Bauen & Wohnen
Es zieht die Blicke auf sich, das Strohhaus, das derzeit in Rabland entsteht. Anstelle von Ziegeln stapeln sich 2,5 Meter lange, 1,20 Meter breite und 70 Zentimeter hohe Strohballen versetzt übereinander. Ein solcher Ballen wiegt !Achtung 300 Kilogramm. „Die Ballen sind wie große Mauerziegel oder auch überdimensionale Legosteine“, sagt Michael Reichegger. Der junge Vinschger Architekt von der Architekturgemeinschaft 15 in Schlanders ist fasziniert von ökologischen Baumaterialien und legt großen Wert auf Nachhaltigkeit und Ökologie. „Es muss in der nächsten Zeit immer mehr um Themen der Nachhaltigkeit und Energieeinsparung gehen. Wo man beim Bauen ansetzen kann, ist z.B. auch das Dämmmaterial. Viele Dämmungen sind in der Herstellung und während der Bearbeitung gesundheitsschädlich und produzieren häufig problematischen Sondermüll. Es gibt hier viele Alternativen und zu den interessantesten zählen mit Sicherheit Strohballen.“
In den meisten Fällen werden die Strohballen als Kleinballen in eine Holzrahmenkonstruktion eingebaut und fungieren so als Dämmung. Mit dieser Bauweise entstehen Außenwände mit einer Mauerstärke von ca. 40 - 45 Zentimeter, die mühelos die vorgeschriebenen Dämmwerte für ein Klimahaus A erreichen. Eine seltenere Variante ist das Bauen mit großen Strohballen. In Rabland hat sich genau diese Bauweise aber für die Gegebenheiten vor Ort und die Wünsche der Baufrauen und des Architekten angeboten. Natürlich brauchen die 1,20 Meter breiten Strohballen mehr Platz als ein klassisches Mauerwerk und verringern die Wohnfläche. Doch diesem Nachteil stehen eine Reihe von Vorteilen gegenüber. Stroh ist umweltfreundlich, hat einen ausgezeichneten Dämmwert, eine sehr gute Wärmespeicherfähigkeit und eine gute Schalldämmung. Oft ist der Baustoff regional verfügbar. „Auf viele Fragen, die anfangs auftreten, kann man auf ähnliche Materialien wie die Holzfaserdämmung verweisen. Aus dem Blickpunkt der Bauphysik ist Stroh mit einer Holzfaser vergleichbar“, sagt Reichegger. Stroh braucht in seiner Herstellung äußerst wenig Energie, ist in dieser Disziplin sogar Weltmeister. Im Grunde ist es ein Abfallprodukt, das deshalb auch günstig in seiner Anschaffung ist. Die Strohballen kommen direkt vom Feld. Allerdings muss auf verschiedene Qualitätsmerkmale wie Feuchtigkeit, Lagerung, Anteil von Gräsern und Restkornanteil, Kompaktheit und Pressung sowie Bindung der Ballen geachtet werden. Damit Feuchtigkeit und Ungeziefer nicht in die Strohballen eindringen können, werden diese „eingepackt“ - sprich verputzt.
In Rabland werden in den nächsten Wochen die Wände mit Kalktrass verputzt. Innen wird eine zusätzliche Schicht Lehm angebracht. „Die Strohhalme werden beim Erntevorgang geschnitten. Dadurch werden die Hohlräume der Strohhalme, ähnlich einem Trinkhalm, im Ballen übereinander geschichtet“, erklärt Reichegger. Wird die Strohfassade verputzt - am besten mechanisch, also mit der Maschine - so verzahnt sich der Putz mit den hohlen Strohhalmen und den Zwischenräumen dermaßen gut, dass er zusätzlich eine statische Funktion übernimmt. „Die Wände des Strohhauses werden durch das Verputzen viel robuster.“
Ein Teil der Gebäudelasten wird über die Strohballen abgetragen. Diese setzen sich um einige Zentimeter bis sie auf die zwischen den Ballen stehenden Holzelemente aufliegen. Die restlichen Lasten werden dann über die Massivholzelemente abgetragen. Reichegger: „Bei dieser Konstruktion kann man von einer teillasttragenden Bauweise sprechen, wobei die Holzstruktur so bemessen wurde, dass sie theoretisch das gesamte Gewicht des Gebäudes übernehmen könnte.“
Der Putz, der einige Zentimeter dick ist, garantiert ein hervorragendes Wohnklima und bietet zusätzlich einen ausgezeichneten brandtechnischen Schutz. „Studien haben ergeben, dass dicht gepresstes Stroh ähnlich wie Holz reagiert und bei Brandtests langsam verkohlt und nicht lichterloh brennt.“
Der Strom kommt von der Photovoltaikanlage vom Dach und wird soweit wie möglich direkt genutzt. In den Sommermonaten wird der „Überschuss“ eingespeist, um in den Wintertagen wieder vom Netz geholt zu werden.
Die ausgezeichnete Dämmung und Wärmespeicherung sowie die direkte Sonneneinstrahlung sollen dafür sorgen, dass die Heizung nahezu überflüssig wird - was bei vergleichbaren Bauten bereits bewiesen wurde. Im Erdgeschoss wird nichtdestotrotz ein kleiner Ofen im Wohnbereich eingeplant, der bei langen Schlechtwetterperioden und großer Kälte Behaglichkeit garantiert.
Das Strohhaus in Rabland zählt zu den rund 15 Häusern aus Stroh, die bisher in Südtirol - vornehmlich von der Psairer Architektin Margareta Schwarz - realisiert wurden.
Experiment ist es trotzdem keines. Denn die Strohhaus-Technik ist eine bewährte. In Europa gibt es bereits einige tausend Strohhäuser – Tendenz stark steigend. In Frankreich etwa steht ein über 100jähriges Strohhaus, das zeigt: Altbewährtes hält lange und wird in Zukunft verstärkt nachgefragt sein. Und sollte ein Strohhaus einmal umgebaut oder abgebrochen werden, so fällt kaum problematischer Sondermüll an. Im besten Falle kann das Gebäude – ähnlich wie bei den historischen Bauten – direkt vor Ort in die natürlichen Kreisläufe wieder rückgeführt werden. (ap)