viele Fraktionen gute Geschäfte. Die interessantesten Gründe in den Tallagen sind weitgehend veräußert. Mittlerweile wird um Gebiete an der Waldgrenze gefeilscht. Zum Beispiel in Tarsch: Was immer auf der dortigen Alm rund um die geforderte Tourismuszone geschieht, wird Signalwirkung auf andere Fraktionen haben.
„Nicht die Fraktion oder die Gemeinde sind Eigentümer des Rechts, sondern immer die einzelnen Fraktionisten oder Ansässigen der Gemeinde“, schreibt die Abteilung 7. Fraktionisten? Jeder Bürger, der seinen Wohnsitz in einer Fraktion mit einer Eigenverwaltung bürgerlicher Nutzungsrechte hat, ist gleichzeitig Fraktionist. Nach vier Jahren Ansässigkeit besitzt jeder Bürger das aktive und das passive Wahlrecht und kommt automatisch in den Genuss der Fraktionistenrechte.
Die Wahlbeteiligung für die Fraktionsverwaltungen ist in der Vergangenheit grundsätzlich mehr und mehr gesunken. Rund 37 Prozent der Bevölkerung haben etwa an den Fraktionswahlen in Graun teilgenommen, rund 30 Prozent waren es in St. Valentin, 31 Prozent in Reschen und knapp 55 Prozent in Langtaufers. Wo allerdings Konflikte rund um die Fraktion öffentlich ausgetragen werden, ist die Beteiligung der Bürger sehr hoch. In Tarsch, wo seit Jahren um das Skigebiet auf Fraktionsgrund gestritten wird, haben vor 5 Jahren rund 80 Prozent an der Wahl teilgenommen.
Klar dürfte sein, dass die bäuerliche Bevölkerung näher an der Fraktion ist als etwa Angestellte, Hoteliers oder Handwerker. Deshalb liegt es auf der Hand, dass sich bei den Wahlen der Fraktionsausschüsse vor allem die Bauern beteiligen. Obwohl alle „Fraktionisten“, alle Bürger also, wahlberechtigt sind.
Seit einiger Zeit hat sich in einigen Fraktionen so etwas wie Goldgräberstimmung breit gemacht. Weil die Erlöse aus dem Holz, vor allem aus dem Bauholz, im Laufe der Jahre immer mehr zurückgegangen sind und so der Haushalt schmal geworden ist, sehen Fraktionsverwalter in der Stromwirtschaft künftige Einnahmequellen. Gerade dort, wo auf Fraktionsgrund Wasserableitungen samt E-Werk geplant sind, erwachen Appetit und Kampfgeist. Die Planeiler, zum Beispiel, haben sich eine 12,99-prozentige Beteiligung am dortigen Kraftwerk der Puni GmbH erkämpft. Die Burgeiser Fraktion ist im Clinch mit der Malser Gemeinde, weil man sich über die Quotenaufteilung am geplanten E-Werk am Zerzabach streitet.
Überall dort, wo auf Fraktionsgründen E-Werke geplant werden, werden die Fraktionen ein Wörtchen mitreden wollen. Obwohl die Stromwirtschaft nicht zu den institutionellen Aufgaben einer Eigenverwaltung gehört. Zumindest bisher nicht. Aber die Zeiten ändern sich.
Dass sich die Zeiten geändert haben, spüren die Fraktionen nicht nur an den schmäleren Einnahmen, sondern auch am bürokratischen Aufwand. Das Latscher Fraktionsurgestein
Matthias Oberhofer hat deshalb vor einigen Jahren angeregt, eine Art Fraktionsverband zu installieren - ähnlich dem Gemeindenverband. Um den Bürokratius von den Fraktionsstuben abwälzen zu können. Daraus geworden ist bisher nichts.
Und noch einem Zeitgeist haben die Fraktionen Genüge zu tun: Seit 1.1.2011 müssen die Fraktionsbeschlüsse im Internet veröffentlicht werden. Dass sich die meisten Fraktionen damit noch schwer tun, hat eine Überprüfung durch den „Vinschgerwind“ ergeben. Das Licht der Öffentlichkeit wird immer noch, so gut es geht, gescheut.