Die Traurige (mater dolorosa), die über den Dingen stehende (weise Jungfrau), die in sich stimmige (wunderbare Mutter), und die geheimnisvoll sinnliche (rosa mystica, Pforte des Himmels). Dieser Frau gelingt zudem noch das unglaubliche Kunststück, die grundverschiedenen antiken Göttinnen in einer Person zu binden: Diana, Demeter, Isis und Venus. Zu ihren interessantesten und rätselhaftesten Ausformungen gehört die sogenannte „Schwarze Madonna“. Diese Frau, deren Herkunft wir vergessen haben, steht im Mittelpunkt bedeutender Wallfahrtsorte wie Czenstochow, Montserrat, Oropa, Altötting, Einsiedeln und Loreto. Zur „Virgen Morena de Guadalupe“, La Morenita, Mexikos Nationalpatronin (sollte eigentlich heißen Nationalmatrone), ziehen jedes Jahr hunderttausende Menschen, ihre Wohnstätte ist eine der größten und bedeutendsten Wallfahrtsziele der Welt.
Weder der offiziellen Kirche noch der Kunstgeschichte ist es gelungen, die Verehrung der Schwarzen Madonnen einerseits zu verhindern oder zu unterbinden, andererseits sinnvoll zu interpretieren. Von Seiten der Kirche hieß es lange Zeit, die schwarze Farbe des Gesichts und der Hände stammte vom Rauch der geopferten, also angezündeten Kerzen. Diese Begründung konnte nur ein Unfug sein, und ist inzwischen auch als solcher erkannt worden. Andere Erklärungsversuche sehen eine Bibelstelle als Ausgangspunkt (nigra sum, sed formosa), glaubhafter jedoch erscheint es, in dieser Figur eine Nachwirkung des antiken Göttinnenkultes zu sehen, jenseits von Kirchenlatein und offiziellem Kanon. Die ältesten, uns noch bekannten Schwarzen Madonnen (vierge noir) stammen aus dem 11. und 12. Jahrhundert. Das Hauptverbreitungsgebiet ist Süd- und Zentralfrankreich. In Italien zählt die Madonna Nera di Loreto zu den maßgeblichen Ikonen Europas, deren Bild sich über Imitation und Repliken weit verbreitet hatte. Von der Schwarzen Madonna di Oropa (Piemont) wird erzählt, sie sei vom Evangelisten Lukas eigenhändig geschaffen und schon im 4. Jahrhundert in die Berge bei Biella gekommen. Das heißt nichts anderes, als dass sie dort schon vor den Missionaren angekommen war. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Heiligtümer und Kapellen, in denen diese Frau verehrt wird, so zum Beispiel die „Madonna della Bruna“ in Matera (Basilikata), die am 2. Juli jeden Jahres während eines äußerst altertümlichen und bizarren Umzuges durch die Stadt getragen wird.
Eine weitere stilbildende Figur ist die Schwarze Madonna der Benediktinerabtei Einsiedeln. Das Gnadenbild sei angeblich von einem Restaurator 1803 gereinigt, von „Schmutz und Ruß“ befreit, und wieder mit heller „Fleischfarbe“ angemalt worden. Diese radikale Verwandlung ließen sich die Gläubigen jedoch nicht gefallen, und so musste der Lieben Frau ihre ursprüngliche schwarze Farbe wieder zurückgegeben werden.
In der Hauskapelle des Ansitzes Plawenn, heute Adresse der Gemeinde Schlanders, befindet sich ebenfalls eine Schwarze Madonna (Morenita de Silandro), deren Typus gewisse Ähnlichkeiten mit der Schwarzen Madonna von Einsiedeln hat (Benediktinerkloster im Kanton Schwyz). Künstler und Entstehungsjahr sind unbekannt, wahrscheinlich aber von den Herren oder Damen von Plawenn um 1714 in Auftrag gegeben. In der Kapelle von Maria Saalen bei St. Lorenzen befindet sich eine ähnliche Figur, während andere Beispiele in Südtirol entweder zum Typus der Madonna di Loreto, wie in Klausen oder Winnebach, oder jenem von Altötting (HeiligGrabKirche Innichen) gehören.
Eine weitere, gleich interessante wie liebenswerte Erscheinung „Unserer Lieben Frau“ ist eine Madonna namens „Divina Pastora“, deren Verehrung sich in Europa auf das südliche Spanien beschränkt (Dort vermutlich mit den Gitanos eingewandert). Diese „Göttliche Hirtin“ hätte alle Voraussetzungen, zur Schutzfrau unseres Sonnenberges zu werden. Gewandet in ein Schaffell, an dem Schmetterlinge und glitzernde Steinchen aufsitzen, darüber ein blumenverzierter Mantel, erinnert sie an die mythischen Frauengestalten unserer Gegend, die Pflegerinnen der Haustiere und der Almwirtschaft. Auskunft darüber geben die Erzählungen der „Saligen“ und ein Lied aus Graubünden, das sich mit einer Sennerin auseinandersetzt, ihrem schönen Busen und vollen Butterfass. Unsere ältesten, hiesigen Vorfahren, Jäger Ezzi und die Hirtin/Sennerin Ezzigin, bewohnten und belebten den Sonnenberg, zogen im Frühling auf die Höhen, im Herbst zurück und im Winter hin und her, und wie es aussieht, waren es die Frauen, die damals den Ton angaben, als noch keine Religion, keine Monokultur und keine Massentierhaltung erfunden waren.
Erich Kofler Fuchsberg