Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Thomas von Aquin, 28. Jänner 2021
Vor einigen Wochen habe ich einen besorgten Anruf meiner vormaligen Zeichenlehrerin Anna Wielander bekommen, ob ich ihr helfen könnte, eine rodungsgefährdeten Apfelbaum-Methusalem der Sorte Edelroter zu retten. Der Altbauer, bei dem sie sich seit Jahren mit biologischen Äpfeln dieser Sorte eindeckt, hatte er im Herbst gesagt, dass es wahrscheinlich die letzten Edelroten seien, weil der Baum im Hofraum gerodet werden sollte. Dieses Fallbeispiel eines Baummonumentes gibt mir Gelegenheit, ein paar weiträumigere Dimensionen von Biodiversität, Nachhaltigkeit und naturnaher Landwirtschaft zu beleuchten.
Genetische Biodiversität erhalten
In ihrem Bestseller „Die Menschheit schafft sich ab“ (Knaur Taschenbuch 2018) schreiben Harald Lesch und Klaus Kamphausen auf S. 254: „Die moderne globalisierte Landwirtschaft ist ein gravierender Faktor, der zum weltweiten Artenschwund beiträgt. Lebensräume gehen verloren, Tier- und Pflanzenarten verschwinden, landwirtschaftlich genützte Rassen und Sorten werden verdrängt. Die aktuelle Rate des globalen Artensterbens übersteigt die angenommene natürliche Aussterbungsrate um das bis zu tausendfache. Der Verlust der Biodiversität bringt nicht nur einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden mit sich, sondern stellt auch eine Bedrohung für die Ernährungssicherheit dar. Die Industrialisierung der Landwirtschaft hat zu einer extremen Artenverarmung bei den Nutzpflanzen geführt. In den vergangenen 100 Jahren sind 75% der Artenvielfalt verschwunden. In den Vereinigten Staaten sind es bereits über 90 Prozent. In Asien wurden früher etwa 30.000 verschiedene Reissorten angebaut. Nach der grünen Revolution (seit Mitte der 1960-er Jahre) beherrschen nun lediglich zehn Reissorten drei Viertel der Anbauflächen.
Bei den Nutztieren ist die Situation ähnlich dramatisch. Nach Angaben der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) stirbt weltweit pro Woche eine Nutztierrasse aus. Die (Welternährungsorganisation) FAO hat in ihrem Bericht zu tiergenetischen Ressourcen mehr als 7.500 Schweine-, Rinder-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelrassen untersucht. Das Ergebnis: 20 Prozent der Rassen stehen kurz vor dem Aussterben, zwei Drittel davon sind lokale Rassen mit hoher genetischer Anpassungsfähigkeit. Weltweit bilden heute nur noch rund zehn Pflanzenarten und fünf Nutztierrassen die Basis für die globale Ernährung.“
Obstanbau
Im Obstanbau ist seit den 1960-er Jahren die Intensivierung und Umstellung vom Streuobstbau in Mähwiesen mit Doppelnutzung auf Intensivkulturen mit Niederstämmen und Stützgerüsten in Reih und Glied auch im Unter- und Mittelvinschgau sehr schnell abgelaufen. Die ökologische Literatur bezeichnet diesen Umstellungsprozess als „grüne Revolution“. Es ist unbestritten, dass die Umstellung von der viehhaltenden Landwirtschaft auf den Obst-, Gemüse- und Weinbau dort, wo diese Kulturarten möglich sind, Wohlstand auf der einzelbetrieblichen Ebene wie auf der volkswirtschaftlichen gebracht hat.
Mit dem Umschneiden von hochstämmigen Birn- und Apfelbäumen und dem Roden von Streuobstwiesen verlieren nicht nur unsere Dörfer und das Landschaftsbild, sondern es gehen auch Lebensräume von Tieren und Pflanzen zugrunde. Ausgeräumte Landschaften sind verarmte Landschaften. Monokulturen sind schädlingsanfällig. Überdüngte Böden gefährden unser Grundwasser. Pestizideinsatz macht ein gut nachbarschaftliches Verhältnis von Obst- und Gemüsebau mit Grünlandwirtschaft und Getreideanbau schwierig.
Unbestritten ist heute auch, dass durch die menschengemachte Verstärkung des Treibhauseffektes ohne unsere radikale Verhaltensänderung das Weltklima spätestens in 30-50 Jahren Kipppunkte erreichen wird, die nicht mehr umkehrbar sind. Weltumspannende Warentransporte müssen aus Gründen der Emission von Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Energieträger drastisch zurückgeschraubt werden, wenn wir unseren Planeten nicht weiter stark aufheizen wollen.
Sortenverlust
Der immer öftere Anbau von immer mehr Klubsorten mag kurzfristig Ertragssteigerung und Wohlstand bescheren, ökologisch nachhaltig ist er aber nicht. Er verstärkt die Abhängigkeit der auf ihre Freiheit so stolzen Bauern von wenigen Saatgutkonzernen und Baumschulmonopolisten. Noch einmal ein Blick über den engeren Zaun unserer Heimat hinaus mit Harald Lesch und Klaus Kamphausen: „Momentan setzt man seitens der Politik und Wirtschaft auf eine weitere Technisierung, Spezialisierung und Zentralisierung der Landwirtschaft, die insbesondere durch einen verstärkten Einsatz biotechnologischer Methoden gekennzeichnet ist. … Die Folgen sind zunehmende Marktmonopolisierungen und immer mehr patentrechtlich geschütztes Saat- und Zuchtgut. Bereits heute hat weniger als eine Handvoll Konzerne mehr als 95 Prozent der Saatgutpatente. Es steht zu befürchten, dass die globale Ernährung künftig in den Händen einiger weniger Agrar- und Lebensmittelkonzerne liegt.“ Von weltweit 20.000 Apfelsorten haben gerade noch einmal 25 eine wirtschaftliche Bedeutung. Um 1900 gab es beispielsweise in der Schweiz 3.000 Obstsorten, heute sind es ca. 2.000.
In Südtirol steuert gottlob der Verein Sortengarten Südtirol, das Versuchszentrum Laimburg und die Südtiroler Bäuerinnen-Organisation mit dem Sammeln alter Sorten etwas gegen den Sortenverlust.
Im letzten Jahr hat ein nur 80 – 140 Nanometer großes Virus viele unserer menschlichen Versorgungsansätze und -systeme aus den Angeln gehoben. Ein Nanometer ist ein Millionstel Millimeter. Der Klimawandel zwingt uns zu anderen Ansätzen als jene von Monokultur und Intensivierung. Ansätze zu mehr Autarkie, die Rückkehr zu größerer Selbstversorgung, Wirtschaften in kleinen und geschlossenen Kreisläufen, weniger Marktabhängigkeit sind keine Rückschritte konservativer Gestriger oder illusorischer Träumer.
Regionalität hat Zukunft
Wenn wir das Welternährungsproblem für geschätzte 9 Milliarden Menschen im Jahr 2040, die Eingrenzung der Erderwärmung und des Verlustes an Biodiversität globaler reflektieren, dann sind, noch einmal mit Harald Lesch und Klaus Kamphausen gesprochen, Kernpunkte für eine weltweite Ernährungssicherheit:
• Regionalität
• Kreislaufwirtschaft
• Sozialstandards
• Ökologische Produktion
• Ernährungssouverenität
• Ernährungsgerechtigkeit.
Und Ziel ist die Verwirklichung von:
• Nachhaltigkeit
• Naturnahe, mittlere Technologien
• Das Prinzip der Verantwortung
• Verbindung von Regionalentwicklung und Globalisierung
• effizientes Wirtschaften
• Gesundheit
• Marktfähigkeit
„Die Land- und Lebensmittelwirtschaft von morgen kann nur dann die Welt ernähren, wenn sie ökonomische, ökologische und soziale Werte zugleich verwirklicht.“ (H. Lesch, K. Kamphausen, S. 264).