Josef Schönauer war von 1961 bis 1989 Dekan in Schlanders. Der Altbürgermeister Dr. Erich Müller verlieh dem Priester am 6. April 1980 die Ehrenbürgerschaft. Ihm folgte als Dekan Dr. Josef Mair; beide Kirchenmänner erwarben sich Verdienste als Denkmalpfleger, unter anderem durch die Erneuerung der Dachstühle in den Türmen und den Kirchendächern.
Das ist nun schon lange her, aber ich erinnere mich noch an Schönauers Frage: „Was würden die Schlanderser machen, wenn der Kirchturm abbrennt?“
Er wollte von mir erfahren, ob die Bürger imstande oder bereit wären, den eventuellen Wiederaufbau zu finanzieren. Eine aktuelle Frage, besonders wenn wir an den brennenden Dachstuhl von Notre Dame de Paris denken. Das war im Jahr 2019; der etwa 110 Meter hohe brennende Vierungsturm, ein neugotischer Holzbau, beleuchtete die Stadt wie eine himmlische Fackel.
Es gibt nicht mehr viele original gotische Dachstühle. Die meisten Holzkonstruktionen verschwanden im Laufe der bewegten Geschichte. Bei uns wurden die Turmruinen nach den häufigen Bränden meist mit barocken Kuppeldächern oder mit gemauerten Dachpyramiden versehen; davon gibt es hier viele gute Beispiele. Die Türme von Schlanders und Göflan aber sind architektonische Kostbarkeiten der Gotik.
Beim Einstieg in den halboffenen Dachstuhl der Pfarrkirche mit den vielen Leitern und aus Brettern gebildeten Stockwerken kamen mir allerhand Gedanken, so auch Fragen zur Herkunftsgeschichte der riesigen Baumstämme. Die Trägerbalken reichen ohne Unterbrechung in einem Stück vom Frankengiebel bis zur Kugelspitze; das hat anlässlich eines Vortrages ein Fachmann erklärt. Beim Studium in Venedig zeigten seine Professoren besonderes Interesse für unsere riesigen Holzkonstruktionen; auch der Architekt Dr. Lukas Wielander erinnert sich an diesbezügliche Gespräche und Anregungen.
Venedig war schon sehr früh ein Zentrum für Holzverarbeitung. Schiffsbau, Möbelfabrikation, Instrumentenbau ... Musik und Eleganz ... zur Fertigung einer Gondel bedurfte es über 80 verschiedener Holzarten. Danach suchte man überall in den Wäldern, auch im Vinschgau. Holzsucher haben nicht einfach abgeholzt, sie betrieben nachhaltige Waldwirtschaft. Das Wachstum wurde kontrolliert und beobachtet.
Aus Grenzwäldern zwischen England und Schottland haben sich forstwirtschaftliche Aufzeichnungen erhalten, aus denen hervorgeht, dass in großen Zeiträumen geplant wurde. Gleich nach der Schlägerung wurde bereits der Baum für das nächste Jahrhundert ausgewählt.
Nachdem es in den Küstengebieten, also in Holland, dem „Holz-und Waldland“ und im flämischen Belgien kaum mehr brauchbare Bäume gab, musste der Nachschub aus der Eifel oder aus dem Baltikum per Schiff herbeigeschafft werden. Auch die Venezianer betrieben Holzhandel bis nach Ägypten. Holz aus dem Osttiroler Lesachtal wurde über die hohen Karnischen Jöcher geschleppt. Ähnliches wurde vom Harzgebirge überliefert; dabei gelangte die Kunst der Glasbläser in den Norden. Verkehr und Transport als Kulturbotschafter.
Die Gondelbauer schätzten ganz langsam gewachsene, natürliche Gabelungen, in die das Ruder gelegt wurde. Die Gabelung konnte herausgenommen werden, wie der Zündschlüssel im Auto. Das über Jahrzehnte beobachtete Wachstum hat sich gelohnt; das Suchen nach Spezialhölzern - auch aus dem trockenen Vinschgau - ist naheliegend.
Das Suchen nach Kostbarkeiten betreibt der Vinschgerwind nun schon seit 15 Jahren! Nach diesem Artikel über gotische Türme werden ähnliche Themen folgen: Jugendstil und Klassizismus im Vinschgau; Prächtiges Barock im Mittelvinschgau; Erker und Türmchen; Alte und neue Gärten; Adelige und bürgerliche Wohnkultur ... Anregungen und Beiträge werden dankbar angenommen!
Hans Wielander