Von allen einfach „Korl“ genannt, kam Karl Riml im Jahr 1945 in Meran zur Welt, in seinen Papieren steht heute noch der Name „Carlo Riml“. Als Kind eines Knechtes und einer Magd lebte er in den ersten Lebensjahren stets an verschiedenen Orten, meistens auf Bauernhöfen des Partschinser und Naturnser Sonnenberges. Zur Einschulung musste dann schließlich ein Ort für die Kinder gefunden werden und so kam Karl zusammen mit seiner jüngeren Schwester Martha auf den Kronbichlhof, 30 Gehminuten von Naturns entfernt. Er war damals 7 Jahre, Martha 4 Jahre alt. Aber sie hätten es immer gut gehabt bei der selbst kinderlos gebliebenen Besitzerin des Hofes, die Eltern kamen am Wochenende oft zu Besuch. Sie lebten von nun an zusammen mit der Besitzerin und deren Ehemann und mit anderen aufgenommenen Kindern, anfangs lebten auch noch die alten Bauersleute. Die Schulzeit ist Karl positiv in Erinnerung geblieben, hauptsächlich wegen des Kontaktes zu den anderen Kindern und als Abwechslung zur harten Arbeit. Überhaupt sei viel und hart gearbeitet worden hier am Hof, sagt Karl und es klingt so, als ob es für ihn unverständlich sei, warum man über so etwas Selbstverständliches wie die bäuerliche Arbeit reden oder sich gar in Details verlieren sollte. Viele Arbeiten verrichtet er immer noch wie vor 50 Jahren, die sonst üblichen Veränderungen in der Landwirtschaft scheint es hier nicht gegeben zu haben. Obwohl es draußen in der Sonne so angenehm ist, gehen wir dann doch ins Haus, das Mittagessen auf dem Herd droht anzubrennen. Ich folge Karl in den Hausgang und während er mit schnellen Schritten in der Küche verschwindet, stelle ich fest, dass das von außen so kleine Haus im Inneren doch sehr geräumig ist. Vielleicht täuscht mich aber auch nur die Vorstellung, dass Karl hier ganz alleine wohnt.
Wie in einem typischen Bauernhaus führt der Hausgang gerade nach hinten, geradeaus geht es direkt in den Stall, auf beiden Seiten des Ganges die Türen zu Stube, Küche und den anderen Kammern. Das Inventar der kleinen Küche lässt sich an einer Hand abzählen: Holzherd, Schüsselrahmen mit Kochgeschirr, ein Küchenkasten für die Lebensmittel, Waschbecken mit fließend Kaltwasser und ein Tisch. Hinter dem Tisch auf der Eckbank befindet sich schön ausgebreitet zum Trocknen die Melkmaschine, mitten auf dem Küchentisch liegt ein Pizzakarton, darin eine kalte, aber noch nicht angerührte Pizza. Karl erklärt, die habe ihm tags zuvor am Abend jemand mitgebracht, wegen seiner Zähne konnte er selbst sie aber nicht essen. Er habe noch nie probiert, wie so etwas schmeckt, aber die Leute seien angeblich „gonz norret“ danach.
Überhaupt hätte sich bei der Ernährung sehr viel geändert, heute wird nicht mehr so gekocht wie früher, als man nur Knödel, Muas und Brennsuppe aß. Wenig später sitzen wir am Küchentisch, Karl bei seinem weich gekochten Mittagessen, ich bei kalter Capricciosa. Wir reden weiter. „Muasch holt frogen, wos du wissen willsch“, meint Karl. Nach der Schulzeit stand es eigentlich gar nie zur Debatte, was aus dem Jugendlichen werden sollte. An eigene Wünsche oder Pläne kann sich Karl zurückblickend nicht erinnern. Auch die Einberufung zum Militärdienst konnte verhindert werden und so blieb er dem Heimathof als wertvolle Arbeitskraft erhalten. Seit seinem 17. Lebensjahr war er dort ordnungsgemäß als Knecht gemeldet, was zur damaligen Zeit durchaus keine Selbstverständlichkeit war, ihm aber heute das Auskommen sehr erleichtert. „Sell muass men ihr lossen…“, sagt er anerkennend und meint die 2005 verstorbene Hofbesitzerin, weil das Sagen hätte hier immer sie gehabt, auch gegenüber ihrem Ehemann. Zu Karl war sie auch klar: Eine Frau bräuchte er nicht mit auf Kronbichl zu bringen, weil eine zweite Frau am Hof würde sie nicht dulden. (Karls Schwester Martha hatte den Hof bereits mit 19 Jahren verlassen.) Er entschied sich: „…vor uan nor beade bun di Oahrn ai sumprn, honis asou feiner“ …und blieb alleine. Und mittlerweile sind sie alle verstorben, sagt Karl andächtig. Aber man gewöhne sich an das Alleinsein und schließlich gäbe es ja auch noch die kleine schwarze Hofhündin, die eigentlich „Mourl“ heißt, aber von Karl immer nur „Schatzi“ gerufen wird. Wenn es ihm trotzdem zu einsam wird, dann nimmt er seinen Rucksack und macht sich auf in Richtung Dorf, „unter die Leute“, wie er sagt. Zum Einkaufen, in die Kirche oder auch mal zum Jahrgangstreffen. Als auch ich mich wieder auf den Weg talwärts mache, wird mir das übrig gebliebene Stück Pizza noch sorgfältig in einer Plastiktüte verpackt. Der Hund würde das sicher auch mögen, aber den soll man ja nicht verwöhnen, meint Karl, während er sich wieder seine Pfeife stopft.
Martin Fliri