Im Vinschgau gibt es landesweit die höchste Anzahl von Milchviehalmen. Zwischen Idylle und Aufbruchstimmung sind sie komplexen Herausforderungen wie gesunde Tierhaltung, Rekrutierung von qualifiziertem Almpersonal, Produktion von naturnahen Lebensmitteln, touristischer Nutzung, Rückkehr der Großraubtiere und Erhaltung der Natur- und Kulturlandschaft unterworfen.
von Ludwig Fabi
Der zum achten Mal durchgeführte Erfahrungsaustausch der Almwirtschaft in den Regionen Unterengadin/Val Müstair, Vinschgau und der Bezirke Landeck/Imst ist Zeugnis davon, wie lebendig und bedeutend die Almwirtschaft im Dreiländereck ist. Gefördert wird diese „Almbegegnung“ über den Kleinprojektefond im INTERREG V-A Italien-Österreich Programm. Nach einer Besichtigung der neuen Sennerei „Chascharia“ in Müstair wurde auf der Alp Prasüras über die Alm- und Landwirtschaft im Münstertal informiert, ehe am Nachmittag die Tessanda Handweberei, die Mühle „Muglin Mall“ und das Museum 14/18 in Müstair besichtigt wurden. Das Val Müstair versucht derzeit intensiv das Tal als hochalpines UNESCO-Biosphärenreservat gemeinsam mit dem Schweizerischen Nationalpark zu positionieren, indem das Ziel verfolgt wird, ein sinnvolles Zusammenwirken der Bereiche Gesellschaft, Kultur, Natur, Ökologie und Ökonomie zu gestalten.
Auch die Vinschger Milchviehalmen rüsten sich für die Zukunft und einige Almen investieren dementsprechend. (Siehe Info-Kasten). Wir haben mit Bertram Stecher, zuständig für die Beratung Almen und Direktvermarkter im Südtiroler Sennereiverband über die aktuelle Situation der Almwirtschaft im Vinschgau gesprochen.
Vinschgerwind: Auf wie vielen Almen haben Sie heuer persönlich den Käse verkostet?
Bertram Stecher: Diese Ehre hatte ich auf vielen Almen, es werden wohl zwischen 70 und 80 sein. Es ist ein Glück, dass Käse und vor allem Almkäse zu meinen Lieblingsspeisen gehört.
Vinschgerwind: Was kostet eine Alpung im Durchschnitt?
Bertram Stecher: Die Bewirtschaftung einer Alm, insbesondere einer Almsennerei ist kostenintensiv. Allein die Personalkosten erreichen bei mittleren Kuhalmen schnell die 30.000 € Marke. Dazu kommen Aufwände für Futter, Energie, Betriebsmittel, Produktuntersuchungen und vieles mehr. Auch die Instandhaltung von Geräten, Maschinen und Zufahrtswegen, Zäunen usw., sowie Düngung und Weidepflege verursachen Arbeitsaufwand und Kosten. Ohne öffentliche Förderung wäre Almwirtschaft in der Form, wie wir sie haben, nicht möglich.
Vinschgerwind: Was für Probleme bringt die Rückkehr von Wolf und Bär?
Bertram Stecher: Der Brennpunkt Almwirtschaft und Großraubwild ist bekannt. In der Milchkuhalpung befürchtet man im Moment keine unmittelbaren Auswirkungen, Ziegen- und Schafalmen, aber auch Jungviehalmen stehen vor einem großen Problem, für das man im Moment keine zufriedenstellende Lösung hat.
Vinschgerwind: Warum sind immer mehr „Gastarbeiter“ auf den Vinschger Almen anzutreffen?
Bertram Stecher: Älpler von außerhalb Südtirol gibt es nun schon seit mehr oder weniger 20 Jahren, ich würde aber nicht sagen, dass es „immer mehr“ werden. Vielmehr stellen wir fest, dass es allgemein schwieriger wird, gutes Almpersonal zu finden. Heuer hatten zum Beispiel zwei Milchviehalmen bis kurz vor dem Auftrieb ihr Personal nicht komplett. Die Almen müssen sich zunehmend anstrengen gutes Personal zu bekommen, das heißt sie sind stärker gefordert attraktive Bedingungen zu bieten und auf die Bedürfnisse der Älpler einzugehen.
Vinschgerwind: Wie viele Almen werden dem Kortscher Beispiel der Bio-Alm-Wirtschaft folgen?
Bertram Stecher: An diesem Beispiel kann man die Spiegelung der Entwicklung im Tal für die Almen gut erkennen. Wenn es im Tal mehr biologisch wirtschaftende Milchviehbetriebe gibt, ist zu erwarten, dass auch noch andere Almen zum Bio-Betrieb werden. Das passierte heuer auf der Gonda-Alm in Matsch, die erstmals als Bio-Alm bewirtschaftet wurde und mit über 80 Milchkühen aus Biobetrieben des oberen Vinschgaus bestossen wurde. Die Umstellung der Kortscher Alm auf einen Biobetrieb vor 4 Jahren hingegen hat nicht stattgefunden, weil auf einmal in Kortsch biologisch wirtschaftende Viehbetriebe entstanden sind, sondern weil man gesehen hat, dass es für den Bewirtschafter leichter ist, Bio-Milchkühe für die Alpung zu finden, als Kühe von konventionellen Betrieben.
Vinschgerwind: Also spiegelt die Almwirtschaft die Situation im Tal?
Bertram Stecher: Die Almwirtschaft war schon immer von der Entwicklung im Tal abhängig, sie ist ja in den allermeisten Fällen keine eigenständige Wertschöpfungseinheit wie ein Bauernhof, sondern sozusagen nur ein Außenposten der Berglandwirtschaft. Wenn sich die Landwirtschaft im Tal verändert, ist das zwangsläufig auch auf der Alm spürbar. Wenn es der Viehwirtschaft im Tal nicht gut geht, leidet auch die Almwirtschaft. Die Almwirtschaft ist nicht nur ein Spiegel für die Landwirtschaft, sondern ganz allgemein ein Zeiger für die gesamte Entwicklung und Veränderung im ländlichen Raum.
Vinschgerwind: Der Bauernbund ist bestrebt, dass der Urlauber bei Urlaub auf dem Bauernhof auch Bauernhof bekommt. Erlebt er im Vinschgau noch traditionelle Almwirtschaft mit authentischen Produkten?
Bertram Stecher: Ja, absolut. Ich denke, dass gerade der Vinschgau auf eine sehr lebendige und authentische Almwirtschaft verweisen kann. Man sieht das sehr deutlich durch die konstante Anzahl der aufgetriebenen Tiere. Abgesehen von einigen Ausnahmen im Unter- und Mittelvinschgau steht die landwirtschaftliche Nutzung auf den Vinschgauer Almen nach wie vor im Vordergrund. Dort, wo sich eine touristische Nutzung anbietet, hat sie sich ergänzend und nicht verdrängend dazugefügt. Wenn Alm draufsteht, ist im Vinschgau auch Alm drin. Das ist längst nicht überall so. Nicht zuletzt wird diese Authentizität durch den Vinschgauer Alpkäse und die Alpbutter auch über den Gaumen erfahrbar.
Vinschgerwind: Ein angeschlossenen Ausschankbetrieb bedeutet aber doch Mehrarbeit?
Bertram Stecher: Es gibt viele Beispiele dafür, dass das sehr gut funktioniert und es gibt mehrere Modelle auf der Ebene der Organisation von Aufschank und Almwirtschaft. Ich glaube hier liegt die Hauptverantwortung beim Eigentümer, bzw. dem Bewirtschafter. Wenn wir zum Beispiel eine Gemeinschaftsalm, die ihren Aufschankbereich verpachtet hernehmen, können und müssen die Bedingungen für den pachtenden Aufschankbetreiber von der Almführung festgelegt werden. Die Verpflichtung, Almprodukte als wichtiges Element im Aufschank zu positionieren, ist nur ein Punkt von vielen, der in so einen Rahmen gehört.
Vinschgerwind: Werden die Viehbauern oder Alminteressentschaften in Zukunft nur mehr als Verpächter auftreten oder weiterhin das eigene Vieh auf die Almen treiben?
Bertram Stecher: Entwicklungen sind schwer vorherzusehen. Es wird, wie es im Moment ausschaut, weiter in Richtung einer bestimmten Individualisierung gehen. Das heißt, es werden vermehrt die individuelle Situationen und die Gegebenheiten vor Ort auf die Bewirtschaftung Einfluss nehmen. Die klassische Vinschgauer Milchviehalm als gemeinschaftlich genutzte Almsennerei mit Produktrücknahmesystem wird als Grundmodell wohl bestehen bleiben. Es gibt sie seit mehr als 600 Jahren, ich denke, dass sich dieses Modell bewährt und noch lange nicht ausgedient hat.
Vinschgerwind: Welches Potential könnte noch ausgeschöpft werden?
Bertram Stecher: Die Almprodukte sind von höchster Qualität und entsprechen absolut dem Trend nach naturnahen, handwerklich hergestellten, regionalen und traditionellen Lebensmitteln. Wir Vinschger haben es aber noch nicht geschafft, dieses Potential gebührend ins Rampenlicht zu stellen. Almkäse ist zwar bei Einheimischen und Gästen sehr bekannt, aber manchmal habe ich das Gefühl so richtig auffallen würde er erst, wenn es ihn nicht mehr gäbe. Erlauben Sie mir bitte dazu die freche Hypothese, dass unsere im Tourismus- und Regionalmarketing sehr erfolgreichen Pusterer Freunde schon längst ein ganzes Tal nach ihm benannt hätten!
Vinschgerwind: Inzwischen sind die Almkühe wieder im Tal. Am Samstag, 05. Oktober findet in Burgeis die Südtiroler Almköseverkostung statt. Wie werden die Vinschger Almen abschneiden?
Bertram Stecher: Die Qualität ist, insofern man sie von den geprüften jungen Käsen im Sommer ableiten kann, wiederum sehr gut. Natürlich hoffen wir alle, bei den anstehenden Käseverkostungen in Galtür am 28. September und in Burgeis am 05. Oktober die Jury und Besucher begeistern zu können. Übrigens, wer sich selbst durch die Südtiroler Alpkäsewelt kosten will und seine Beurteilung abgeben möchte, ist dazu herzlich in die Fachschule Fürstenburg in Burgeis am 5 Oktober ab 14.00 Uhr eingeladen.