Franz-Tumler-Literaturpreis – Die Nominierungen: Teil 2
Irina Kilimnik:
Sommer in Odessa.
Kein & Aber, 2023.
Irina Kilimniks Debütroman Sommer in Odessa ist für den Franz-Tumler-Literaturpreis 2023 nominiert. Er spielt im Jahr 2014, als Russland die Krim annektiert. Die Autorin führt ihrem Lesepublikum eine Familie vor Augen, deren Leben um den Großvater kreist. Dieser ist überzeugter Kommunist und mischt sich regelmäßig in die Angelegenheiten seiner Angehörigen ein. Er fungiert als Patriarch, dessen Wünsche und Anordnungen erfüllt werden müssen. Trotz aller Bemühungen macht er keinen Hehl daraus, dass er lieber einen männlichen Nachkommen hätte als drei Töchter und vier Enkelinnen. Dennoch ist er aber auf seine Enkelin Olga stolz, da sie seinem Willen folgt und Medizin studiert. Sie ist die Ich-Erzählerin und beschreibt ihr Studium als wenig interessant. Die mäßige Begeisterung für ihren zukünftigen Beruf teilt sie mit ihrem indischen Kommilitonen Radj. So wird ersichtlich, welch hohen Stellenwert die Themen (familiäre) Zusammengehörigkeit und Freundschaft im Buch einnehmen. Es ist nämlich einerseits als Familienroman ausgelegt, kann aber andererseits auch als Anspielung auf das Zusammentreffen verschiedener Kulturen gelesen werden. Hierbei wird deutlich, dass Letzteres nicht immer unkompliziert verläuft. Die Mutter von Olgas bester Freundin, Mascha, ist beispielsweise eine Anhängerin der ukrainischen Kultur, während der Vater an der russischen Lebensweise festhält. Dadurch wird angedeutet, dass Odessa sowohl ukrainisch als auch russisch geprägt ist. Neben kulturellen bzw. politischen Spannungsverhältnissen kommt es auch zu zwischenmenschlichen Herausforderungen. Als David, der älteste Freund des Großvaters, zu dessen fünfundsiebzigsten Geburtstagsfeier auftaucht, wird die vorherrschende Familienordnung in Frage gestellt und ein lang gehütetes Geheimnis droht gelüftet zu werden. Gewohntes gerät ins Wanken und neue Perspektiven eröffnen sich. Gelingt es Olga nun einen neuen selbstbestimmten Lebensweg einzuschlagen? Was wird aus Odessa? Inmitten dieser Aufregungen gelingt es der Autorin immer wieder humorvolle Passagen einzuknüpfen und dadurch für ein spannendes Leseerlebnis zu sorgen.
Kathrin Renner
Über die Autorin
Irina Kilimnik wurde 1978 in der Hafenstadt Odessa (Ukraine) geboren. Sie kam 1993 nach Deutschland, wo sie später Humanmedizin und Mediapublishing studierte. 2015 wurde sie mit zwei Preisen beim MDR-Literaturwettbewerb ausgezeichnet.