Der 81-jährige Hans Gruber aus Prad hat viele Jahre seines Lebens als Hirte und Waldarbeiter hoch oben in der Bergwelt verbracht. Umgeben von Jungrindern und Ziegen hat er sich immer besonders wohl gefühlt. „ Denn ma isch jo untern Kuaschwoaf aufgwochsn“, meint er
von Magdalena Dietl Sapelza
Den Hl. Abend feierten Hans und seine Familie auf dem Platzgernunhof am Prader Berg im Schein der Kerzen und Karbid-Lampen sehr bescheiden. Es gab „Köschtasupp“, „Kiachl und Kropfn“ und Nüsse. „Miar hoobm bis in die 1960 Johr koan Strom kopp“, erklärt er. Die Christmette konnte Hans nur besuchen, wenn seine Schwester daheim blieb. Denn beide teilten sich ein Paar genagelte Sonntagsschuhe. Ein Schweinsbraten stand am Christtag auf dem Tisch. Denn kurz vor dem Fest war geschlachtet worden. „Fan Riaßl bis zun Schwoaf hot ma olz verwendet“, unterstreicht er. „Schlochtabfälle hott’s selm koane gebm.“
Den langen Schulweg beschritt Hans in löchrigen Schuhen, die er von seinen älteren Geschwistern „geerbt“ hatte, ansonsten war er meist barfuß unterwegs. Es war auch am Nachmittag Unterricht. Zu Mittag gingen die Kinder ein Stück in Richtung Hof, bis sie auf die Eltern trafen, die ihnen ungefähr auf halbem Weg die „Zwindlhafelen“ mit „Brennttsuppe“ oder „Erdäpfelgreascht mit Plent“ reichten. Bei seiner Erstkommunion im Frühjahr 1945 trank Hans sein erstes „Kracherle“. Das war etwas Besonderes. Auf dem Heimweg waren plötzlich dröhnende Tiefflieger zu hören. Erschrocken suchten er und seine Geschwister Schutz in einen Wasserwaal, bis der Spuk vorbei war. Die Schule besuchten die Kinder vom Berg nur von Allerheiligen bis Mai. Die restliche Zeit wurden sie daheim gebraucht. Denn Heu und Getreide mussten von Hand gemäht und dann in den Stadel getragen werden. Hans hütete meist die Kühe und Kälber im nahen Wald. Müde schlief er dabei oft ein. „Je fauler der Hirt, desto foaster s‘ Viech“, scherzt er. Auf dem Hof war oft ein Tischler auf „Stör“. Dem schaute Hans über die Schultern und begann selbst zu basteln. Vom Vater lernte er das Korbflechten. Sein erstes Geld verdiente er sich als Jugendlicher zusammen mit einem Kollegen als Träger für den Wirt der Schaubachhütte. Zwei bis dreimal am Tag ging’s schwer beladen hin und retour. Bei einer Rast schliefen beide einmal übermüdet ein und wären wohl erfroren, wenn sie nicht von einem Touristenpaar geweckt worden wären. Als eine schöne aber verlorene Zeit beschreibt Hans seinen 18-monatigen Militärdienst. „In dr Sanität unt in dr Kuch in Verona unt Brixen hoobm miar zwor guat gessn, ober nit amol a Packtl Zigaretten in Tog verdiant”, erinnert er sich. Die ersten Schweizer Franken verdiente er kurz darauf als Holzarbeiter in Tarasp. Dann wurde er Knecht im Hotel Zentral in Prad. Sechs Jahre blieb er dort bis ihn Bauern aus Sta. Maria fragten, ob er ihr Jungvieh auf der Alp Selva hüten möchte. Er sagte zu und war dort dann acht Sommer lang Herr über bis zu 140 Tiere. „Di Alp Selvas isch mai zweite Hoamat gweesn“, betont er. „I hon schean verdiant unt di Baurn sein zfriedn gewesn“. Um ihn zu halten, vermittelten die Bauern ihm im Winter eine Arbeit bei Holzarbeiten. Etwas Geld verdiente er sich hie und da auch mit dem Schmuggeln. Als Teil einer kleiner Gruppen trug er 40 kg schwere Säcke mit Zigaretten von Sta. Maria über die Berge bis nach
Stilfs oder Lichtenberg. Die Routen wechselten, um nicht von Finanzern erwischt zu werden. „Passiert isch miar nia nicht, obr oft hon i Feder gkopp“, verrät er. Bei einem Besuch auf dem Prader Valiefhof traf Hans 1973 die 14 Jahre jüngere Maria Niederegger, die er 1976 heiratete und die ihm vier Kinder schenkte. Die beiden richteten sich das Haus in Prad ein, das Hans inzwischen gebaut hatte. Nach und nach kamen Stall und Stadel dazu. Die Familie betrieb eine kleine Landwirtschaft. Hans arbeitete in einer Baufirma und später als Gemeindearbeiter. Er war treibende Kraft beim Aufbau des Kleintierzuchtvereins Prad, den er zehn Jahre lang als Obmann leitete.
Nach seiner Pensionierung 1996 widmete er seine freie Zeit wieder vermehrt den Tieren. 13 Jahre lang hütete er 60 Ziegen - im Frühjahr und Herbst auf den Prader Sand und im Sommer im Stierberg und auf dem Gampen. Dort tauchte 2005 erstmals ein Bär auf und riss einige Schafe. Hans ist kein Freund von Bär und Wolf. „Dia kearn nit do hee, weil z’weni Plotz isch“, bekräftigt er.
Mittlerweile hütet er nur noch seine eigenen zehn Ziegen und die 20 Schafe. Im Stall stehen noch eine Kuh und ein Schwein. Im Sommer hält sich Hans gerne auf der Tanaser Stierhütte auf, wo sein Sohn Michl das Jungvieh hütet. „In di Berg unt im Wold bin i olm gearn“, unterstreicht er.
Den Hl. Abend feiert er im Kreise der Familie noch heute so bescheiden wie einst auf dem Heimathof am Berg.