Alle reden über das Klima und von Nachhaltigkeit. Klimaschutz wird zur Existenzfrage für die Menschheit. Wir stehen vor einer großen Transformation, einem großen Wandel, vielleicht dem größten Umbruch der Menschheit. Der Wandel wird kommen. Die Frage ist nur: wird er von uns Menschen gestaltet oder liefern wir uns dem Wandel der Natur aus. Die Klimaerwärmung gefährdet die Zukunft der Menschheit. Klimaschutz kostet viel Geld, die ungebremste Klimaerwärmung wird noch teurer. Deshalb wurde auf der UN-Klimakonferenz (COP21) im Pariser Abkommen im Jahre 2015 die historische Übereinkunft getroffen: „Vorrangiges Ziel ist es, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu beschränken“. Am 25. September 2015 wurden auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2015 in New York die „17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“ von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Mit diesen beiden Dokumenten wurde der Weg der Transformation in eine nachhaltige Entwicklung festgelegt. Seitdem hat sich einiges bewegt. Fridays for Future (FFF) ist zu einer globalen Jugendbewegung geworden, welche sich für umfassende, schnelle und effiziente Klimaschutz-Maßnahmen einsetzt. Durch den europäischen Grün Deal (European Green Deal, EGD) haben sich die 27 EU-Staaten dazu verpflichtet, die EU bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Die Emissionen sollen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 gesenkt werden. Die EU will deshalb bis 2030 insgesamt 1.000 Milliarden Euro investieren, um den Übergang zu einer ressourceneffizienten Wirtschaft zu finanzieren. Auf den seit 1995 jährlich stattfindenden UN-Weltklimakonferenzen werden die weiteren Maßnahmen besprochen. Die letzte Klimakonferenz war vom 31.10. bis 12. 12.2021 in Glasgow (COP26). Italien hat einen Wiederaufbauplan (Recovery Plan) beschlossen. In den nächsten fünf Jahren werden rund 250 Milliarden Euro investiert. Auf allen Ebenen (Staat, Region, Gemeinde) werden Investitions- und Umbaupläne geschmiedet und Programme entwickelt, um jedes Land nachhaltiger und klimaneutraler zu machen. Neben dem Klimawandel gibt es noch weitere globale Herausforderungen: Migration, Artensterben und die Corona-Pandemie. Es gibt viele Bücher, Tagungen und Initiativen zu all diesen Themen.
Auch in Südtirol gibt es viele Initiativen, u.a. die „Toblacher Gespräche“, im Vinschgau die „Churburger Wirtschaftsgespräche“ und die „Marienberger Klausurgespräche“, die sich seit Jahren mit wichtigen Zukunftsfragen beschäftigen. Bei den 32. Toblacher Gesprächen vom 1. bis 3. Oktober 2021 stand das Thema „Wie grün ist der europäische Green Deal?“ im Mittelpunkt. Die 25. Marienberger Klausurgespräche vom 14. bis 16. Oktober beschäftigen sich mit dem Thema „Der Wert des Teilens. Der Preis der Zukunft“ und bei der 36. Ausgabe der internationalen Churburger Wirtschaftsgespräche am 15. und 16. Oktober ging es um die Thematik „(Un)Gleichheit neu denken“. Südtirol hat einen Klimaplan (https://www.klimaland.bz/) und will diesen überarbeiten, um das Land insgesamt bis 2030 zu 90 % klimaneutral zu gestalten (Seite 27 KlimaPlan Energie – Südtirol 2050 Update 2021). Es gibt auch eine unabhängige Allianz von Bürger:innen, die sich dafür einsetzen, dass in Südtirol die Transformation zu einer nachhaltigen, krisenfesten und solidarischen Gesellschaft in einem partizipativen Prozess gestaltet wird. Die Initiative nennt sich „Zukunftspakt für Südtirol – Patto futuro“ (https://zukunftspakt-pattofuturo.org/) und möchte einen Nachhaltigkeitsplan erarbeiten. Außerdem gibt es das Südtiroler Netzwerk für Nachhaltigkeit (www.future.bz.it) der Organisation für Eine solidarische Welt. Persönlich war ich bei den Toblacher Gesprächen und den Marienberger Klausurgesprächen dabei. Ideenreich finde ich das Buch „Unsere Welt neu denken“ von Maja Göpel, der deutschen Transformationsforscherin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin.
Wegmarken auf der Straße der Nachhaltigkeit
Postwachstum: „Eine Wirtschaftsweise, die in einer begrenzten Welt mit endlichen Ressourcen auf stetes Wachstum setzt, ist nicht nachhaltig“ (Göpel S. 96). Um den Ressourcenverbrauch, die Treibhausgase, den Flächenverbrauch und die Umweltbelastungen zu reduzieren und die Artenvielfalt zu stärken ist eine Verkehrswende, Energiewende, Ernährungswende, eine Wende in der Landwirtschaft und Bauwirtschaft notwendig. Unser Wachstumsmodell ist nicht fortsetzbar.
Kipppunkte, Kultur des Aufhörens: Kipppunkte beschleunigen den Klimawandel und lassen sich, einmal angestoßen, nicht mehr umkehren. Die Zunahme der CO2-Emissionen, das Abschmelzen der Gletscher, die Abholzung der Urwälder, das Auftauen der Permafrostböden, der Verlust der Artenvielfalt führt zu Kettenreaktionen mit weitreichenden Folgen. Harald Welzer, der bei den Marienberger Klausurgesprächen online zugeschaltet war, meint, dass wir eine Kultur des Aufhörens entwickeln müssen. Wir müssen weg von der Wachstumsideologie, der Wegwerfgesellschaft und der Ausbeutung und Zerstörung der Natur.
Zero Waste, Kreislaufwirtschaft: Zero Waste bedeutet „Null Müll“. Es geht um einen Lebensstil bzw. eine Wirtschaftsweise ohne Müll zu produzieren. Dabei muss bei folgenden vier Feldern Müll reduziert werden: Verpackungsmüll, Plastik/Kunststoff, Elektroschrott und Lebensmitteln. Es gibt eine Zero Waste-Bewegung, die ein Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse, den Umweltschutz und ein bewusstes Konsumverhalten schaffen will. Die Kreislaufwirtschaft ist ein Modell zur Förderung der lokalen Kreisläufe. Dabei werden Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast, wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt. Es ist das Gegenteil einer Wegwerfgesellschaft. Auf diese Weise wird der Lebenszyklus der Produkte verlängert. Die lokale Wirtschaft wird gefördert, Ressourcen werden geschont, lange Transporte und Abfall werden vermieden.
Dekarbonisierung, vier F: Mit Dekarbonisierung ist der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen Öl, Gas und Kohle gemeint, Ausstieg aus der Kohleförderung und der Abschied vom Verbrennungsmotor. Der Umstieg von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien ist eine wichtige Maßnahme, um Klimaneutralität zu erreichen. Maja Göpel spricht von den „vier F“: Fliegen, Fleisch, Fummel (Kleidung) und Finanzen. Vor allem in diesen vier Bereichen gilt es sehr stark zu reduzieren bzw. es zu vermeiden. Geldmittel sollten für nachhaltige Projekte eingesetzt werden.
Greenwashing, Elektromobilität, grüne Technik: Greenwashing ist eine Bezeichnung für einen Etikettenschwindel. Gemeint sind PR-Methoden, die darauf abzielen, einem Unternehmen in der Öffentlichkeit ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image zu verleihen. Auch die Elektromobilität wird nicht als Lösung in eine nachhaltige Mobilität gesehen. Emissionen werden zwar reduziert, auch Lärm, aber der Ressourcen- und der Platzverbrach wird nicht reduziert. Ulrike Herrmann meinte bei den Toblacher Gesprächen, dass wir vom Flugverkehr und vom Individualverkehr weg müssen. Beides hat keine Zukunft. Viele Menschen glauben, dass die Probleme des Klimawandels technisch lösbar sind, ohne dass wir unseren Lebensstil ändern müssen. Die meisten gehen aber davon aus, dass es nicht genügt, die Industrie nachhaltig umzubauen, sondern dass wir unseren Lebensstil und unsere Wirtschaftsweise grundlegend ändern müssen.
Externalisierung, Ökozid: Externalisierte Kosten sind Kosten, die von Produzenten und Konsumenten verursacht, aber von der Gesamtgesellschaft getragen werden. Wir sind zu einer Externalisierungsgesellschaft geworden, d. h. Umweltkosten bzw. Folgekosten Einzelner bezahlen die Gemeinschaft, andere Länder oder zukünftige Generationen. Mit dem Begriff Ökozid ist eine massive Umweltzerstörung, bzw. die Zerstörung natürlicher Gemeingüter gemeint. Es gibt Bestrebungen, den Ökozid im internationalen Strafrecht zu verankern. Für schwere Umweltschäden könnten dann einzelne Personen verantwortlich gemacht werden, so wie das bei einem Genozid (Völkermord) schon heute der Fall ist.
Rebound Effekt, Easterlin Paradox: Mit Rebound-Effekt (auch Rückschlag- oder Bumerang Effekt) meint man, dass der Spareffekt durch Effizienzsteigerungen durch den ansteigenden Massenverbrauch zunichte gemacht wird. D. h. dass man nach kurzfristigen Erfolgen, langfristig genau das Gegenteil von dem erreicht, was man erreichen will. Richard Easterlin hat festgestellt, dass ab einem bestimmten Einkommen die Zufriedenheit nicht steigt. Das „Easterlin Paradox“ besagt, dass immer mehr haben nicht automatisch glücklicher macht. Wir müssen uns klar werden, was benötigen wir wirklich und was brauchen wir für ein gutes Leben? Auf vieles können wir verzichten.
Verzicht, kategorische Imperativ in Zeiten des Klimawandels: Maja Göpl meint, dass wir nur auf etwas verzichten können, das uns zusteht. Verzichten heißt, darauf verzichten, den Planeten zu ruinieren und die Lebensgrundlagen zu erhalten. Wir leben nicht über unsere Verhältnisse, sondern über die Verhältnisse der anderen. Deutschland hat am 5. Mai 2021 den Überlastungstag (Overshoot Day) erreicht. D. h. dass bereits im Mai alle für das Jahr 2021 zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen aufgebraucht waren. Deshalb braucht es nach Göpel einen kategorischen Imperativ in Zeiten des Klimawandels: „Konsumiere so, wie du dir wünschen würdest, dass alle es tun“ (S. 134).
Klima, Gerechtigkeit, Demokratie: Nach Joseph Stiglitz befindet sich die Welt heute in drei existenziellen Krisen: Klima, Ungleichheit und Krise der Demokratie. Umweltfragen sind immer Verteilungsfragen und Verteilungsfragen sind Gerechtigkeitsfragen. Deshalb kann man die ökologische Frage nur lösen, wenn man auch die sozialen Fragen löst. Das meint auch Papst Franziskus in seiner Umwelt-Enzyklika „Laudato si“.
Neues Narrativ, eine positive Zukunftserzählung: Seit 50 Jahren, seit 1972 „Die Grenzen des Wachstums“ als Buch vom Club of Rome veröffentlicht wurde, wird mit Fakten aufgezeigt und gewarnt. Und es hat zu keiner Umkehr geführt. Deshalb meint Harald Welzer braucht es eine neue Vision, eine neue Utopie, ein neues Narrativ. Es braucht eine positive Zukunftserzählung über ein nachhaltiges und solidarisches Leben im Einklang mit der Natur für uns alle auf der Welt. Dabei müssen wir unsere Rolle als Teil der Natur, als Teil der Völkergemeinschaft und als Teil der Geschichte finden und gestalten.
Heinrich Zoderer