Zusammengestellt von Heinrich Zoderer
Ja, ja, manchmal bietet uns auch die Natur ihre Stirn
Georg Paulmichl
Wir leben nun in einer Zeit, wo es genügend Zeit für Dinge gibt, für die es sonst keine Zeit gab. Zeit für die Familie, Zeit zum Aufräumen und Verräumen, Zeit für dicke Bücher, alte Fotos und romantische Musik. Vielleicht auch Zeit für ein paar Gedichte.
Winterkälte
Winterkälte herrscht in den Tälern.
Jeder Halm, jeder Busch und jedes Leben friert zu Eise.
Autos bleiben stehen und geben den Geist auf.
Fußgänger verhüllen ihren Körper in warmen Kleidungen.
Die Kälte lässt sich durch niemanden verjagen.
Wehe denen, die schlecht beheimatet sind.
Sie werden die Kälte unerbitterlich spüren.
Rinnende Wasser gefrieren über die Flussdämme hinaus.
Ja, ja, manchmal bietet uns auch die Natur ihre Stirn.
Georg Paulmichl, aus: „strammgefegt“,
herausgegeben 1987, Seite 27
Georg Paulmichl aus Prad, geboren am 18.04.1960 und verstorben am 18.03.2020 hat mit seinen Texten und Bildern viele überrascht und verwirrt, aber auch erfreut. Der Maler und Dichter der Behindertenwerkstatt Prad hatte einen anderen Blick auf die Wirklichkeit. Seine kreativen Wortschöpfungen und Gedankensprünge waren banal und gleichzeitig genial. Wenn man das Gedicht Winterkälte durch ein paar Wörter ersetzt, dann wird es zu einem hoch aktuellen Gedicht, das in wenigen Worten klar formuliert, wie uns die Natur die Stirn bietet und jedes Leben „einfriert“.
Mauern in uns
Wir mahnen zum Frieden
und schicken Gewehre
empören uns über die Gewalt
und stehen zu den Mächtigen
Zäune errichten wir
an geöffneten Grenzen
und ziehen Mauern hoch
in uns selbst
wir führen Gespräche
unter Tauben
und versprechen
was zu halten
wir nicht bereit sind
keine Mühe scheuen wir
die Mühsal von uns zu wenden
und sorgen uns
um uns selbst
Gottlieb Pomella aus: An Land gespült,
herausgegeben 2020, Seite 59
Gottlieb Pomella, geboren 1948 in Kurtatsch, war Lehrer und Schuldirektor in Bozen. Am 24. März wollte er in der Bibliothek Schlandersburg seinen Gedichtband, mit Bildern von Gianni Bodini, vorstellen und einige seiner Gedichte vorlesen. Das Coronavirus hat es nicht ermöglicht. Es sind nachdenkliche Gedichte über das Leben, über unsere guten Absichten und die bösen Taten, über die Liebe und den Tod und die Fremden, welche Kriege und Elend vor unsere Haustür gespült haben.
Un altro mondo
Lassù in alto, oltre i monti
forse c‘è
un altro mondo
ehe noi sogniamo.
Là avanti, oltre il fiume
forse si trova
una grande città
piena di splendore e luci.
La dietro, al di là del confine
forse esistono
altri popoli, che però
in ugual modo vivono e amano.
Perché noi speriamo
sempre e ancora di scoprire
altri mondi, città e popoli
se possediamo già tutto?
Così è l‘ uomo ...
scontento e insoddisfatto
impaziente e costantemente
in spasmodica ricerca.
Ancora non ha capito
che la vita e I‘ amore
sono in assoluto i doni
più belli e preziosi
di questa nostra esistenza!
Eine andere Welt
Dort oben, über den Bergen
Gibt es vielleicht
Eine andere Welt
Von der wir träumen.
Dort vorne, über dem Fluss
Steht vielleicht
Eine große Stadt
Voller Glanz und Lichter.
Dort hinten, jenseits der Grenzen
Existieren vielleicht
Andere Völker
Die aber genauso leben und lieben.
Warum hoffen wir immer wieder
Andere Welten, Städte und Völker
Zu entdecken,
Obwohl wir schon alles erobert haben?
So ist der Mensch ...
Unzufrieden und ungeduldig
Unduldsam und immer
Auf einer krampfhaften Suche.
Noch hat er nicht verstanden
Dass das Leben und die Liebe
Überhaupt die schönsten
Und wertvollsten Geschenke
Unserer Existenz sind!
Giovanna Azzarone, aus: L´arcobaleno dei giorni Der Regenbogen Der Tage, herausgegeben 2019, Seite 38 und 39
Giovanna Azzarone aus Schlanders, hat bereits einen Roman „Il sogno di Lorenz“ und neben diesen Gedichten, außerdem die Gedichtsammlung „I miei pensieri di vita e d`amore“ herausgegeben. Für die Gedichte hat sie mehrere Preise erhalten, unter anderem den Preis der Stadt Catania. Ihr Vater stammt aus Apulien, die Mutter aus dem Veneto. In diesem zweisprachigen Gedichtband schreibt sie über ihre Liebe zum Vinschgau, zu ihrem Heimatdorf Schlanders, über ihr Leben und ihre Gedanken.
Blau
Manchmal
wenn der Nebel fällt
und die zähe Weite
deines fragenden Lächelns
im rötlichen Weich des Ackerbodens
versickert
frage ich mich
im Graugrün der letzten Sonnenstrahlen
wie vollkommen kann ein Leben sein
Verätzung
Eigentlich weiß ich
dass ich
so oft ich auch nach samtiger Stille
wie nach mich zudeckender Erde
lechze
den schweren Hämmern
der stählernen Welt
nicht ausweichen kann
Lorena Pircher, aus: Irrende Welten,
herausgegeben 2018, Seite 84 und 112
Lorena Pircher, Jahrgang 1994, aus Taufers im Münstertal, schreibt in ihrem ersten Gedichtband über ihre Gefühle, Gedanken und Fragen. Es sind farbenreiche Gedichte, mit tiefen Gefühlen und großen Fragen, ausgedrückt in poetischen Sätzen und verschlungenen Gedankenketten. Wie vollkommen kann ein Leben sein und wie können wir uns vor den Hammerschlägen der Welt schützen? Eigentlich wissen wir sehr viel und doch handeln wir nicht.