Dienstag, 11 Juni 2013 09:06

„Den Obervinschgau dem Untervinschgau anpassen“

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s7 2633Bezirkspräsident Andreas Tappeiner im „Wind“-Gespräch über die Knoflacher-Studie, wie man dem Pendeln in die Schweiz begegnen will, über den Traum einer Technologiepark-Außenstelle im Vinschgau, über die Ökonomie des Grund- und Bodens, über sein Unverständnis den Umweltverbänden gegenüber und über die eigene Multifunktionalität.

Interview: Erwin Bernhart

Vinschgerwind: Präsident der Bezirksgemeinschaft, Bürgermeister von Laas und Bezirksobmann des Südtiroler Bauernbundes: Sie sind Multifunktionär. Welcher Bereich liegt Ihnen am meisten am Herzen?


Andreas Tappeiner: Ich komme aus dem bäuerlichen Bereich und kenne diese Materie gut. Durch den Einstieg in die Gemeinde habe ich gelernt, dass man in der Gemeinschaft nur wirken kann, wenn man über die eigenen Sektoren hinausschaut. Deshalb habe ich mich von einem reinen Bauernvertreter sicher schon etwas entfernt. Dies wird auch meine Auslaufperiode als Bezirksobmann des Südtiroler Bauernbundes sein.

Als Bezirkspräsident haben Sie auch die Aufgabe, Bezirksanliegen voranzutreiben. Man hat den Eindruck, dass es in jüngster Zeit kaum gemeindeübergreifende Anliegen gibt. Teilen Sie diesen Eindruck?
Ich teile den Eindruck nicht. Es gibt mehrere Aspekte, warum es den Anschein haben kann, dass Bezirksprojekte derzeit nicht so gespielt werden. Zum einen sind in der derzeitigen Verwaltungsperiode 2010-2015 einige neue Bürgermeister, die sich verstärkt um ihre Gemeindeanliegen kümmern und den Kopf noch nicht so frei haben für das Gebiet. Daran arbeitet man. Auch um die Kirchtürme etwas zurückzuschrauben, um den Vinschgau zu sehen. Zum Zweiten haben wir von der Vorverwaltung einige Brocken vorgegeben bekommen. Das Energiethema etwa, das uns nach wie vor beschäftigt und zu welchem wir die neuen Verwalter sensibilisieren, damit das Thema auf Bezirksebene gelöst werden kann. Oder das Verkehrsthema. Durch die Knoflacher-Studie, die immer wieder zitiert wird, sind klare Vorgaben gemacht worden. Diese Vorgaben binden uns heute zum Teil die Hände. Die Knoflacher Studie hat die klare Zielsetzung gehabt, die Umfahrung von Kastelbell zu fixieren. Die wurde fixiert und wir als Bezirksgemeinschaft pochen auf die Einhaltung des Zeitplanes. Auf der anderen Seite wurde im Obervinschgau zementiert, dass man die große Umfahrung nicht will. Die Diskussion muss von unten neu aufkommen, dass man die Verkehrsproblematik im Obervinschgau lösen kann.

Inzwischen werden in der Gemeinde Mals und der Gemeinde Glurns Tatsachen gesetzt: Glurns plant eine kleine Umfahrung, Mals will eine kleine Nordumfahrung. Sind diese Tatsachen, die die einzelnen Bürgermeister schaffen, im Sinne des Bezirkes?
Ich denke, diese Umfahrungen unterbinden nicht die gesamtheitlichen Verbesserungen im Obervinschgau. Sie lösen kleinräumig die Situation der Wohnbevölkerung. Das oberste Ziel ist ja laut Knoflacher Studie die Verbesserung der Wohnqualität und eine Nicht-Förderung des Durchzugsverkehrs. Wenn man diese Grundsätze beibehalten will und das ist in meinem Sinne, muss eine neue Diskussion der Gesamtlösung im oberen Vinschgau möglich sein. Es braucht seine Zeit, die Knoflacher Studie nicht auf einzelne Punkte festzumachen. Mit den Lärmschutzwänden kann Schluderns nicht leben, mit der großen Umfahrung kann Prad, Glurns und Mals nicht leben. Aber vielleicht gibt es etwas dazwischendrin.
 

Kann man es so formulieren: Man braucht Zeit, um diese heilige Kuh Knolfacher Studie früher oder später zu schlachten.
Das ist provokant.

Bei welchen Themen ist der gemeindeübergreifende Konsens zwischen den Bürgermeistern vorhanden?
Wir treffen uns fast monatlich zu den Bürgermeistertreffen. Kürzlich haben wir die Novelle der Raumordnung besprochen. So etwas läuft im Hintergrund. Beim Thema gemeindeübergreifender Polizeidienst sind Verbesserungen in der Abwicklung der Dienste über die Gemeindegrenzen hinaus da. Sicher sind es kleine Sachen, die nicht so auffallen. Beim Tourismus wird der gesamtheitliche Aspekt in den Vordergrund gestellt. Bei Vinschgau Marketing gibt es schon einige Aktionen, die über die Bezirksgemeinschaft geflossen sind. Im sozialen Bereich gehen auch die Geldmittel zurück. Man denkt dort das Modell Assistenzplattform an, welches über die Dienste der Bezirksgemeinschaft hinaus Privatinitiativen zulassen soll.
 

Ist die Übernahme des Stromnetzes ein Konsensthema?
Im Obervinschgau ja und zwar bei Übernahmekosten von 900 Euro pro Anschluss. Wenn man diese Kosten nach oben treibt, wird es schwierig. Im Untervinschgau sind andere Voraussetzungen.

Bei welchen Themen driften die Meinungen eher auseinander?
Mah, es gibt keine Themen mit total konträren Ansichten. Beim Thema Verkehr ist die Schlüsselstelle im oberen Vinschgau. Da müssten halt alle Gemeinden ihre eigenen Interessen etwas zurücknehmen, damit wir zu einer einheitlichen Lösung kommen können.

Zurück zum Tourismus. Tatsache ist, dass im Winterhalbjahr 2012/13 ein Nächtigungsrückgang festzustellen ist. Wie erklären Sie sich das, obwohl Vinschgau Marketing geldmäßig üppiger ausgestattet ist als die Vorgängerorganisation?
Ich bin überzeugt, dass die Arbeit von Vinschgau Marketing nicht kurzfristig Früchte trägt, weil die gemeinde- bzw. tourismusvereinsübergreifende Zusammenschau ein langfristiges Konzept ist. Die Arbeit kann sich so kurzfristig nicht in Nächtigungszahlen widerspiegeln.

Einige Stichworte: Stilfserjoch Maut.
Grundsätzlich stehe ich dahinter. Sie muss aber gut vorbereitet sein. Die Passstraße wird dadurch attraktiver und die Geldmittel können für die Panoramastraße verwendet werden.

Durchstich Stilfserjoch.
Der steht im Raum. Ich sehe dies in Zusammenhang mit der Zuganbindung in die Schweiz nach Schulz. Da muss man sich dann fragen: Ist Stilfserjoch-Bormio als Straße oder ist die Zugverbindung Mals-Schuls prioritär.

Golfplatz: Sie haben vor mehr als einem Jahr gesagt, dass ein übergemeindlicher Fonds eingerichtet wird, um das Golfplatzvorhaben zu stützen. Was ist daraus geworden?
Wir sind beim Golfplatz überrascht worden, dass es nicht weitergeht. Die Gemeinden haben den Beschluss gefasst, das Projekt Golfplatz mit einem Finanzierungsmodell zu unterstützen. Wenn der Golfplatz nicht zustande kommt, wird es diese Finanzierung nicht geben. Punkt.

Zur wirtschaftlichen Entwicklung im Tal. Man beobachtet, dass das Pendeln in die Schweiz zunimmt. Es mangelt an attraktiven Arbeitsplätzen. Mit welchem Programm kann die Bezirksgemeinschaft da aufwarten?
Die Pendlertätigkeit nimmt zu, das ist richtig. Zum einen spielt der Wechselkurs des Franken mit hinein, zum anderen besteht die Möglichkeit, in der Schweiz Überstunden zu einem guten Stundenlohn zu machen. Was tut man dagegen? Wirtschaftlich versucht man, den Obervinschgau an den Untervinschgau anzupassen. Ein Teil dieser wirtschaftlichen Verbesserung kann auch in der Landwirtschaft über die Bühne gehen, nicht nur im Tourismus. Das Thema Spezialkulturen, Nischenkulturen ist in meinen Augen auch ein wirtschaftlicher Aufschwung für den Obervinschgau. Ich kann in diesem Zusammenhang die Meldungen der Umweltverbände nicht gelten lassen, dass wir uns dagegen sträuben müssen. Und ich verstehe die Abwehrhaltungen mancher Akteure vor Ort nicht. Wenn man bedenkt, dass im Obervinschgau ein Potenzial von Nischenkulturen in einem Ausmaß von 1000 Hektar vorhanden ist. Bei einer traditionellen Wirtschaftsweise, das hoch gepriesene Getreide eingeschlossen, kommt ein maximaler Bruttoerlös von ca. 5000 Euro pro Hektar heraus. Wenn ich eine Spezialkultur hernehme, kommt man auf ca. 25.000 Euro pro Hektar. Wenn man diese Differenz von 20.000 Euro mit den 1000 Hektar multipliziert, kommen 20 Millionen Euro pro Jahr heraus. Mit dieser Wertschöpfung könnten Familien mit kleinstrukturierten Betrieben, wie sie im Obervinschgau durch die Realteilung zu finden sind, aufrecht bleiben und zusätzlich Arbeit geschaffen werden.

Einspruch: Die Umweltverbände wehren sich nicht unbedingt gegen Spezialkulturen, sondern gegen den vermehrten Pestizideinsatz.
Einspruch dagegen: Mag sein. Betrachtet man das Ganze, so läuft es darauf hinaus, dass man keine Veränderungen will. Wenn ich keine Veränderungen will, ist es egal, ob Bio oder konventionell, ob Äpfel, Kirschen oder Erdbeeren. Alles ist nix. Das kann es nicht sein.

Die Landwirtschaft ist eines. Gibt es andere wirtschaftliche Überlegungen?
Wir möchten eine modulare Ausstattung für einen Technologiepark im Vinschgau. Wir haben freie Kasernenareale zwischen Mals, Glurns und Schlanders, wo man durchaus im Bereich Energie, Lebensmittel und Forschung etwas machen könnte. Mit einer schnellen Datenanbindung müsste so etwas dezentral möglich sein. Zum Zweiten: Die Interreg-Phase beginnt 2014-15. Wir haben abwanderungsgefährdete Gemeinden. Der Versuch wird gestartet, diese Gemeinden in Interreg-, in ESF- und in Leader-Programmen stärker zu verankern. Es soll ein sektorenübergreifender Fonds geschaffen werden. Genau diese Problematik wird mit Gottfried Tappeiner besprochen.

Zurück zu einer schnellen Internetanbindung. Es haben nicht alle Gemeinden termingerecht den dafür vorgesehenen Masterplan erstellt. Ist das Thema Glasfaser eine Bezirksangelegenheit?
Die Gemeinde Laas hat den auch noch nicht abgeschlossen. Es bringt nichts einen theoretischen Plan zu haben. Es müssen auch vorhandene Strukturen, wie bei uns die Fernwärmeanschlüsse, berücksichtigt werden. Im heurigen Jahr werden die Vinschger Gemeinden ihren Plan erstellt haben. Die Bezirksgemeinschaft treibt das Vorhaben bei jeder Gelegenheit voran.

Die Mülldeponie in Glurns hat ausgedient. Im Juli soll der Verbrennungsofen in Bozen in den Probebetrieb gehen. Werden die Mülltarife im Vinschgau steigen?
Es ist uns gelungen, den Transport und den Bau der Umladestation in Glurns in den Gesamtkosten des ECO-Centers zu verankern und wir sind beim Verhandeln, dass auch die Führung der Umladestation kostenmäßig rückvergütet wird. Sicher ist, dass die Verbrennung teurer ist als das Deponieren. Deshalb werden die Tarife leicht steigen. Ich schätze um die 10 bis 20 Prozent.
 

Etwas hat für einige Empörung gesorgt. Dass die Verwalter der Bezirksgemeinschaft weiterhin fürstlich entlohnt werden, hat man per Regionalgesetz geregelt, obwohl das staatliche Gesetz keine Vergütung, bei einer Doppelfunktion, vorgesehen hat.
Das wird so sein. Ich vertrete nach wie vor die Meinung, dass man die Regeln während des Spiels nicht ändern soll. Im Vinschgau haben wir auf 7 Prozent der Vergütung verzichtet.

 


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